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CDU-Fraktionsvize: Russland bleibt "ein Schlüssel für Amtsverzicht Assads"

"Russland führt sich im Moment in die Selbstisolation", meint der stellvertretende Fraktionschef der Union Andreas Schockenhoff zur momentanen Haltung Wladimir Putins gegenüber des syrischen Assad-Regimes. Der Russland-Experte plädiert dafür, den Druck auf den russischen Staatschef aufrechtzuerhalten. Das müsse nach wie vor die gemeinsame internationale Anstrengung sein.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Dirk Müller | 02.06.2012
    Dirk Müller: Putin, Syrien und der Westen – darüber sprechen wollen wir nun mit Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff, zugleich Koordinator der deutsch-russischen Zusammenarbeit der Bundesregierung. Guten Morgen!

    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Schockenhoff, warum ist Moskau immer gegen alles?

    Schockenhoff: Moskau hat sich innenpolitisch und außenpolitisch zu einer Status-quo-Macht entwickelt, und das in einer Zeit dramatischer und rascher Umwälzungen der internationalen Ordnung. Deswegen argumentiert Putin mit Kategorien des Völkerrechtes, die wir aus der Zeit des Kalten Krieges kennen: Moskau beruft sich auf Souveränität, auf Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten, und sagt, damit sei die Welt über ein halbes Jahrhundert stabil geblieben.

    Aber die Welt hat sich verändert, da hat der französische Präsident recht: Wir haben heute über 40 Failing oder Failed States, wir haben die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, wir haben erlebt, dass Afghanistan zur Brutstätte des internationalen Terrorismus wurde. In einer solchen Welt kann die Nicht-Einmischung in einen Bürgerkrieg oder in interne Völkermord-Vorgänge nicht das Prinzip internationalen Rechtes sein.

    Müller: Wenn Sie sagen, Herr Schockenhoff, es gibt eine Status-quo-Politik in Moskau – meinen Sie damit, Moskau und gerade auch Wladimir Putin ist erstarrt, verkrustet und nicht mehr beweglich?

    Schockenhoff: Die Bundeskanzlerin hat darauf bewegt, hingearbeitet, mit allen Möglichkeiten Putin zu bewegen, und das muss nach wie vor die gemeinsame internationale Anstrengung sein. Das Assad-Regime unterdrückt das syrische Volk. Die Gewalt mit schweren Waffen gegen zum Beispiel die Bevölkerung in Hula oder anderen Städten erfüllt inzwischen eine Qualität, dass sich Assad bald vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten muss. Aber deshalb kann es mit Assad keine Zukunft geben.

    Auf der anderen Seite: Wenn wir eine Lösung wie etwa im Jemen anstreben, also ein Amtsverzicht des Diktators und eine Übergangsregelung unter internationaler Kontrolle und mit internationaler Unterstützung, dann bleibt Russland ein Schlüssel für den Amtsverzicht Assads. Deswegen müssen wir Putin immer mehr deutlich machen, dass er gegen russische Interessen handelt, wenn er das Regime nach wie vor unterstützt, und dass umgekehrt die Etablierung eines Übergangspräsidenten nicht gegen strategische russische Interessen gerichtet ist.

    Müller: Herr Schockenhoff, Sie sind ausgewiesener Russland-Experte, Sie führen zahlreiche Gespräche auch mit anderen russischen Parlamentariern, auch mit Oppositionellen, aber auch immer wieder mit Regierungsvertretern. Sie sagen, Putin würde im Grunde gegen eigene russische Interessen mit seiner Politik verstoßen. Welche russischen Interessen hat denn Wladimir Putin?

    Schockenhoff: Putin will auch im Inneren ein etabliertes politisches System gegen alle Veränderungen verteidigen, also Status quo auch im Inneren. Aber Russland verliert dramatisch: Russland verliert ökonomisch – es hat im letzten Jahr 82 Milliarden US-Dollar an privaten Kapitalfluchtbewegungen ins Ausland gegeben, in diesem Jahr haben wir bereits bis Ende April 42 Milliarden von privatem Kapital, das Russen ins Ausland gebracht haben. Sie vertrauen nicht mehr auf die Erneuerungsfähigkeit dieses Landes.

    Russland wird am 5. Juni, in der nächsten Woche, ein neues Demonstrationsrecht verabschieden, das die Versammlungsfreiheit weiter einschränken wird, also drastische Strafen auf Demonstrationen, die nicht genehmigt sind, Tür und Tor geöffnet für willkürliche Verbote und Anordnungen durch die Sicherheitskräfte.

    Dadurch wird sich der Konflikt zwischen der eigenen Bevölkerung auf der Straße und der vertikalen Macht im Kreml verschärfen. Modernisierung ist für Putin rein technologische Innovation, aber eben nicht eine systemische, gesamtstaatliche Modernisierung, die auch Rechtsstaatlichkeit, Zivilgesellschaft, Wettbewerb, politischer Wettbewerb einschließt. Und deshalb ist Russland im Moment auch für andere Staaten kein attraktives System. Wenn es darum geht, in anderen Ländern einen Übergang zu mehr Menschenrechten, zu mehr Mitsprache der Bevölkerung zu organisieren, ist Russland im Moment kein Modell, das für andere attraktiv ist.

    Müller: Herr Schockenhoff, wenn jetzt einige Ältere dabei sind heute Morgen – und das werden sie sicherlich sein –, unser Gespräch hören und vielleicht den Namen Putin gar nicht mitbekommen haben, dann könnten viele doch den Eindruck haben, wir reden über Breschnew.

    Schockenhoff: Die Situation hat sich geändert und Russland ist auch im Inneren durch die Medien nicht mehr so hermetisch abgeschlossen. Und wir haben heute eben nicht den Kalten Krieg, wo durch Abschreckung ein Systemkonflikt herrscht.

    Müller: Aber das strukturkonservative Element – Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche –, das ist geblieben.

    Schockenhoff: Das strukturkonservative Element bezieht sich aber nicht auf, ich sage mal, auf einen kommunistischen und planwirtschaftlichen Staat, sondern es bezieht sich darauf, dass Russland eben das autoritäre Regime, das sich nach 2000 herausgebildet hat, heute verteidigen will. Aber auch dieses System ist fortschrittsfeindlich und schadet deshalb eigenen russischen Interessen.

    Müller: Sie kennen auch die Position und die Haltung der Kanzlerin sehr gut. Ist die Kanzlerin genau so kritisch wie Sie?

    Schockenhoff: Die Kanzlerin ist immer ergebnisorientiert und die Kanzlerin weiß, dass Deutschland, die Europäische Union ein Interesse haben an einem starken marktwirtschaftlichen und sich in Richtung Demokratie entwickelnden Russland. Und wir haben vor allem internationales Interesse an einem kooperativen Russland, ein Russland, das sich auf die Veto-Rolle und auf die Nuklearfähigkeit zurückzieht und seinen Nachbarn mit Gasentzug droht, ist kein Russland, das zur Lösung der Strukturprobleme im arabischen Raum, aber auch im Kaukasus, auf dem Balkan, weltweit beitragen kann.

    Deswegen versucht die Kanzlerin, Putin zu bewegen und nicht in einer Konfrontation noch mehr in die Isolation zu betreiben. Russland führt sich im Moment in die Selbstisolation, und alle Bemühungen, Russland aus dieser Isolation herauszuhelfen, sind auch in unserem europäischen Interesse.

    Müller: Wir haben nicht mehr so viel Zeit, ich muss Sie das dennoch fragen: Wir haben jetzt die ganze Zeit über Wladimir Putin geredet. Haben wir gleichzeitig, ohne es explizit zu nennen, auch über Dimitri Medwedew geredet?

    Schockenhoff: Dimitri Medwedew ist leider Teil desselben Systems. Das Problem ist: Es gibt in Russland zurzeit keine echte Alternative. Die Opposition ist zerstritten, uneinig. Deswegen ist ein Russland, das sich politisch innerlich instabil entwickelt, für uns eine unangenehme Perspektive.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff. Vielen Dank für das Gespräch und auch danke fürs frühe Aufstehen!

    Schockenhoff: Danke schön, Herr Müller! Ein schönes Wochenende!

    Müller: Gleichfalls, danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.