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Cebit-Reihe Teil 2
Wetterschäden per App bewerten

Die Firma Heidelberg Mobil International GmbH hat eine App entwickelt, die es Hagelversicherungen erleichtern soll, Schäden nach Unwettern genauer zu bewerten. Für die Versicherer ein echter Fortschritt, denn zu bewerten, ob und wie schwer Pflanzen von Hagelschäden betroffen sind, ist gar nicht so einfach.

Von Mirko Smiljanic | 07.03.2014
    Ende Juli 2013 im Südwesten Baden-Württembergs: Es ist schwül, besorgt schauen Landwirte in den Himmel, der sich bedrohlich verdunkelt. Ein Gewitter? Ein Starkregen? Nein, die Region um Reutlingen und Tübingen wird von einem heftigen Hagelsturm heimgesucht.
    Nur 20 Minuten dauert das Spektakel, dann ist alles vorbei – und viele Gärtnereien und Landwirt sind fast um ihre Existenz gebracht: Hagelkörner mit einem Durchmesser von bis zu sieben Zentimetern zerstören Autos und Hausdächer, Baumschulen und Gewächshäuser, Weinberge und Felder. Glücklich, wer eine immerhin pro Hektar bis zu 2000 Euro teure Hagelversicherung abgeschlossen hat! Schon einen Tag später bekommt er Besuch.
    "Die Grundidee ist folgende, dass wir mit der Vereinigten Hagelversicherung eine Applikation erstellt haben, die dem Schadensgutachter auf dem Feld mit einem Tablet die Möglichkeit gibt, den Schaden genau zu dokumentieren."
    Tim-Christoph Hahn, Softwareingenieur bei der Heidelberg Mobil International GmbH:
    "Dort werden verschiedene Zählungen vorgenommen, und das Ganze wird dann dokumentiert mit Fotos, die GPS-Position wird genau erfasst, wo jetzt bestimmte Zählabschnitte stattgefunden haben, damit, wenn die Frucht noch weitergewachsen ist, noch nachgesehen werden kann, hat sich das entsprechend verbessert oder ist es schlechter geworden, und dadurch wird eine Schadensquote ermittelt."
    Ein Tablet-PC braucht der Schadensgutachter, mehr nicht. Dass die Heidelberg Mobil International GmbH dieses System entwickelt hat, ist kein Zufall. Sieht sie sich doch, sagt Geschäftsführer Carsten Günther, als Spezialist für Mobile Karten- und Positionierungstechnologien, deren Know-how aus einem renommierten Forschungslabor stammt:
    "Wir sind 2007 in Heidelberg gegründet worden, und wir sind eine Ausgründung des European Media Laboratory. Das ist ein privat finanziertes Forschungsinstitut in Heidelberg, was sich seit 1996 schon mit Themen wie mobile Systeme, mobile Nutzerführung beschäftigt hat."
    Heidelberg Mobil International startete mit sechs Festangestellten und ein paar Studenten, die zunächst ein mobiles Stadtinformationssystem für Heidelberg entwickelten. Aktuell beschäftigt der Software-Entwickler 50 festangestellte Mitarbeiter und einer Reihe von Freelancern. Die Umsätze klettern kontinuierlich um jährlich 30 Prozent. Was auch einem Projekt geschuldet ist, das bei dieser Firmenausrichtung logisch auf der Hand liegt: Wer digitale Karten und mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablet-PCs kombiniert, hat eine Technologie, auf die Hagel-Versicherungen sehnsüchtig gewartet haben: Sie möchten Schäden unmittelbar auf den Feldern erheben.
    "Das läuft so ab, dass der Schadensgutachter sich die kompletten Akten, die ihm zugeordnet sind, mit seinen Log-in-Daten aus dem Versicherungssystem herunterlädt als Erstes und dann komplett offline zur Verfügung hat. Und diese Akten hat er zur Verfügung und seine Felder, die dort geschädigt sind, und kann dann die kompletten Zählungen vornehmen, und wenn er wieder Onlineverbindung hat, möglicherweise WLAN-Verbindung oder auch über das normale Handy-Netz, werden diese Daten wieder ins Back-End-System der Versicherung eingespielt."
    Die Berechnung einer Schadensquote ist komplex. Getreide zum Beispiel hat 20 verschiedene Wachstumsphasen, in denen der Hagel die Ähren an unterschiedlichen Stellen brechen kann, wobei der Verlust an Körnern jeweils individuell betrachtet wird – jeder Faktor fließt einzeln gewichtet in die Berechnung ein. Um die Arbeit der Regulierer zu vereinfachen, bietet Heidelberg Mobil zudem für unterschiedliche Feldfrüchte unterschiedliche Apps an: Maisschäden werden anders berechnet als Schäden an Raps oder Erdbeeren.
    Angesichts dieser Vorteile überrascht es schon, dass manche Kunden der Heidelberg Mobil erstaunt sind, für eine "schlichte" App viel Geld zahlen zu müssen – Apps gibt es doch üblicherweise kostenlos.
    Sie übersehen, meint Carsten Günther, dass eine App noch keine mobile Strategie ausmacht.
    "Es kommen Firmen jetzt zu uns, die sagen, ich brauche überhaupt mal eine mobile Strategie, dann ist der Kunde bereit, für diese Mobile-Strategie-Beratung zu bezahlen, und dann setzt sich auch die Meinung fest, dass, wenn ich über eine mobile Applikation erstelle, rede ich über ein IT-Projekt, und von daher sehen wir auch die Marktchancen für uns ganz gut, weil wir uns genau auf dieses Geschäftsfeld konzentrieren, auf die Mobilisierung von Geschäftsprozessen."
    Den Landwirten rund um Reutlingen Ende Juli 2013 stellte sich das Problem allerdings aus einer anderen Perspektive. Die entscheidende Frage war: Wurde eine Hagelversicherung abgeschlossen – ja oder nein? Fatal: Fast die Hälfte hatte keinen Unwetterschutz, sie blieben auf den Kosten sitzen.