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CDU-Vorsitz
Nicht nur eine Frage des Talents

Landesverband, Partei-Vereinigung, persönliche Präferenz: Viele Faktoren wirken sich auf die Entscheidung der Delegierten beim CDU-Parteitag aus. Welcher davon zieht, ist schwer vorauszusehen. Und noch eine Frage ist bedeutend: Welcher Kandidat garantiert welche Partei-Karriere?

Von Moritz Küpper | 06.12.2018
    Schwarze, rote und gelbe Farbbahnen werden in der Messehalle für den 31. CDU-Parteitag ausgelegt.
    Vorbereitungen zum CDU-Parteitag in Hamburg (dpa / Christian Charisius)
    Wer ein Gefühl bekommen will, was auf dem CDU-Bundesparteitag in Hamburg wichtig werden könnte, der sollte in Leubsdorf am Rhein anrufen:
    "Schwarz."
    Heinz Schwarz lebt hier, in Rheinland-Pfalz. Mittlerweile 90 Jahre alt, ein enger Vertrauter und Freund Helmut Kohls, Bürgermeister, Landtagsabgeordneter, rheinland-pfälzischer Innenminister, jahrzehntelang Bundestagsabgeordneter - aber vor allem war Schwarz auf allen CDU-Bundesparteitagen seit der Gründungsveranstaltung im Jahr 1950 dabei. Schwarz weiß also, worum es dabei vor allem geht:
    "Ich gehe davon aus, dass 80 Prozent der Leute, die da sind, das wären 800, jetzt schon wissen, was sie machen. Wie üblich. Das aber auch umgekehrt 200 da sind, die noch überlegen, was sie machen. Ob Merz? Ob Karrenbauer? Und die geben halt die entscheidende Stimme ab."
    Offenes Rennen
    Schwarz richtet den Blick direkt auf die insgesamt 1001 Delegierten, denn auf die kommt es letztendlich an - allen Regionalkonferenzen, allen Mitglieder-Äußerungen und Umfrage-Ergebnissen zum Trotz:
    "Die dahingehen, die Delegierten, die sind ja alles irgendwo Ortsvorsitzende, Kreisvorsitzende, Kreistagsmitglieder. Das sind 95 Prozent die irgendwo, zuhause auch ein Mandat haben."
    Ab und an pfeift Schwarz' Hörgerät, der Mann hat eine Menge Lebenserfahrung - und wohl noch viel mehr Erfahrung mit seiner Partei, der CDU. Wer im Berliner Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Parteizentrale, nachfragt, erhält die Information, dass etwa die Hälfte der insgesamt 1001 Delegierten sogenannte "Politik-Profis" wären. Doch wie das definiert ist, bleibt unklar, für Schwarz steht aber fest:
    "Es bleibt ein offenes Rennen zwischen Merz und Karrenbauer."
    "Die Delegierten sind natürlich durch die Projektion der Umfragen, durch Gespräche mit anderen Parteimitgliedern schon eingestimmt, wenn sie in den Raum reinkommen, um im Saal dann auch abzustimmen."
    Sagt Professor Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen.
    Faktor: Karrierechancen
    In der Vergangenheit wurde deshalb auch immer auf die Landesverbände und deren Festlegung geschaut - doch das ist diesmal anders. Denn von den Landesverbänden hat sich bislang nur das Saarland festgelegt - auf Annegret Kramp-Karrenbauer. 34 Delegierte stammen von dort, eine geringe Zahl, denn alleine aus dem CDU-Bezirksverband Münsterland, der Heimat von Jens Spahn, stammen 39 Delegierte. All diese sind zudem Mitglieder im NRW-Landesverband, der insgesamt 296 Delegierte stellt, die mit Abstand größte Gruppe unter den Delegierten in Hamburg. Danach folgen Baden-Württemberg mit 154, Niedersachsen mit 137 sowie Rheinland-Pfalz und Hessen mit 89 beziehungsweise 88 Entsandten. Doch: Geschlossen wird wohl kein Landesverband abstimmen, daher, so Korte, habe die öffentliche Stimmung schon Einfluss:
    "Das kann man nicht abschütteln. Das ist aber insofern wichtig, weil man auch projiziert: die eigenen Karrieremöglichkeiten, die einem der oder die Kandidatin zukünftig bietet. Und zwar einem selbst nach der Wahl, oder dem Kreisverband, oder meinem Abgeordneten, wie auch immer. Das ist nicht zu unterschätzen. Es geht also nicht um Casting, wer ist der Beste und Schönste oder beste Kanzler, sondern um die politischen Karrieren und Aufstiegsmöglichkeiten für die kommenden Jahre: Wer ist da für mich die bessere Wahl?"
    Einflussreiche Partei-Vereinigungen
    Neben den 1000 Delegierten aus Deutschland ist auch eine Person aus dem Ausland dabei: Tim Peters, Vorsitzender des CDU-Verbands Brüssel-Belgien. Auf Nachfrage zu seinen Präferenzen äußerte er sich allerdings bislang nicht öffentlich. Einflussreich sind außer den verschiedenen Landesverbänden zudem noch sechs CDU-Vereinigungen, die in den vergangenen Wochen ebenfalls die drei Kandidaten zu Veranstaltungen geladen haben: Die Frauen-Union, mit rund 350 Mitgliedern unter den Delegierten: Votum: Annegret Kramp-Karrenbauer. Dann die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, ein Drittel der Hamburger Delegierten sind hier Mitglied, Votum: Friedrich Merz. Dazu kommen die Junge Union mit 100 Delegierten, die Senioren Union mit etwa 40 Stimmberechtigen sowie die Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung mit etwa 60 bis 70 Delegierten; Votum: neutral. Der Chef der kommunalpolitischen Vereinigung mit über 400 Delegierten hat sich für AKK ausgesprochen, ebenso neigt der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, kurz CDA, zu der einzigen weiblichen Kandidatin. Seine Mitglieder machen ein Viertel der Delegierten in Hamburg aus. Dass eine solche Festlegung aber mitunter wenig aussagekräftig ist, zeigt das Beispiel von Sylvia Pantel, CDU-Bundestagsabgeordnete aus Düsseldorf, in deren Brust ebenfalls mehrere Herzen schlagen...
    "..., also mindestens Drei. Das ist Frauen-Union, ich bin Sprecherin des Berliner Kreises, ich bin Mitglied der CDA, also auch des sozialen Flügels. Wirtschaftskompetenz brauchen wir auch. Also, das sind ganz viele Faktoren und da muss man eben bis zum Schluss sehen und abwägen, wer kann es am besten und da gibt es eben in der näheren Wahl ganz klar entweder AKK oder Friedrich Merz."
    Gerade in den letzten Tagen haben aber führende CDU-Politiker ihr Votum öffentlich gemacht: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble beispielsweise will für Merz stimmen, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident für Kramp-Karrenbauer. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet lässt sich bei seiner Entscheidungsfindung nur begrenzt in die Karten schauen:
    "Die ist beendet, weil ich alle drei natürlich seit vielen Jahren kenne, aber ich verrate es nicht."
    Schwarz: "Spahn völlig ungeeignet"
    Ohnehin ist es in Hamburg eine Premiere: Erstmals werden mehr als zwei Kandidaten gegeneinander antreten. Eine Kampfkandidatur gab es zuletzt 1971, in Saarbrücken, als Helmut Kohl Rainer Barzel herausforderte - woran sich das CDU-Urgestein Heinz Schwarz in Leubsdorf am Rhein natürlich erinnert:
    "Mir war klar, dass der Barzel die besseren Chancen hatte. Aber der Kohl hat gesagt: Ich muss jetzt kandidieren, sonst glaubt mir keiner, dass... also, nicht spekulieren auf Gewinnen oder nicht. Und da war ja die Spekulation vom Helmut Kohl richtig. Er hat da zwar verloren, aber bei der nächsten Runde war er derjenige, der zum Zuge kam."
    Ist also die Kandidatur von Jens Spahn ebenfalls als Zukunftsprojekt zu sehen? Nein, diesen Vergleich lässt Schwarz nicht zu:
    "Der Spahn ist doch völlig ungeeignet von der Persönlichkeit her so ein Amt zu übernehmen. Der hat in einer konkreten Situation, bei einem Bundesparteitag, eine gute Rede gehalten, auch ein Thema gehabt und meint, deshalb könnte er Parteivorsitzender werden. Wenn es wirklich einen gab, der sich überschätzt hat, dann ist das der Spahn."
    "Merz zu lange draußen"
    Schwarz' Präferenz liegt bei Kramp-Karrenbauer:
    "Jemand, der wie ich, lange in dieser unmittelbaren Arbeit der Union stand, der Partei stand, dass die alle mehr zur Karrenbauer neigen, während andere, junge Leute, Kaufleute: Ja, der Merz ist der Bessere."
    Für Schwarz ist Friedrich Merz einfach zu lange aus der Politik draußen gewesen:
    "Eine politische Partei, eine Vereinigung, eine solche Gruppierung ist alles andere als ein Aufsichtsratsgremium einer deutschen Bank."
    Eine Frage der Tagesform
    Es bleibt wohl spannend bis zum Schluss, meint auch Politikwissenschaftler Korte:
    "Der Tag ist entscheidend, die Tagesinszenierung, auch die Tagesemotionalität der Reden. Parteitage haben eine Eigendynamik, die völlig frei ist, erstmal, von den vorhergehenden Projektionen, insofern ist das was Besonderes, was vor Ort sich entwickelt, was diese 1001 dann berühren wird."
    Für den 90-jährigen Heinz Schwarz jedoch, wird es der erste Bundesparteitag sein, den er nicht vor Ort erleben wird. Anfang der Woche wurde er - nach Lungenproblemen - aus dem Krankenhaus entlassen. Sein Leben lang habe er auf seinen Bauch gehört:
    "Jetzt war es umgekehrt: Der Bauch sagt Hamburg und der Kopf sagt mir: Ne, ne."
    Eine Botschaft, hat er dann doch noch, sozusagen als einfaches Mitglied:
    "Wenn das alles dann friedlich übereinander geht, dann erwarten die alle aber auch, dass der, der gewonnen hat, respektiert wird. Dass das selbstverständlich ist."
    Auf dem nächsten Parteitag, will Schwarz dann aber wieder dabei sein.