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CDU-Politiker Norbert Röttgen
"Ich kann mir nicht vorstellen, mit Assad zu kooperieren"

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen lehnt eine militärische Zusammenarbeit mit der syrischen Armee im Kampf gegen die IS-Miliz kategorisch ab. Eine Kooperation würde dem Einsatz die Legitimität nehmen, sagte er im Deutschlandfunk. Damit stellt sich Röttgen gegen Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Christine Heuer | 30.11.2015
    CDU-Politiker Norbert Röttgen
    CDU-Politiker Norbert Röttgen (pa/dpa/von Jutrczenka)
    Von der Leyen hatte dem ZDF gesagt, es werde zwar keine Zukunft mit Staatschef Assad geben, Teile der syrischen Truppen könnten aber sehr wohl gegen den IS eingesetzt werden. Röttgen plädierte, bei einem Einsatz von Bodentruppen vor allem auf sunnitische Kräfte in der Region zu setzen. Als Beispiel nannte er die arabischen Golfstaaten und die Türkei.
    Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses betonte, wenn man die IS-Terrormiliz bekämpfen wolle, brauche man auch die Kooperation mit Russland. Wichtigste Aufgabe Moskaus sei es, den iranisch-schiitischen Anteil zurückzudrängen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: 1200 Soldaten möchte die Bundesregierung in den Syrien-Einsatz schicken, auch ohne UN-Mandat, und der Vorstoß von Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, die internationale Koalition gegen den IS könne vielleicht sogar mit Assads Truppen zusammenarbeiten, die spielt weiterhin eine Rolle in der Diskussion über die militärischen Folgen der Paris-Attentate, nun ganz aktuell auch in Deutschland.
    Am Telefon ist Norbert Röttgen, CDU-Politiker, Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Morgen, Herr Röttgen.
    Norbert Röttgen: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Ursula von der Leyen sagt, nun müssen wir vielleicht doch mit dem syrischen Militär gehen. Sehen Sie das auch so?
    Röttgen: Ich sehe das nicht so. Ich kann es mir jedenfalls sehr schwer vorstellen. Frau von der Leyen hat aber auch von der Übergangsphase gesprochen. Meine Meinung ist: Wir müssen nun die Priorität auf die Bekämpfung des IS legen. Das ist richtig. Das wäre auch ein Strategiewechsel, weil von dem IS für uns, für Europa und die USA die Gefährdung ausgeht. Assad greift nicht uns an, aber er ist natürlich das Entstehungsproblem in der Region. Darum kann ich mir nicht vorstellen, mit ihm zu kooperieren. Er hat Hunderttausende von Toten auf dem Gewissen. Er soll in eine Übergangsphase überführt werden. Das Regime Assad hat keine Zukunft. Die Kooperation mit seinen Truppen würde uns die Legitimität nehmen. Er und diese Armee hat Hunderttausende auf dem Gewissen. Und vor allen Dingen: Es würde nicht zur Befriedung in der Region beitragen, denn dann würde IS weiter behaupten können in der sunnitischen Welt, die alawitischen Truppen, die eine schiitische Nähe haben, das würde zeigen, die kooperieren mit dem Westen, und diese schiitisch-russisch-westliche Kooperation, das zeige, dass IS der wahre Verteidiger des Glaubens und der muslimischen Welt sei. Das heißt, es hilft auch in der Sache nicht.
    Heuer: Soll Ursula von der Leyen diese Idee schnell wieder abräumen?
    Röttgen: Sie haben ja eben das Zitat eingeblendet. Sie hat gesagt, mit dem Regime ist vorgesehen, dass durch Verhandlungen, die in Wien stattfinden, eine Übergangsphase ja eintritt, eine politische Übergangsphase. Das dauert noch, aber die Verhandlungen laufen besser als gedacht. Ich glaube, dass es richtig ist, an diesem politischen Prozess, der in Wien stattfindet, zu arbeiten. Eine Weile Toleranz, dass das Regime besteht, die Staatlichkeit ist auch da, die Truppen sind da, man muss die Machtverhältnisse respektieren. Aber Kooperation mit diesen Truppen ist etwas anderes und die, meine ich, die muss man ausschließen, ja.
    Heuer: Assad erst stützen, dann stürzen. Das ist auch die Richtung, in die Ursula von der Leyen denkt. Sie tun das auch, wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe.
    Röttgen: Nein, nicht stützen. Stützen ist die Grenze. Kooperation, stützen nein, aber man muss an dem politischen Prozess arbeiten, der stattfindet, und die Priorität ist IS. Das würde ich nicht stützen nennen.
    Heuer: Aber man muss mit ihm leben. Dann sage ich es mal so. Aber wie soll das gehen? Wie soll das gehen, eine Zeit lang mit Assad zu leben und dann zu sagen, jetzt muss er weg?
    Röttgen: Das ist genau der Punkt oder die Aussage, die gemacht wird von manchen europäischen Kräften. Die USA sagen, er muss von vornherein weg, wir können ihn auch nicht für eine Übergangsphase dulden. Darüber muss noch gesprochen werden. Die entscheidende politische Aussage ist: Für Assad gibt es keine Zukunft in dieser Region, mit Assad gibt es keine friedliche Zukunft in dieser Region. Aber man muss den Punkt von heute bis zu dieser Wirklichkeit sehen. Es gibt keine Zukunft für Assad. Das ist ein politischer Prozess, eine Brücke, die man bauen muss. Das halte ich auch für machbar. Und daneben muss IS prioritär bekämpft werden, und zwar ohne Kooperation mit diesen Truppen. Das, glaube ich, macht Sinn.
    Röttgen: Kampf gegen IS setzt Kooperation mit Russland voraus
    Heuer: Das macht auch deshalb Sinn, damit die Russen an Bord sind oder bleiben im Kampf gegen den IS?
    Röttgen: Ja, das stimmt. Wenn man sich zu dem Ziel durchringt zu sagen, IS hat Priorität in der Bekämpfung, dann setzt das eine Kooperation mit Russland voraus, die man braucht in dieser Region. Das hat auch der Zusammenprall Türkei-Russland gezeigt. Und auch über den Inhalt muss man natürlich reden. Meines Erachtens geht es gar nicht so sehr um die militärische Beteiligung Russlands, weil es ja um Bodentruppen geht, die auch von Russland nicht geschickt werden, sondern es geht darum aus meiner Sicht, dass Russland sich daran beteiligt, den iranisch-schiitischen Anteil zurückzudrängen. Denn wir haben es im Kern auch mit einem sunnitisch-schiitischen Konflikt zu tun, jedenfalls einem, der politisch instrumentalisiert wird, und darin würde ich eine Rolle von Russland sehen.
    Heuer: Aber eine andere Rolle ist, Russland ist durchaus militärisch aktiv in Syrien und Russland bombardiert ja nicht in erster Linie den IS, sondern die gemäßigten Rebellen, die gegen Assad sind. Heute möchte Angela Merkel mit Wladimir Putin darüber sprechen am Rande des Klimagipfels in Paris. Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass Putin sich da überzeugen lässt, den richtigen Gegner anzugreifen?
    Röttgen: Im Wesentlichen bekämpft er die Opposition von Assad, völlig richtig. Rhetorisch nimmt er in Anspruch, gegen IS zu kämpfen; er tut es im Wesentlichen aber nicht. Ich sehe keine Veränderung dieser Verhaltensweisen bei Russland. Aber auf der anderen Seite: Russland hat ein Interesse auch an einer politischen Lösung. Es ist eine große Gefahr für Putin, in diesen Krieg immer weiter hineingezogen zu werden. 30 Millionen Muslime in Russland ist eine große Gefahr auch des islamistischen Terrorismus, der dann das eigene Land heimsucht. Das zivile Flugzeug ist abgeschossen worden, oder ist nicht abgeschossen, aber es war eine Bombe an Bord, wahrscheinlich womit das russische Flugzeug detoniert wurde.
    Heuer: Über dem Sinai.
    Röttgen: Ja genau, auf dem Sinai. Das heißt, die Gefahr ist groß, dass Russland hier auch die islamistische Gefahr sich auf den heimischen Boden holt. Darum hat er ein Interesse an einer politischen Lösung und da muss der Westen ansetzen.
    Heuer: Sie haben gerade gesagt, Herr Röttgen, es gehe um Bodentruppen. Kann man den IS aus der Luft überhaupt wirklich schlagen, oder braucht es da einen größeren Bodeneinsatz als den, den wir bisher ja von deutscher Seite auch unterstützen, nämlich die Peschmerga?
    Röttgen: Wie alle, glaube ich, nachvollziehbar sagen: Man kann den IS aus der Luft nicht vernichten. Das liegt daran, dass es praktisch eine Art Partisanenkampf ist. Es ist etwas mehr, eine bessere Struktur natürlich, aber der IS und die Kämpfer des IS sind untergemischt unter die normale Bevölkerung. Das können Sie aus der Luft heraus nicht so identifizieren, um wirklich die Ziele dann zu erreichen und effektiv kämpfen zu können. Man braucht die Bodentruppen. Die sind in gewisser Weise ja da. Es sind vor allen Dingen Peschmerga-Kämpfer, kurdische Peschmerga-Kämpfer, aber auch syrische Kurden, die kämpfen. Man kann die Kommunikation verbessern für die, die am Boden kämpfen, und den Luftangriffen. Das heißt, man kann es steigern, aber nicht am Ende wirklich militärisch einen Sieg erringen, wenn es nicht stärkere Bodentruppen gibt. Das ist die Aussage aller Militärexperten.
    Heuer: Und wer soll die stärken? Wer soll da noch zusätzlich nach Syrien am Boden?
    Röttgen: Aus meiner Sicht müssen es, politisch gesprochen, sunnitische Kräfte sein. Weder die syrische Armee, noch die iranische Armee, schiitische Kräfte. Es müssen sunnitische Kräfte sein aus politischen Gründen, weil alles andere den Konflikt politisch anheizen und noch vertiefen würde. Und wer dafür in Frage kommt, das können wir nicht am Telefon entscheiden.
    Heuer: Nein, aber wir können ja darüber nachdenken.
    Röttgen: Sie haben völlig Recht, man kann darüber nachdenken. Es ist aber noch nicht in Sicht. Ich glaube, dass, erstens, vorhandene Truppen besser ausgestattet werden können. Die kämpfen ja vor Ort mit Waffen, Training und Kommunikation für die Luftschläge. Ich glaube auch, dass man bei der irakischen Armee Fortschritte noch machen kann. Das wird versucht. Aber das ist und bleibt erst einmal das militärische Defizit in der Bekämpfung vom IS. Das ist da, man kann ihm abhelfen, aber ich sehe im Moment nicht, wie man es beseitigen kann.
    Röttgen: Nicht völlig ausgeschlossen, dass auch die Türkei sich im Kampf gegen den IS engagiert
    Heuer: Dann frage ich noch mal. Sie sagen, politisch sunnitische Kräfte. Dann frage ich noch mal geografisch. Woher können die außer dem Irak noch kommen?
    Röttgen: Natürlich gibt es Möglichkeiten, aber die sind politisch noch nicht da, dass es sunnitische Kräfte gibt, die sich beteiligen. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass auch die Türkei sich engagiert, in einem bestimmten nicht kurdischen Gebiet Syriens zum Beispiel. Eigentlich müssten es auch die arabischen Länder tun, die Golf-Staaten, von denen ich es aber auch nicht erwarte, dass sie es tun. Das heißt, sie müssen aus der Region kommen. Sie müssen sunnitische Kräfte sein. Und das ist vielleicht auch ein Teil des politischen Prozesses. Im Moment sind wir noch nicht so weit, dass das der Fall sein wird. Und das heißt auch, dass die Priorität IS bekämpfen stimmt. Aber auch das ist nicht eine Frage von ganz kurzer Zeit. Es wird einige Zeit dauern.
    Heuer: Gibt es Gespräche mit der Türkei, ob die Türkei Soldaten an den Boden schickt in Syrien?
    Röttgen: Die Türkei selber hat mehrfach - der Ministerpräsident und andere - vorgeschlagen, seit Langem übrigens schon, eine humanitäre Zone in Syrien zu errichten. Sie haben das immer auch bezogen auf das kurdische Gebiet, also auch mit eigenen Interessen, die sie dort haben. Aber in jüngerer Zeit gibt es auch die Überlegung, das natürlich gerade nicht in dem Kurden-Gebiet, sondern im anderen Gebiet, dem nordwestlichen Bereich Syriens an der Grenze zur Türkei zu tun. Das ist übrigens auffälligerweise dort, wo es zu dem Zwischenfall in der Luft gekommen ist und das russische Flugzeug abgeschossen wurde. Das sind Äußerungen von türkischer Seite. Ich halte das Ziel, eine humanitäre Zone in Syrien zu etablieren, für richtig, weil wenn es in Syrien kein Gebiet gibt, wo es für bedrängte Menschen Schutz gibt, Versorgungsmöglichkeiten bestehen, dann ist das ein großes Problem, was nebenbei auch Flüchtlingsströme natürlich verursacht. Wenn man das schaffen könnte, wäre es ein großer Schritt nach vorne. Eine solche humanitäre Zone müsste dann aber auch militärisch gesichert werden und da wäre sicherlich die türkische Armee gefragt, das zu tun. Aber wir sind davon noch weit entfernt, weil man müsste erst mal die militärische Sicherheit am Boden erringen und dann auch dauerhaft sichern.
    Heuer: Herr Röttgen, noch mal ganz kurz zurück zu Deutschland. Wir schicken 1200 Bundeswehrsoldaten in die Region, um Aufklärungsflüge zu machen. Kann es sein, dass diese Menge an Soldaten doch auch ein bisschen darauf hindeutet, dass wir uns vielleicht dann doch irgendwann an Luftschlägen beteiligen? Volker Wieker hat das ja gestern nicht ausgeschlossen, jedenfalls sei das machbar.
    Röttgen: Der Generalinspekteur hat diese Zahl ja öffentlich genannt, weil er gesagt hat, das ist das, was notwendig ist, um die beschlossenen Maßnahmen, militärischen, technischen Maßnahmen der Aufklärung, Betankung und der maritime Schutz, durchzuführen. Das scheint, relativ (das ist ja auch plausibel) personalintensiv zu sein. Es ist aber politisch etwas völlig anderes, für was die Soldaten eingesetzt werden. Ich sehe für Deutschland keine Beteiligung an diesen Luftschlägen. Ich sehe sie auch deshalb nicht, unter anderem nicht, weil es keinen militärischen Bedarf für Luftschläge gibt. Die Kapazitäten und Bereitschaft von Ländern, diese durchzuführen, sind vorhanden, sind relativ ausreichend vorhanden. Also muss man da nicht symbolisch sich betätigen. Aber die Aufklärungskomponente ist etwas, wo ein Leistungsdefizit besteht. Da haben wir eine besondere Fähigkeit und dann sollten wir sie auch einbringen.
    Heuer: Norbert Röttgen, CDU-Außenpolitiker, Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Ich habe mit ihm über den Syrien-Einsatz und die deutsche Beteiligung gesprochen. Herr Röttgen, vielen Dank.
    Röttgen: Ich danke Ihnen, Frau Heuer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.