EU geht gegen Justizreform in Polen vor

"Streit um das Kernstück der Demokratie"

Flagge Polens und der EU
Polen und die EU: Derzeit ein eher schwieriges Verhältnis © dpa / picture alliance / chromorange
Adam Krzeminski im Gespräch mit Christine Watty · 20.12.2017
Greift die Europäische Union im Streit mit Polen um die Justizreform zum letzten Mittel? Und muss sich Polen vor Strafmaßnahmen überhaupt fürchten? Nein, meint der Publizist Adam Krzeminski. Denn es gibt ja noch Ungarn.
Nach zwei Jahren Streit berät die Europäische Kommission nun über Strafmaßnahmen gegen Polen. Im Fokus: die Justizreformen der nationalkonservativen Regierungspartei PiS. Diese seien eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit, meint die Brüsseler Behörde.
Menschen in Warschau demonstrieren gegen die von der polnischen Regierung geplante Justizreform.
Proteste in Warschau gegen die von der polnischen Regierung geplante Justizreform© AFP / ANEK SKARZYNSKI
Der polnische Publizist Adam Krzeminski sieht das genauso. Er spricht von einer "Aushebelung der Gewaltenteilung". Die polnische Regierung wolle "auf Biegen und Brechen das Konzept einer konservativen, autoritären Staatsauf- und -verfassung durchsetzen", kritisierte er im Deutschlandfunk Kultur. Es sei ein "Streit um das Kernstück der Demokratie", so Krzeminski.
Die Europäische Kommission droht jetzt mit einem Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge. Das könnte sogar zum Entzug von Stimmrechten führen. Allerdings nur dann, wenn alle anderen EU-Länder sich einig sind. Krzeminski spricht von einem "Papiertiger" – weil Ungarn schon angekündigt hat, Polen in jedem Fall den Rücken freizuhalten. (ahe)


Das Gespräch im Wortlaut:

Christine Watty: Ein handfester Familienstreit in der EU, der tatsächlich dem ähnelt, was sich in echten familiären Konstellationen so tun könnte. Die Austragenden in diesem Fall sind Polen und die EU-Kommission. Die nationalkonservative Partei PiS hat Justizreformen vor, und die EU-Kommission findet, nein, diese Reformen bedrohen die Unabhängigkeit der polnischen Justiz, das geht so nicht. Dann prüfen wir eben eine Strafe mithilfe der Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 7 der EU-Verträge wegen der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung. So was gab es in der EU noch nie, und ich spreche jetzt mit dem Publizisten Adam Krzeminski. Schönen guten Morgen! Wie weit denn ist das Vorhaben der Justizreform denn in Polen überhaupt gediehen? Fangen wir mal ganz grundsätzlich an.

"Aushebelung der Gewaltenteilung"

Krzeminski: Es geht um eine Reform, die seit zwei Jahren forciert wird von der nationalkonservativen Regierung und die eigentlich eine Aushebelung der Gewaltenteilung wird. Es gibt dagegen massive Proteste in der polnischen Gesellschaft, es waren im Sommer Hunderttausende auf der Straße in Hunderten von Städten, und auch jetzt im Winter gibt es Proteste dagegen.
Die Regierung versucht auf Biegen und Brechen, dieses Konzept einer konservativen, autoritären Staatsauffassung und -verfassung durchzusetzen. Und wir stehen jetzt vor einer Entscheidung des Präsidenten, ob er die letzten Novellierungen des Gesetzes annimmt oder ablehnt.
Adam Krzeminski bei der DLF-Sendung "Zur Diskussion - Streitfragen Ost-West" aus dem Zeitgeschichtlichem Forum Leipzig, 15.06.2016
Adam Krzeminski© Deutschlandradio / Nils Heider
Und diese Entscheidung soll dieser Tage getroffen werden. Auf der anderen Seite gibt es in der EU ein Verfahren oder es wurde mit einem Verfahren gedroht, und die Entscheidung soll in diesen Tagen fallen, ob sie tatsächlich in die Wege geleitet wird, Polen mit einem Entzug des Stimmrechts zu bestrafen. Wobei das auch eine vage Bedrohung ist, man könnte sagen, ein Papiertiger, weil Ungarn entschieden hat, ein Veto einzulegen.
Watty: Herr Krzeminski, warten Sie mal ganz kurz eine Sekunde – Sie erzählen ja schon gleich die ganze Geschichte. Ich würde ganz gern noch mal wissen, was denn eigentlich die konkreten Konsequenzen dieser Justizreform wären. Wenn man es ganz konkret sieht.

Unabhängigkeit der Gerichte wird aufgehoben

Krzeminski: Die Konsequenzen sind, dass de factor das ganze Justizwesen von der Regierung und von der regierenden Partei abhängig ist. Also faktisch ist die Unabhängigkeit der Gerichte und die Gewaltenteilung aufgehoben. Und das ist der entscheidende Streitpunkt des ganzen Reformprozesses, der wie gesagt seit zwei Jahren läuft.
Es fing an mit der Außerkraftsetzung des Verfassungsgerichts, de facto. Und jetzt geht es um die Nominierung der Richter und die faktische Obergewalt der Regierung über das Justizwesen. Die juristische Fakultät der Krakauer Universität hat jetzt den Präsidenten aufgefordert, die Novellierung abzulehnen, und die Richter des höchsten Gerichts haben dem Ministerpräsidenten Morawiecki Unwahrheit in entscheidenden Elementen nachgewiesen. Also es ist schon ein Streit um das Kernstück der Demokratie.
Watty: Jetzt haben Sie vorhin schon angedeutet, dass nicht so recht daran geglaubt wird, dass dieses Verfahren nach Artikel 7 so angeregt werden kann, und auch unser Korrespondent sagte in unseren Nachrichten vorhin schon, mindestens wird diese Entscheidung oder voraussichtlich könnte diese Entscheidung erst mal vertagt werden, und man könnte in der EU-Kommission doch noch auf ein Weihnachtswunder hoffen. Hoffen Sie auch darauf? Sehen Sie irgendeine Chance, dass diese Justizreform vielleicht doch noch mal zurückgenommen wird, weil klar ist, dass das Verhältnis sonst zur EU immer schlechter wird und Polen sich weiter von der EU entfernt.

Es kommt jetzt auf den Präsidenten an

Krzeminski: Zurückgenommen wird das alles, was durchgesetzt wurde, erst einmal nicht. Aber die letzte Novellierung, der Schlusspunkt der Reform kann noch von dem Präsidenten abgelehnt werden. Und ich sehe jetzt dieser Tage, heute, morgen, vor Weihnachten, das ist diese Zitterpartie: Wie entscheidet sich der Präsident, und wie entscheidet sich die EU? Es kann sein, dass es ein Weihnachtsgeschenk geben wird.
Watty: Dann wollen wir doch einfach mal auf dieses Weihnachtsgeschenk hoffen an dieser Stelle und ansonsten natürlich weiter beobachten, wie die Streitigkeiten zwischen der polnischen Regierung und der EU-Kommission weitergehen. Ich bedanke mich herzlich beim Publizisten Adam Krzeminski zur Einschätzung der aktuellen Lage.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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