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Chaos um Präsidentschaftswahl
"Wenn wir so weitermachen, war es das mit Kenia"

In Kenia herrscht Wahl-Chaos. Am 26. Oktober wird die Präsidentschaftswahl wiederholt. Oppositionsführer Raila Odinga tritt nicht mehr an, dafür haben andere Kandidaten vor Gericht ihre Teilnahme erwirkt. Die Verwirrung ist groß, die Angst vor gewaltsamen Auseinandersetzungen rund um die Wahl ebenfalls.

Von Alexander Göbel | 14.10.2017
    Polizisten einer Spezialeinheit treffen am 02.10.2017 in Kisumu (Kenia) auf eine Gruppe von Demonstranten. Im Streit um eine neue Präsidentschaftswahl in Kenia hat die Polizei teils Tränengas gegen Demonstranten eingesetzt. Hunderte Unterstützer der Opposition folgten am Montag dem Aufruf des Oppositionsführers Odinga und gingen in Kenias Hauptstadt Nairobi sowie in anderen Städten auf die Straße.
    Die Demonstranten in Kisumu machen deutlich: Sollte Oppositionschef Raila Odinga auch bei seinem vierten Versuch, Präsident zu werden, scheitern, herrscht Krieg auf der Straße. (dpa)
    Die Polizei setzt Tränengas ein, schießt scharf. Wieder gibt es Tote in Kenia, denn das Chaos um die Präsidentschaftswahl wird immer größer. Auch wenn Proteste inzwischen verboten sind, gehen Teilnehmer der Opposition weiter auf die Straße. "Kein Odinga, kein Frieden", rufen sie in Kisumu, einer Hochburg der Opposition, und sie stellen klar: Sollte Oppositionschef Raila Odinga auch bei seinem vierten Versuch, Präsident zu werden, scheitern, herrscht Krieg auf der Straße.
    Kenia ist in der Krise: Vor ein paar Tagen hatte Odinga verkündet, er steige aus dem Wiederholungs-Rennen um die Präsidentschaft aus. Begründung: Es gibt immer noch kein neues Personal in der Wahlkommission, und Reformen hat es auch nicht gegeben.
    "Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Wahl am 26. Oktober schlimmer sein wird als die vorherige."
    Odingas politischer Gegner, der amtierende Präsident Uhuru Kenyatta, gab sich unbeeindruckt und pochte auf die Verfassung. Danach müssen Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen nach dem ersten Anlauf stattfinden, also spätestens Ende Oktober. Kenyatta:
    "Wir sind bereit, auch wenn Odinga nicht dabei ist. Er hat uns gesagt, es sei sein demokratisch verbrieftes Recht, an der Wahl nicht teilzunehmen. Wir aber sagen ihm: Das Recht des Volkes ist es, in einer Wahl seinen Präsidenten zu wählen!"
    Kenias Staatspräsident Uhuru Kenyatta
    Kenias Staatspräsident Uhuru Kenyatta (dpa / picture-alliance / Michael Kappeler)
    Hinter Odingas Rückzug steckte Kalkül
    Odinga wiederum wollte nicht einfach kleinbeigeben und Kenyatta das Feld überlassen – ganz im Gegenteil: Hinter dem überraschendem Rückzug steckte Kalkül. Odinga berief sich auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes von 2013. Danach verlangt der Rückzug eines Kandidaten von der Wahlkommission, die Wahl abzusagen und von vorne anzufangen. Das heißt: Wahlen frühestens im Januar. Odinga gibt also nicht auf, er will immer noch Präsident werden. Verfassungsrechtler Danstan Omari rauft sich die Haare und fürchtet: Nicht einmal ein neues Urteil des Obersten Gerichts würde beide Seiten in die Schranken weisen:
    "Das Problem dieses Landes ist, dass sowohl die Opposition als auch das Lager des Präsidenten von absoluten Hardlinern in Geiselhaft genommen werden. Es kann hier nur eine politische Lösung geben, juristisch ist diese Krise nicht mehr zu lösen!"
    Inzwischen wird die Verwirrung immer größer. Denn mittlerweile hat ein dritter Kandidat vor Gericht erwirkt, dass auch er bei einer Neuwahl neben Odinga und Kenyatta wieder antreten darf – so wie möglicherweise noch weitere Kandidaten.
    Zu allem Überfluss gibt es nun auch noch ein neues Wahlgesetz.
    "Was soll aus den 45 Millionen Kenianern werden?", fragt Omari. "In diesem politischen Krieg scheint sich keines der Lager wirklich um die normalen Bürgerinnen und Bürger zu scheren!"
    Mitten in diesem Chaos hat die Wahlkommission jetzt entschieden: Die Wiederholungswahl findet wie geplant am 26. Oktober statt. Und Raila Odinga hat das getan, was er immer tut: Er hat zu Massendemonstrationen aufgerufen.
    Ein Unterstützer der Oppositionspartei NASA in Kenia zeigt ein Magazin mit Oppositionsführer Raila Odinga auf dem Cover.
    Tausende demonstrierten für den Oppositionspolitiker Odinga. (AFP / Tony Karumba)
    Welchen Preis zahlt Kenia für diese Krise?
    Und die Lage in Kenia wird immer gefährlicher. Danstan Omari:
    "Die Frage ist: Welchen Preis zahlt Kenia für diese Krise? Die Wirtschaft, die Bevölkerung, die Angst hat, die tiefer gespalten ist als je zuvor?"
    Auf vielen großen Märkten in Nairobi geht schon jetzt nichts mehr. "Diese Wahlen haben uns Geschäftsleuten wirklich geschadet, sagt ein Händler. Alles steht still! Selbst unsere Kinder müssen zu Hause bleiben, weil wir die Schulgebühren nicht mehr zahlen können."
    Bei Wahlen in Kenia droht immer Gewalt zwischen den Volksgruppen. Rund um die Präsidentschaftswahl 2007 gab es mehr als 1.200 Tote. Die Menschen machen sich Sorgen, dass sich ein solches Drama wiederholen könnte.
    "Ich habe Angst vor dem Weg, den dieses Land gerade einschlägt", sagt eine Frau in der Innenstadt von Nairobi. "Ich will nicht, dass wir so abrutschen wie andere Staaten in Afrika. Bis jetzt geht es uns ja im Vergleich noch gut. Aber wenn wir so weitermachen, dann war es das mit Kenia. Wir müssen alle zusammenkommen und diesen Leuten einfach sagen, dass sie aufhören sollen!"
    Mit ihrem Appell an "diese Leute" meint sie längst nicht nur die Demonstranten. Sondern vor allem die Mächtigen.