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Charakterstudie von Marilyn mit Musik in drei Bildern

Janine Brogt als Librettistin und Robin de Raaff als Komponist haben mit handwerklichem Geschick eine neue Opéra comique vorgelegt. Sie erzählt von Marilyn Monroe: ihrer steilen Karriere, den Suchtproblemen und wie sehr sie Spielball von Männerinteressen war.

Von Frieder Reininghaus | 10.06.2012
    "Some like it hot" – der Titel der flimmernden Komödie, die sie weltberühmt machte, sollte tunlichst nicht als Motto über eine Stilisierung ihres Lebens gestellt werden; eher schon "Nobody is perfect": Norma Jean Mortensen, 1926 geboren in Los Angeles, fing als Fotomodell an und machte als Marilyn Monroe eine steile Karriere. Konträr zu den Erscheinungsbildern, die sie in Filmen abgab, war sie wohl eine von Lebensängsten besetzte Frau, zögerlich und fast immer zu spät dran aus tief sitzender Furcht. Was die zunehmend von Alkohol und Medikamenten abhängige Schauspielerin und Dichterin wirklich fühlte und dachte, wurde von ihr einem Tonbandgerät anvertraut – und nur diesem.

    Vor 50 Jahren, am 5. August 1962, starb dieses ‚Idol’ der 50er-Jahre einsam in der Heimatstadt, gerade einmal 36 Jahre alt. Das gab den äußeren Anstoß für eine "Charakterstudie" mit Musik in drei Bildern, in der es die Protagonisten dann doch immer wieder recht heiß mögen.

    Janine Brogt, die Librettistin, griff gleich zum Auftakt mitten ins volle und zugleich leere Schauspielerinnenleben, der Komponist Robin de Raaff in die Arsenale der elaborierten Kino-Musik: Im Hollywood-Studio von Mr. Fox wartet man auf Miss Monroe, die aus noch unbekannten Gründen vom pünktlichen Erscheinen am Set abgehalten wird. Dann sieht und hört man die sensible Primadonna bei einem Foto-Shooting vor einem Brunnen und Pflanzenrabatten als Botticellische Venus posieren. Laura Aikin beglaubigt dies als bestens geeignete Sängerdarstellerin, dann die Arbeitshemmungen beim anschließenden Dreh.

    Für Laura Aikin, die dem Aussehen der Ausnahmeschauspielerin recht nahe kommt, wurde von de Raaff eine vielgestaltige Titelpartie komponiert: Sie stützt sich auf Parlando wie auf große Cantilene. Treffsicher wurde das legendäre "Happy Birthday" zum Präsidentengeburtstag verkürzt und travestiert. Gegeneinander abgesetzte Klangfiguren kommentieren die Höhen und Tiefen der biografisch verbürgten Seelenzustände: Naive diatonische Motive wechseln mit großer Sprunghaftigkeit. Momente moderner stimmartistischer Virtuosität würzen den Tonsatz ebenso wie barocke Kadenzfloskeln.

    Der zweite Teil beobachtet und belauscht Marilyn in ihrer Garderobe: Die Suchtprobleme der Primadonna treten ungeschminkt zutage, auch: wie sehr sie Spielball von Männerinteressen war. Realistische Szenen im Büro des Produzenten Fox, den Dale Düsing mit strapazierter Stimme als zweischneidige Vaterfigur pointiert, alternieren mit surrealen Szenen, in denen der Vater oder auch Clark Gable, der Ex-Ehemann und insbesondere die Gebrüder Kennedy, Präsident und Justizminister, alles andere als vorteilhaft abschneiden.

    Janine Brogt und de Raaff haben mit bemerkenswertem handwerklichem Geschick eine neue Opéra comique vorgelegt, die Kammerspielqualitäten entwickelt. Die junge Regisseurin Lotte de Beer erzählt die Episoden aus dem Leben der Marilyn getreu in einer flexiblen Kulisse aus dem Geist der frühen 60er-Jahre, von dessen nostalgischer Anmutung das Projekt profitiert. Insbesondere dort, wo die gute alte Boulevard-Komödie noch einmal herbeizitiert wird. Hätte die Monroe sparsamer mit sich umgehen können und müssen? Die Frage ist müßig, da sie sich für das Leben am Limit entschied und Paula, ihre Dramaturgin, irgendwann als Retterin aus den Nöten des Exzesses nicht zu Hilfe eilte. Zu den musikalischen Glanzerscheinungen gestern Abend in Amsterdam gehörte schließlich auch der Auftritt der aus dem Bett auftauchenden Hendrickje Van Kerckhove als junge Norma – als Erinnerung an die erste Blüte des Starlets und als Hinweis auf einen ewigen Kreislauf: Aufstieg oder Fall – wer zahlt die Spesen?