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CDU: Neues Wahlrecht ist fair und gerecht

Mit der Streichung des negativen Stimmgewichts habe man der Vorgabe aus Karlsruhe entsprochen, sagt der CDU-Politiker Günter Krings. Der Opposition wirft er vor, das Thema für eigene politische Ziele zu missbrauchen.

Günter Krings im Gespräch mit Jonas Reese | 30.09.2011
    Christoph Heinemann: Deutschland bekommt ein neues Wahlrecht. 294 von 535 anwesenden Abgeordneten stimmten gestern im Bundestag für einen entsprechenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, 241 dagegen. Damit werden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen, das im Juli 2008 das sogenannte negative Stimmgewicht für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber drei Jahre Zeit zur Änderung gegeben hatte. Die Opposition kündigte bereits gestern an, gegen das Gesetz wieder in Karlsruhe zu klagen. Darüber hat mein Kollege Jonas Reese mit Günter Krings gesprochen und den stellvertretenden Unions-Fraktionschef gefragt, ob nun das Bundesverfassungsgericht dem Land ein neues Wahlrecht schreiben wird.

    Günter Krings: Genau das haben wir ja verhindert, indem wir heute das Wahlgesetz nach dem Entwurf der Koalition verabschiedet haben, und insofern waren die Befürchtungen, die aus Teilen des Gerichts vorgetragen worden sind, unbegründet, das habe ich auch schon vor einigen Wochen gesagt. Wir haben die Aufgabe, die uns Karlsruhe gestellt hat, die nicht einfach war, die hoch kompliziert war, gelöst und damit haben wir ein verfassungsgemäßes Wahlrecht.

    Jonas Reese: Aber die SPD hat ja schon angekündigt, nach Karlsruhe ziehen zu wollen.

    Krings: Nun der Grund, dass wir eben kein gültiges Wahlrecht angeblich hätten und wir deshalb eine Klage in Karlsruhe bekommen müssten, der ist mit dem heutigen Tage weggefallen. Wenn das jetzt noch durch den Bundesrat geht und im Bundesgesetzblatt steht, haben wir ein gültiges Wahlrecht. Insofern ist dieser Klagegrund der SPD jedenfalls ganz offensichtlich weggefallen. Darüber ist die Opposition, die da natürlich ein bisschen Feuerchen anzünden wollte, nicht glücklich und sie kann natürlich in der Sache unser Wahlrecht angreifen, aber dem sehen wir sehr gelassen entgegen, weil wir uns exakt auf der Linie bewegt haben bei unserer Reform, die uns das Karlsruher Gericht vorgegeben hat.

    Reese: Das sieht die SPD naturgemäß etwas anders. Sie sagt, die Überhangmandate entstehen immer noch in ähnlicher Zahl, auch nach Ihrem Entwurf, und auch das negative Stimmgewicht ist nicht beseitigt.

    Krings: Zunächst einmal haben wir auch die Zahl der Überhangmandate durch unseren Vorschlag einer Reststimmenverwertung maßvoll reduziert, aber das war auch gar nicht die Aufgabe, die uns Karlsruhe gestellt hat, und das ist das eigentlich Ärgerliche an der ganzen Debatte seit einigen Wochen, dass die Opposition, allen voran die SPD, aber auch andere Oppositionsfraktionen versuchen, ihr politisches Ziel, Polemik gegen Überhangmandate, Kampf gegen Überhangmandate, unter verfassungsrechtlichen Argumenten zu verpacken und behaupten, eigentlich wider besseres Wissen, dass Karlsruhe die Beseitigung der Überhangmandate vorgegeben hätte. Das Gegenteil ist der Fall, sie werden vom Gericht ausdrücklich weiterhin akzeptiert als eine weitere Lösungsvariante und das ist, glaube ich, auch gerade am Tag nach dem 60. Geburtstag des Verfassungsgerichts nicht freundlich und nicht nett, das Verfassungsgericht zu missbrauchen und seine Entscheidungen für seine eigenen politischen Ziele.

    Reese: Aber das Verfassungsgericht hat vorgegeben, dass jede Stimme sozusagen gleich viel wert ist, aber das könnte nach Ihrem Entwurf auch nicht der Fall sein.

    Krings: Leichte Unwuchten bei Stimmenzählungen bei Erfolgswert gibt es immer wieder. Das sehen wir schon bei der Fünf-Prozent-Klausel, das sehen wir auch bei Rundungen, die notwendig sind, und das war auch genau nicht, was das Verfassungsgericht vorgegeben hat. Das Verfassungsgericht hat vorgegeben, dass wir das negative Stimmgewicht beseitigen, das heißt ein Effekt, dass ich eine Partei wähle und durch meine Stimme bekommt sie im Ergebnis ein Mandat weniger. Genau das heißt negatives Stimmgewicht und genau das haben wir beseitigt, wie es Karlsruhe vorgeschrieben hat.

    Reese: Dennoch: Sollte nicht ein Wahlrecht parteiübergreifend und einvernehmlich gefunden werden?

    Krings: Das haben wir versucht. Wir haben Gespräche angeboten, auch Gespräche geführt, insbesondere auch mit der SPD. Meines Erachtens hat sich die Opposition hier aus der Verantwortung für das Wahlrecht davongeschlichen. Offenbar ist man hier eher bereit und hat mehr Spaß daran zu klagen, als politisch zu diskutieren. Das hätten wir gerne gemacht. Nur der Vorwurf war ja richtig, dass wir die Frist leicht überschritten haben; insofern konnten wir jetzt nicht weiter warten, uns auch nicht weiter hinhalten lassen. Wir haben jetzt gesagt, jetzt müssen wir es entscheiden, damit auch die Mahnung des Verfassungsgerichts, Mitte diesen Jahres – und jetzt haben wir Herbst diesen Jahres – ein neues Wahlrecht zu haben, dann auch erfüllt ist.

    Reese: Aber das wirft ihnen die Opposition ja gerade vor, dass sie eben nicht bereit waren zu diskutieren.

    Krings: Das ist falsch! Wir haben Gespräche geführt, das wird Ihnen auch die Opposition, auch der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD bestätigen können, dass wir gesprochen haben.

    Reese: Aber erst recht spät!

    Krings: Nein. Wir haben mehrere Gespräche geführt, die waren nicht nur in den letzten Wochen, die waren auch vorher schon, und wir haben Vorschläge gemacht. Also noch einmal: Die leichte Reduzierung der Überhangmandate, die nicht erforderlich ist, die aber eine Geste auch mit an die Opposition war, und wir haben auch noch weitere Varianten diskutiert, beispielsweise dass man die Entscheidung aus den 90er-Jahren des Verfassungsgerichts, wo gesagt wird, es sollten nicht mehr als fünf Prozent Überhangmandate im Bundestag sein, zum Anlass nimmt, genau da bei der Fünf-Prozent-Marge dann einen Ausgleich anzusetzen. All das war der Opposition dann doch nicht recht, man hat eben die Verantwortung nicht wahrgenommen, ein konsensorientiertes Wahlrecht zu entscheiden. Wir haben aber jetzt eines entschieden, was auch den Interessen aller Parteien gerecht wird.

    Sehen Sie, im Wahlrecht ist es nicht so, dass da Koalition und Opposition immer unterschiedliche Interessen haben, sondern große und kleine Parteien haben unterschiedliche Interessen. Diese Koalition besteht aus einer großen und zwei kleineren Parteien, einer Regionalpartei sogar. Insofern haben wir strukturell alle Interessen aufgenommen. Und wenn man das Wahlrecht mal anwendet, was wir heute verabschiedet haben, hätte die Opposition dadurch per Saldo einen Vorteil gehabt und wir sogar einen kleinen Nachteil.

    Reese: Dennoch bleibt der Beigeschmack, dass gerade die Partei, also die CDU, die am meisten von den Überhangmandaten bei der vergangenen Bundestagswahl profitiert hat und nach den Prognosen auch weiterhin profitieren wird, die Überhangmandate nicht aufgeben will.

    Krings: Zunächst einmal gibt es eine Reihe von Prognosen, die sagen, dass die SPD zurzeit mehr von Überhangmandaten profitiert als wir. Aber das ist alles Kaffeesatzleserei. Entscheidend ist, dass uns das Karlsruher Gericht gerade nicht die Streichung der Überhangmandate vorgegeben hat, sondern die Streichung des negativen Stimmgewichts, und das ist eine andere Aufgabe, die sicherlich damit artverwandt ist, aber nicht exakt das gleiche ist, und genau das haben wir geschafft und wir haben damit auch ein faires gerechtes Wahlrecht gemacht.

    Wir haben beispielsweise nicht einen anderen Vorschlag von Karlsruhe aufgegriffen. Dort wurde nämlich auch vorgeschlagen, warum macht ihr kein Grabenwahlrecht. Das ist die Beendigung der Anrechnung zwischen Erst- und Zweitstimme, zwischen Listenmandaten und Direktmandaten. Das hätte die kleinen Parteien massiv benachteiligt, wir hätten davon groß profitiert. Genau das haben wir trotzdem nicht gemacht, weil wir nicht egoistisch vorgehen wollen, sondern ein faires Wahlrecht wollen, und insofern haben wir den fairsten und besten Vorschlag jetzt genommen, den es gab.

    Reese: Das klingt aber doch nach etwas parteitaktischem Geschacher um die einzelnen Mandate.

    Krings: Das ist genau das Gegenteil von parteitaktischem Geschacher. Wir wollen das bestehende Wahlrecht, was sich in 60 Jahren sehr gut bewährt hat, auch Exportschlager ist, nicht im Kern antasten. Das, was die Oppositionsparteien vorgeschlagen haben, hätte das Wahlrecht in seinen Fundamenten umgekrempelt, und genau das macht unser Vorschlag nicht. Es ist ein minimal-inversiver Eingriff, der natürlich auch die Überhangmandate erhält, weil sie verfassungsrechtlich auch im Kern nicht zu beanstanden sind.

    Heinemann: Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Günter Krings im Gespräch mit meinem Kollegen Jonas Reese.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.