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"Charakter ist nur Eigensinn"

Manche Buch- und Filmtitel ebenso wie manche Sätze aus der Weltliteratur lassen den Herausgeber der "Tollen Hefte", Armin Abmeier, bis heute nicht los. Seine Lieblingszitate hat er kommentiert - von Karl Valentin über Charles Bukowski bis hin zu Walter Serner.

Von Armin Abmeier | 07.12.2011
    Zu meinen frühesten Erinnerungen gehören die Abende, an denen die Fenster wegen des Krieges verdunkelt waren und an denen mein Großvater mir und meinen Geschwistern Märchen erzählte, vor allem sein Lieblingsmärchen von den Bremer Stadtmusikanten. Später kamen Schillerballaden, immer wieder "Die Bürgschaft", "Der Handschuh" und "Der Taucher" sowie das Versepos "Dreizehnlinden" von Friedrich Wilhelm Weber, das er vollständig auswendig wusste. Gern zitierte er auch aus dem großen Wilhelm Busch Hausbuch, bei dem ich große Probleme mit dem bösen Ausgang der meisten Geschichten hatte:

    Das Gute – dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, was man lässt.

    Bei meinem Großvater entdeckte ich auch den Spaß an Wortspielen und witzigen Formulierungen. Witz und Wortspiel sind auch bei Nadia Budde ein großes Vergnügen. Einem Satz in ihrem neuen Buch kann ich im Hinblick auf meinen Großvater nur zustimmen:

    Wer wen trifft, hat's gut.

    Als Schüler, also in den 50er-Jahren, war ich ein begeisterter Kinogänger. Mit Schuleschwänzen und Spätvorstellungen schaffte ich manchmal drei Vorstellungen an einem Tag. Hilfreich war dabei der Rentnerausweis meines Großvaters, der die Kinokarte jeweils auf 50 Pfennig ermäßigte. Besonders mochte ich – neben Western – Werner Schwiers Serie Aus der Flimmerkiste. Zu meist dümmlichen Zwischentexten gab es da herrliche Stummfilme mit Laurel & Hardy, die damals nur Dick und Doof hießen, Charlie Chaplin und Harold Lloyd. Seltener auch Filme mit Karl Valentin, den ich erst später so richtig entdeckte:

    Die Zukunft war früher auch besser.

    Unvergesslich ist mir der Auftritt Klaus Kinskis Ende der 50er-Jahre in Göttingen. Er endete mit einem großen Debakel. Das Publikum, zum größten Teil Schüler, war durch sein Pathos so irritiert, dass es durch Zwischenrufe und Pfiffe seinen Auftritt kommentierte, sodass Kinski die Veranstaltung unter wüstem Schimpfen abbrach. Bei mir hatten die Gedichte, vor allem die von François Villon, einen solchen Eindruck gemacht, dass ich bis heute ein großer Fan geblieben bin:

    Hör zu, es ist kein Tier so klein, das nicht von dir ein Bruder könnte sein.

    Als Student kaufte ich regelmäßig die Monatszeitschrift POLEN, in der ich Satiren von Slawomir Mrozek fand und neben Zeichnungen und tollen Plakaten – meist zu Filmen oder Theaterstücken – Aphorismen von Stanislaw Lec. Im Kino gab es große polnische Filme, im Neske Verlag Witold Gombrowicz, bei Hanser Bruno Schulz' "Die Zimtläden" und Lecs "Unfrisierte Gedanken":

    Schade, dass man ins Paradies mit einem Leichenwagen fährt!

    Als der Diogenes Verlag in den 60er-Jahren mehrere Kinderbücher von Maurice Sendak herausbrachte, gefiel meiner Tochter Tanja am besten Higgelti Piggelti Pop, die Geschichte von einem Hund, der aus seinem alten Leben ausbricht mit der schönen Erkenntnis:

    Es muss im Leben mehr als alles geben.

    In den 60er-Jahren begeisterte ich mich für die Literatur aus dem Beginn des 20.Jahrhunderts. Ich las und sammelte die Dadaisten und Expressionisten, so Jakob van Hoddis mit seinem eindrucksvollen Gedicht "Weltende" und Texte von Hugo Ball:

    Das Bild ist die Mutter des Wortes.

    1970 arbeitete ich im Melzer Verlag, als Carl Weissner ein kleines amerikanisches Taschenbuch anschleppte. Nach vielen Diskussionen bekam Charles Bukowskis "Notes of a Dirty Old Man" den umständlichen deutschen Titel "Aufzeichnungen eines Außenseiters". Wir fanden einfach nicht den passenden Begriff für den Pennertyp, der auf der Parkbank sitzt und versucht, den Weibern die Beine raufzuschauen. Nach "Der Mann mit der Ledertasche" bei Kiepenheuer und Witsch erschien dann im MaroVerlag die Gedichtsammlung "Gedichte, die einer schrieb, bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang". Bukowski, der Mann mit den tollen Buchtiteln! Mein Lieblingstitel:

    The Days Run Away Like Wild Horses Over the Hills

    Mein Lieblingsautor wurde Walter Serner. In den 80er-Jahren ersteigerte ich in einer Auktion mehrere seiner Erstausgaben (unter anderem "Letzte Lockerung") und beobachtete zum ersten Mal, wie aus meiner (zum Bieten gestreckten) Hand Schweißperlen austraten und den Arm herunterliefen:

    Lust ist der einzige Schwindel, dem ich Dauer wünsche.

    In einem Ant" von Kurt Schwitters aus der Reihe Die Silbergäule. Es war zwar original lithografisch gedruckt, aber auf einem Papier, das die Farbe ziemlich verschluckt hatte. Ich fand es im Gegensatz zu den tollen Gedichten, zum Beispiel Anna Blume, in einem anderen Heft derselben Reihe, nicht sehr attraktiv und tauschte es gegen eine alte Edgar Allen Poe Gesamtausgabe. Später beeindruckte mich bei Schwitters der Satz:

    Ewig währt am längsten.

    Das Werk von Edgar Allen Poe gehörte zu meinem Sammelgebiet Phantastica. Da kamen Bücher der unterschiedlichsten Schriftsteller zusammen, darunter die "Galerie der Phantasten" aus dem Georg Müller Verlag, Die Bibliothek des Hauses Usher, die ich Ende der 60er-Jahre im Insel Verlag initiiert hatte, aber auch Science Fiction, die ich von Kindheit an gern gelesen habe. Diese Sammlung, die im Laufe vieler Jahre auf mehr als 3000 Titel angewachsen war, verkaufte ich dann 1995 aus Platznot an das Antiquariat Hatry in Heidelberg. Darunter viele Bände von Ambrose Bierce, von dem ich, neben seinen unheimlichen Geschichten aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, vor allem Das Wörterbuch des Teufels liebe:

    Allein: in schlechter Gesellschaft.

    In der Galerie der Phantasten entdeckte ich auch Lesabéndio. Ein Asteroiden-Roman, und damit Paul Scheerbart, der viele Jahre (erfolglos) an der Erfindung eines Perpetuum mobile gearbeitet hatte. Seine Katerpoesie war das erste Buch des Rowohlt Verlages, und der legendäre Verleger zitierte noch Jahrzehnte später gerne den Satz:

    Charakter ist nur Eigensinn, es lebe die Zigeunerin

    Zum Bereich des Phantastischen gehörten natürlich auch meine Lieblingszeichner und Maler, an erster Stelle Alfred Kubin, dessen Roman "Die andere Seite" zu meinen wichtigsten Lektüren gehört. Eine überraschende Entdeckung war das zeichnerische Werk von Victor Hugo mit seinen fantastischen Träumen und Visionen, dazu passend:

    Denken ist die Arbeit des Intellekts, Träumen sein Vergnügen.

    In der Phantastica-Sammlung hatte ich bequemerweise auch meine Kafka-Sammlung unter K eingeordnet (und natürlich nicht mitverkauft). Dazu gehörten Gustav Janouchs Gespräche mit Kafka, die der Verfasser aus der Erinnerung aufgezeichnet hatte, mit dem Kafka-Zitat:

    Liebe hat oft das Gesicht der Gewalt.

    F.W. Bernstein, F. K.Wächter und Robert Gernhardt etablierten eine geistreiche Komik, die eine ganze Satirikergeneration prägte und noch heute in der Pardon-Nachfolgerin Titanic fortwirkt. Die Studentenbewegung kommentierten sie auf ihre Weise :

    Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.

    Eine der wichtigsten Kultureinrichtungen in Frankfurt war in den 70er-Jahren das "Kommunale Kino", das Filme u.a. von Rainer Werner Fassbinder und Alexander Kluge zeigte. In Erinnerung ist mir noch heute Kluges Film mit dem großartigen Titel:

    In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod

    Beim Stöbern fand ich im Antiquariat ein kleines Büchlein mit dem seltsamen Titel "Gegen den Strich" von Joris-Karl Huysmans. Seine Zeitgenossen nannten es "das Brevier der Dekadenz", und Oscar Wilde hat den Roman in seinem "Das Bildnis des Dorian Gray" zu dem "schwarzen" Buch gemacht, von dem der junge Dorian Gray verführt wird. Mich beeindruckte in "Gegen den Strich" am meisten die Begründung, warum Des Esseintes eine geplante Englandreise abbricht, nachdem er in einer Pariser Kutscherkneipe genau die Dickenssche Atmosphäre antrifft, deretwegen er nach London reisen wollte:

    Wozu sich bewegen, wenn man so schön auf einem Stuhl reisen kann?

    Gertrude Stein war bekannt für ihren Eigensinn: Was ihr gefiel, setzte sie durch. Die moderne Kunst, je weniger akzeptiert, machte sie desto mehr zu ihrer eigenen Sache. Beim Schreiben setzte sie die Wörter so in Szene, dass man glauben konnte, sie hätte gerade erst schreiben gelernt, und in ihren Privaträumen tummelte sich die Avantgarde, darunter lauter von mir bewunderte Autoren der "Lost Generation" wie Hemingway, Fitzgerald, und Pound. Als Gertrude Stein 1907 Alice B.Toklas als Sekretärin einstellte, die bald auch sämtliche Haushaltsarbeiten übernahm, fing eine Liebesgeschichte an, die 1908 in einen Heiratsantrag mündete. 1913 schrieb Gertrude Stein das Gedicht Sacred Emily, wie üblich in kleinen Lettern, und schrieb darin zärtlich über eine Frau:

    rose is a rose is a rose is a rose

    1995 trug ich den ganzen Sommer ein T-Shirt mit einem Zitat aus den eben erschienenen Memoiren von Groucho Marx:

    Outside of a dog, a book is man's best friend. Inside of a dog it's too dark to read.

    Ein Zitat von Francis Picabia, das schon lange zu meinen Lieblingszitaten gehört, passt gut zu dem spätdadaistischen Künstler, der sich gern zeitgeistig den verschiedensten Kunstströmungen angepasst hat

    Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.