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Panama Papers
Der Schock von Reykjavík

Weil Islands Regierungschef nach Medienberichten eine Briefkastenfirma in Panama unterhielt, gingen tausende Menschen auf die Straße. Das ist viel bei 330.000 Einwohnern im Land. Ob der Premier aber tatsächlich Gesetze gebrochen hat, ist offen. Konsequenzen fordern viele im Land trotzdem.

Von Jessica Sturmberg | 05.04.2016
    Sie sehen eine große Menschenmenge vor dem Parlament in Reykjavík.
    Tausende Menschen haben vor dem Parlament in Reykjavík demonstriert. (picture-alliance / dpa / Birgir Por Hardarson)
    Es war eine beeindruckende Demonstration der Bürger. An die 15.000 Isländer versammelten sich auf dem Austurvöllur, dem Platz vor dem Parlament. Sie hielten Schilder hoch mit Aufschriften wie "Weg mit der Regierung" "Schert Euch zum Teufel" oder "Neuwahlen sofort"
    Es kamen sogar mehr Menschen als im Krisenjahr 2008, um ihren Unmut über das Verhalten von Premierminister Sigmundur Davið Gunnlaugsson und anderen Regierungsmitgliedern Luft zu machen.
    "Ich fühle mich so wie wahrscheinlich alle, die hier stehen, schockiert, traurig und wütend."
    "Ich bin mir sicher, dass die Regierung zurücktreten wird, ich bin mir 100 Prozent sicher."
    "Hauptsächlich spüre ich eine tiefe Traurigkeit für das Land und die sogenannte älteste Demokratie in der Welt."
    Von Anfang an war es ein friedlicher Protest, an dem auch Familien mit kleinen Kindern teilnahmen. Mehr als eine Stunde dauerte die Kundgebung, die sich auch danach erst langsam auflöste. Viele Polizisten sicherten den Zugang zum Parlamentsgebäude, das abgesperrt worden war. Zuvor hatte drinnen eine hitzige Auseinandersetzung stattgefunden. Allerdings nur zwischen Opposition und Premierminister Sigmundur Davið Gunnlaugsson.
    Alle Oppositionsparteien wollen den Rücktritt des Premierministers
    Außer ihm trat in der etwa zweistündigen Debatte kein einziger Abgeordneter der Regierungsparteien ans Rednerpult. Alle vier Oppositionsparteien forderten den sofortigen Rücktritt der Regierung und Neuwahlen. Die Abgeordneten wurden dabei zum Teil sehr emotional und sprachen den Premierminister immer wieder persönlich an, wie die Vorsitzende der Piratenpartei, Birgitta Jónsdóttir.
    Ihre Partei würde bei Neuwahlen derzeit am meisten profitieren, die Umfragen weisen für die Piraten seit Wochen weit über 30 Prozent aus. Aber auch die anderen – Sozialdemokraten, Links-Grüne und die aus der Spaßpartei hervorgegangene Bjart Framtið rechnen sich deutliche Zuwächse bei Neuwahlen aus. Sie wollen noch diese Woche einen Misstrauensantrag stellen.
    Ob es dazu kommen wird, hängt wohl davon ab, wie der Koalitionspartner, die konservative Unabhängigkeitspartei nun reagiert. Dessen Vorsitzender, Finanzminister Bjarni Benediktsson, selbst auf der Liste der Briefkastenfirmeninhaber, hatte gestern den Flieger von seinem Urlaubsort Florida nach Hause verpasst. Im Telefoninterview mit dem isländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunksender RÚV sprach er davon, dass seine Partei den Unmut der Bürger durchaus spüre…
    Aber er wolle sich am Telefon nicht über seinen Regierungspartner äußern, sondern zunächst persönlich mit dem Premierminister sprechen. Dann würden sie gemeinsam beraten, ob die Regierung noch die notwendige Stärke und Unterstützung genieße um weiterzumachen.
    "Er genießt nicht mehr das Vertrauen der Menschen"
    Wirtschaftsprofessor Thórólfur Matthiasson von der Universität Island kann sich kaum vorstellen, wie Premierminister Sigmundur Davið Gunnlaugsson unter den Voraussetzungen weiterregieren kann:
    "Er genießt nicht mehr das Vertrauen der Menschen, seine Glaubwürdigkeit ist dahin. Und darum wird es schwer, das Amt noch weiter auszuführen. In der gegenwärtigen Situation ist die Regierung mehr mit sich selbst beschäftigt und gar nicht mehr in der Lage ihr eigentliches Programm für die laufende Legislaturperiode durchzuführen und da steht noch einiges aus. Aber alles deutet darauf hin, dass er trotzdem weitermachen will."
    Der Premier weist bisher alle Rücktrittsforderungen zurück. Er betont dabei immer wieder, dass der Vorwurf gar nicht stimme, dass er und seine Frau Geld in einer Steueroase geparkt hätten:
    "Das ist nicht richtig. Es geht in der internationalen Diskussion doch darum, ob Steuern im Heimatland der Inhaber bezahlt wurden oder nicht. Sämtliche Steuern von Wintris sind in Island bezahlt worden und deshalb ist es einfach falsch zu sagen, dass das Vermögen meiner Frau in einer Steueroase ist. Die Steuern sind hier bezahlt worden."
    Hat der Premierminister gegen isländische Gesetze verstoßen?
    Doch auf diesen Aspekt allein komme es gar nicht mehr an, meint Wirtschaftsprofessor Thórólfur Matthiasson. Das Problem vielmehr:
    "Er predigt das eine und macht selbst etwas ganz anderes, und darüber sind viele Menschen sehr aufgebracht. Er hat immer wieder betont wie wichtig die Stabilität der Krone für die isländische Wirtschaft ist und dass die Menschen ihr Geld im Land behalten müssen, aber selbst hat er sein Geld in Dollar und Euro in eine Steueroase gebracht."
    Abgesehen von der Frage, wie moralisch fragwürdig dieser Regierungsstil ist, mag bisher aber noch niemand eine Aussage darüber wagen, ob der Premier dabei auch tatsächlich gegen isländische Gesetze verstoßen hat.