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Ceausescus Büchererbe

Die rumänische Nationalbibliothek öffnet ihr neues Domizil fürs Publikum. Zuvor waren die Millionen Bücher rund 60 Jahre lang größtenteils in improvisierten Magazinen untergebracht. Doch trotz des neuen Hauses ist der Bibliotheksleitung nicht nur zum Feiern zumute.

Von Annett Müller | 23.04.2012
    Mit dem Improvisieren ist jetzt vorbei. Das hofft Elena Tirziman, die Direktorin der rumänischen Nationalbibliothek. Bislang war ihr Hauptsitz in einem neoklassischen Palast in der Bukarester Innenstadt untergebracht: Ein architektonisch eindrucksvolles Gebäude, doch ungeeignet für eine Nationalbibliothek. Es fehlte an ausreichend Platz für den rumänienweit einmaligen Buchbestand aus rund sechs Millionen Büchern. Die mussten stattdessen ausgelagert werden - unter teils jämmerlichen Bedingungen.

    "Wir haben die Bücher teilweise in Kellern oder in Heizungsräumen lagern müssen. Mal war es zu heiß, mal zu nass, mal zu staubig. Oft hatten wir in diesen Lagerräumen auch keine Regale. Natürlich sind die Bücher damit auch beschädigt worden. Das waren turbulente Zeiten für uns, doch nun gibt es ein Happy End."

    Das Happy End besteht aus einem Neubau. Auch der hat turbulente Zeiten hinter sich. Bis zur Wende wurde lediglich der Rohbau fertig: Ein eklektisches Gebäude, kitschig überladen mit Säulen und Ornamenten, wie es der Diktator Ceausescu angeordnet hatte. Zwei Jahrzehnte mussten vergehen, bis es den politischen Willen für den Weiterbau gab. Der Auftrag ging an den Architekten Eliodor Popa. Er hatte bereits am gigantischen Diktatorenpalast mitgebaut. Die Nationalbibliothek sollte der 62-Jährige aber völlig neu gestalten und die Spuren von Ceausescu dabei verwischen. Popa versteckte den Rohbau unter einem grünlichen Glaskubus und die geschmacklosen Säulen in eine nüchterne Aluminiumverschalung:

    "Die Ceausescu-Vorlage ist damit verschwunden. Das Gebäude wirkt jetzt nicht mehr überladen oder ermüdend. Es ist ein modernes Haus geworden. Sicher, es ist jetzt nicht der letzte Schrei. Aber es ist eine zeitgenössische Architektur, die man weltweit findet. Es ist genau das, was sich Rumänien derzeit leisten kann."

    Auf 120 Millionen Euro belaufen sich die Umbaukosten für die Nationalbibliothek. Es ist die größte Investition in die rumänische Kultur seit der Wende. Doch zum Feiern ist der Bibliotheksleitung nur bedingt zumute. Auf sie wartet - trotz Umbau - eine Altlast aus der Ceausescu-Zeit. Weil sich der Diktator die größte Nationalbibliothek Osteuropas wünschte, ließ er den Bestand illusorisch aufblähen. Manche Verlage mussten Gesamtauflagen zur Verfügung stellen und selbst was in den Buchhandlungen nicht verkauft wurde, wanderte umgehend ins Bibliotheksarchiv. Ein nicht zu bewältigender Zuwachs. Bis heute sind zwei Drittel des Bestands nicht einmal erfasst und damit auch nicht zugänglich fürs Publikum, sagt Petruta Voicu,

    "Bis wir den Bestand nicht aufgearbeitet haben, können wir nicht endgültig sagen, über welche Schätze die Nationalbibliothek eigentlich verfügt. Wir wissen nicht, was in all den ungeöffneten Bücher-Paketen steckt und wie der Zustand der Bücher ist. Wir gehen davon aus, dass sie trotz schlechter Lagerräume nicht feucht geworden und verschimmelt sind. Aber vielleicht wurden sie von Mäusen angeknabbert."

    Wohl 20 Jahre wird es noch dauern, bis der Gesamtbestand katalogisiert ist. Der Grund für das langsame Tempo? Die Nationalbibliothek hat bislang nur ein Viertel des Personals, das sie braucht. Dass es neue Stellen geben wird, scheint unwahrscheinlich, denn wegen der Wirtschaftskrise herrscht Einstellungsstopp im staatlichen Kulturbetrieb. Der Sprecher des Kulturministeriums, Radu Enache, sieht die Sache gelassen:

    "Uns war zuallererst wichtig, den Gesamtbestand an einen sicheren Ort zu bringen. Denn wenn wir den Neubau nicht hätten, wären so manche Bücher in den bisherigen Lagerräumen vollständig kaputt gegangen. Das wäre ein riesiger Verlust gewesen. Der zweite Schritt ist jetzt für uns - je nach wirtschaftlicher Lage - diese Bücher auch zugänglich zu machen: Forschern und einem breiten Publikum."

    Direktorin Elena Tirziman bleibt also vorerst nichts anderes übrig, als weiter zu improvisieren. Im Neubau warten 14 Lesesäle auf Hunderte Nutzer. Wegen des Personalmangels wird man aber nur einen Saal öffnen können:

    "Wir argumentieren immer, dass wir schon lange genug, an der kurzen Leine gehalten worden sind. Und wir hoffen, dass die Größe unseres Neubaus Argument genug sein wird, mehr Personal zu bekommen. Denn jetzt haben wir ein Haus. Eine Nationalbibliothek müssen wir aber erst noch daraus machen."