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"Chaos.Cologne Konferenz"
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Immer neue Enthüllungen zum Treiben der Geheimdienste, die Datensammelwut von Internet-Giganten wie Facebook und Google - in den letzten Monaten zeigt die Netzwelt ihre Schattenseiten. Die "Chaos.Cologne Konferenz" - eine Kooperation des Chaos Computer Clubs mit einer Kölner Medienhochschule – will einen neuen Umgang mit der Netzwelt erproben.

Von Thomas Frank | 15.05.2015
    Knapp zwei Jahre liegt sie nun zurück: die Snowden-Affäre. Die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden sorgten für einen Wendepunkt innerhalb der Netzdebatte. Die Utopie vom Internet als Ort der unbegrenzten Möglichkeiten, wie es das Manifest von der sogenannten "Kalifornischen Ideologie" 1995 verkündete, schien endgültig ausgeträumt:
    "Das, was sich grundsätzlich geändert hat, ist, dass so eine gewisse Naivität, eine gewisse Euphorie, was die Möglichkeiten der digitalen Netze und Kommunikation anbelangt im Sinne von basisdemokratischen emanzipatorischen Vernetzungsmöglichkeiten in allerlei Hinsicht, dass sich da die Perspektive geändert hat und man jetzt eigentlich das Gefühl hat: diese ganze Technik ist letztendlich fest in der Hand der amerikanischen Geheimdienste, die letztendlich alles mitschneiden können, was sie wollen."
    Cornelia Sollfrank gilt als "Pionierin der Internetkunst". Seit den 1990er Jahren setzt sie sich mit der digitalen Netzkultur auseinander – sie hackte etwa einen Wettbewerb der Hamburger Kunsthalle, indem sie rund 300 fiktive Künstlerinnen mit Werken teilnehmen ließ, die ein selbst kreierter Netzkunst-Generator erstellte. Oder initiierte eine "performative Urheberrechtsverletzung", indem sie mit demselben Netzkunst-Generator urheberrechtlich geschützte Bildmotive aus dem Internet neu collagiert hat. Sollfrank wird die erste "Chaos.Cologne Konferenz" mit einem Vortrag zu "Kunst und Hacking in der Post-Snowden-Ära" eröffnen. Was Snowden ans Licht gebracht hatte, war vor allem für Netz-Experten nicht sonderlich überraschend. Vielmehr lieferte er mit seinen nach und nach veröffentlichten Dokumenten die Beweise dafür, welche Rechtsbrüche der US-amerikanische Geheimdienst begeht. Alles unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung nach 9/11:
    "Dieses Anti-Terror-Gesetz von 2001 gibt der NSA unglaublich viele Rechte zur Überwachung, zur Bespitzelung und Datenbeschaffung. Das heißt: 65 Prozent dieser ausufernden Überwachung, die mit Terror begründet ist, dient tatsächlich dazu, Wirtschaftsspionage zu machen, Politiker anderer Länder auszuspionieren, die eigenen Bürger auszuspionieren."
    Der Rhetorik der Resignation der "Post-Snowden-Ära" will Cornelia Sollfrank entgegenwirken. Denn das Internet ist weltweit das zentrale Kommunikationsorgan. Gerade deswegen sei es unerlässlich, die Netzdebatte auszuweiten. Neue Inspirationen erhofft sie sich von den Kreativen.
    "Die Hacker, die Künstler, die politischen Aktivsten haben jeweils spezifische Fähigkeiten, die Synergieeffekte entwickeln, wenn die kombiniert werden. Die Hacker haben ganz klar das technische Know how, die Polit-Aktivisten sind einfach sehr gut darin, Informationen zusammenzutragen und zu sortieren und politische Strategien zu entwickeln und die Künstler sind in der Lage, andere Schnittstellen zur Öffentlichkeit zu schaffen."
    Zum "kreativen Widerstand" ruft etwa das Schweizer Künstlerduo Christoph Wachter und Mathias Jud auf.
    Wachter und Jud haben ein eigenes Kommunikationsnetzwerk kreiert, über das alle Menschen miteinander korrespondieren können. Sie können Textnachrichten versenden, anrufen oder Filesharing betreiben. Ohne zentrale Strukturen wie Mobilfunknetze oder Internet-Zugänge. Bei der "Chaos.Cologne Konferenz" bieten die Künstler einen Workshop an, in dem man lernen kann, wie diese "Open Source Software" funktioniert.
    Die beiden Schweizer sind spezialisiert auf künstlerische Online- Community-Projekte. Auf die Idee zu "qaul.net" kamen sie im Zuge des Arabischen Frühlings. Deswegen der Titel: "qaul" ist arabisch und bedeutet "Rede", "Wort", "Spruch".
    "In Ägypten war zum Höhepunkt der Revolution das Internet für viele Tage offline, das heißt, es konnte nicht darüber kommuniziert werden. Facebook und Twitter haben Nutzer gesperrt während dieser Zeit, und zwar Nutzer, die tatsächlich dieser Revolutionsbewegung angehört haben, das heißt, es war nicht so, dass diese Tools eine freie Meinungsäußerung oder eine Demokratie so quasi garantieren."
    Der Arabische Frühling war ihrer Meinung nach nicht die "Social Media Revolution", wie so oft feierlich verkündet wurde. Der große Traum von zensurfreier digitaler Kommunikation blieb auch während der "Arabellion" weitgehend unerfüllt:
    "Weil ganz andere Interessen in diesen Netzwerken selbst, in diesen Infrastrukturen selbst realisiert werden, das sind Firmeninteressen, das sind politische Interessen, das sind auch finanzielle Interessen und diese Situation, eben ein unabhängiges Netzwerk aufzubauen, ist eine, die eigentlich auch keine politische Lobby hat und die eigentlich auch zeigt, wie sehr wir in Strukturen, in Machtstrukturen drin sind. Also bis hinein in die Geräte, wo gewisse Optionen, eigene Netzwerke herzustellen, in den Geräten ausgeschaltet werden, um uns an kommerzielle Anbieter nur noch wenden zu können."
    "Revolution" verstehen Christoph Wachter und Mathias Jud somit als "Denkumbruch", als "Revolution der eigenen Haltung". Die müsse auch in der Netzdebatte stattfinden. Anstatt über die Totalüberwachung durch Geheimdienste zu klagen, politische Kräfte oder Internetgiganten zu denunzieren, solle man lieber über "kreative Gegenstrategien" diskutieren wie etwa dezentrale Kommunikationsnetzwerke. Dann würde auch das oft benutzte Argument, dass die Netzsprache für den "Normalbürger" viel zu kompliziert sei, hinfällig werden. Begriffe wie "DNS-Server", "Device", "Client", "Redirecting", "Ranking" oder "Rating" würden dann zum alltäglichen Sprachgebrauch gehören. Auf der "Chaos.Cologne Konferenz" darf also wieder ein bisschen geträumt werden von der Utopie des freien Netzes.