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"Charlie Hebdo"
"Kraft zur Zuspitzung wird fehlen"

Für die Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" werde es schwierig werden, weiterzuarbeiten, sagte der Kölner Karikaturist Wilhelm Schlote im DLF. Dennoch gebe es sicher eine Zukunft. Der Strich der Karikaturen werde weniger "krass und radikal" sein und einen poetisch-philosophischen Charakter haben.

Wilhelm Schlote im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.01.2015
    Der Karikaturist und Zeichner Wilhelm Schlote.
    Der Karikaturist und Zeichner Wilhelm Schlote. (Deutschlandradio/Töniges)
    Karikaturisten seien in Frankreich Künstler, sagte der Kölner Karikaturist Wilhelm Schlote im DLF, der mit dem ermordeten "Charlie Hebdo"-Zeicher Georges Wolinski befreundet war. Ihre Arbeiten hätten demnach einen künstlerischen Stellenwert, den sie so in Deutschland nicht besäßen. Die Attentäter von Paris hätten mit ihrem Attentat auf "Charlie Hebdo" Paris dort getroffen, wo es am sensibelsten sei - in seiner Seele.
    "Charlie Hebdo" sei vor dem Anschlag vielen Franzosen zu "krass gewesen - auch in seinem Strich, in seinen Zeichnungen." Die Zeitschrift werde aber eine Zukunft haben. Junge Künstler werden in die Redaktion kommen, die nicht mehr die "Kraft der Zuspitzung" haben werden wie ihre ermordeten Kollegen. Die Karikaturen werden einen eher poetisch-philosophischen Charakter haben, sagte Schlote.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Acht Redaktionsmitglieder von "Charlie Hebdo" starben bei dem Attentat vor einer Woche. Doch schon einen Tag später haben die Überlebenden beschlossen, weiterzumachen, und so erscheint heute die neue Ausgabe des Magazins mit dem Propheten Mohammed auf der Titelseite. Sie zeigt ihn mit einer Träne in den Augen, einem Schild mit der Aufschrift "Je suis Charlie" in den Händen, dazu die Überschrift "Tout est pardonné", Alles ist vergeben. Bei mir im Studio der Zeichner und Illustrator Wilhelm Schlote. Schönen guten Morgen.
    Wilhelm Schlote: Guten Morgen.
    Barenberg: Herr Schlote, wir haben gerade gemeinsam draufgeschaut, heute abgedruckt auch bei uns in Zeitungen gesehen. Was halten Sie von diesem Titelblatt? Hat Sie das angesprochen, als Sie das heute gesehen haben?
    Schlote: Ja. Ich habe es gemeinsam gesehen mit einer französischen Freundin, die auch in Köln-Sülz wohnt, Dominique, und wir beide schauten uns an, tief in die Augen, und sagten, wir verstehen's nicht und wir sind ein bisschen ratlos. Ist vielleicht aber auch eine neue Zeit, die für "Charlie Hebdo" jetzt anbricht, und neue Zeichner haben neue Aussagen. Den Titel habe ich nicht verstanden, nein.
    "Das war eine eingefleischte Gruppe"
    Barenberg: Sich selbst treu bleiben und doch weiter lachen können. So hat Chefredakteur Gerard Briard die schwierige Vorbereitung dieser Ausgabe heute umschrieben, das Ziel beschrieben. Wie schwierig muss man sich das vorstellen für die, die nach diesem Attentat noch für "Charlie Hebdo" arbeiten können?
    Schlote: Das ist enorm schwierig, weil ja wirklich der Kern getroffen wurde, besonders mit den vier Zeichnern, die ermordet wurden, und das war ja eine, wie soll ich sagen, eingefleischte Gruppe, die sich gegenseitig kreativ beeinflusst haben. Ich persönlich glaube, dass es sehr schwierig ist, weil wie gesagt diese Zeichner sich regelmäßig getroffen haben, und nicht nur in der Redaktion, sondern natürlich auch im Bistro und, wie wir alle, die auf Papiertischdecken immer die ersten Entwürfe machten. Ich sehe es als sehr schwierig an, ja.
    "Sie haben Paris an der Stelle getroffen, wo Paris am sensibelsten ist"
    Barenberg: Sie haben in der Sonntagsausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" beschrieben, wie man sich diesen Freundeskreis zusammen mit Georges Wolinski und den anderen Künstlern und Schriftstellern vorstellen muss, und Sie haben betont, dass das für Sie so etwas wie die Seele von Paris, so haben Sie es genannt, gewesen ist. Was haben Sie damit gemeint, mit dieser empfindsamen Seele von Paris, die in dieser Redaktion versammelt war?
    Schlote: Ich habe das gestern bei einer Talkshow gehört. Ich weiß nicht, ob derjenige, der es gesagt hat, meinen Artikel gelesen hat, aber er sprach auch von der Seele von Paris, und man kann es in Deutschland nicht ganz nachempfinden, was das ist. Ich bin 79 nach Paris gegangen. Übrigens war ich 35 Jahre in Frankreich, nicht 25, eine kleine Korrektur. Sie haben Paris an der Stelle getroffen, wo Paris am sensibelsten ist. Ich bin damals nach Paris gegangen, weil all meine Zeichnerfreunde, meine Kollegen - wie man in Frankreich so schön sagt, Confrère -, die saßen dort und ich habe sehr, sehr schnell Kontakt bekommen und es war wunderbar, mit ihnen zusammen in Bistros zu trinken und zu zeichnen und immer wieder neue Ideen zu verwirklichen, und das alles im Sinne unseres Urvater-Zeichners, wenn man so will, Jean-Maurice Bosc. Er ist für mich einfach der politische Zeichner gewesen in den 60er-Jahren.
    Barenberg: Und hat das auch einen ganz anderen Stellenwert, sozusagen die politische Karikatur, diese Art von Satiremagazin?
    Schlote: Ja. Ich glaube, es ist so, dass es einen künstlerischen Stellenwert hat, den es hier in Deutschland nicht so gibt. Wir haben ja mehr dieses Katalogsystem. Da gibt es ganz oben diese Schublade Kunst. Dann kommt die Schublade vielleicht Illustration, Comic und so weiter nach unten. Aber in Frankreich ist es ganz hoch angesehen. Das sind wirklich Künstler, die wirklich einen Stellenwert haben.
    Wenn wir die Zeit haben, ich weiß es nicht, eine ganz kurze Anmerkung nur, eine kleine Geschichte, woran sie sehen, wie wichtig das ist. Richard Gere hat mal den großen Maler Balthus interviewt, und am Ende dieses Interviews fragte Richard Gere: Maître Balthus, wer ist für Sie der größte Künstler des 20. Jahrhunderts? Und er hat gesagt, da sage ich sofort Hergé. Sie wissen: Tim und Struppi oder Tintin und Milou.
    "Der Akt selbst ist furchtbar, aber ich glaube, es gibt wieder eine Zukunft"
    Barenberg: Sie haben - das habe ich schon erwähnt - beschrieben, wie dieser Freundeskreis funktioniert hat. Sie haben auch beschrieben, wie viel Mut und Kraft sich aus dieser Gruppe ergeben hat Ihrer Ansicht nach. Wie schwer wird es jetzt sein, daran anzuknüpfen, wo diese Verletzung sozusagen passiert ist?
    Schlote: Wenn man diese Demonstration gesehen hat - in Frankreich sagt man ja Manifestation -, dann muss ich sagen, das ist ein neuer Boden, der geschaffen wurde, der für mich sehr, sehr positiv klingt. Ich glaube, dass man wieder, dass viele wieder zurückkehren können zum Bleistift, zum Buntstift, zum berühmten Bic, dem Kugelschreiber in Frankreich. Das sehe ich als sehr positiv an. Der Akt selbst ist furchtbar, aber ich glaube, es gibt wieder eine Zukunft, ja.
    Barenberg: Weil wir auch vorhin schon darüber gesprochen haben, die Zeitung war im Grunde, das Magazin war im Grunde Pleite.
    Schlote: Richtig. Das Magazin war Pleite und das hängt natürlich auch ein bisschen damit zusammen: Vielen war es zu direkt, zu scharf, manchmal zu brutal ein bisschen, und das hat sich auch in Frankreich so verbreitet. Wolinski war noch einer der zartesten Zeichner in dieser ganzen Gruppe, muss ich sagen, der sich ja auch mehr um die Erotik gekümmert hat bei "Charlie Hebdo" und nicht so sehr um den politischen Teil.
    Barenberg: Viele Muslime stören sich generell an Karikaturen, an Abbildungen des Propheten. Glauben Sie, dass es eine Diskussion auch in Frankreich gibt, auch wenn man bedenkt, wie radikal "Charlie Hebdo" das gemacht hat, religionskritisch von Anfang an, eine Diskussion darüber, ob die Grenzen neu justiert werden müssen in einem multikulturellen Land?
    Schlote: Ich glaube, diese Diskussionen, ob jetzt etwas zu weit gegangen ist oder nicht, die sind eigentlich damals in den 60ern abgeschlossen worden, und das war die Geschichte mit Bosc, dass er diese Militärzeichnungen gemacht hat und Charles de Gaulle in keinster Weise darüber erfreut war und gegen ihn vorgegangen ist. Danach sind die Leute auch auf die Straße gegangen und man hat eigentlich Karikaturen nie mehr so kritisiert, dass man sagte, nein, das geht zu weit, das wollen wir nicht. Da war ein Freiraum, ein unglaublicher Freiraum. Nur: Andere, wie soll ich jetzt sagen, Satirezeitschriften sind vielen Franzosen lieber als "Charlie Hebdo", weil sie nicht so krass sind, auch vom Strich her nicht so krass sind.
    Barenberg: Und gefährlich möglicherweise, denn Sie haben auch beschrieben, dass Ihnen selber manchmal Angst wurde, Sie Angst hatten, weil "Charlie Hebdo" so in gewisser Weise radikal gezeichnet hat.
    Schlote: Ja. In unserer kleinen Gruppe, die sich regelmäßig im Mareile getroffen hat, in einem kleinen Bistro - ich darf den Namen sagen: Fer A'Cheval -, da war es so, dass die Angst nicht unbedingt da war, weil wir gemischt waren. Da waren Muslime, da waren Juden. Ich als Deutscher hatte übrigens auch meine Probleme, hatte immer leichte Schuldgefühle, wenn ich dabei war, aber die sind mir dann schnell genommen worden. Insofern war das eine so homogene und gute und tolle und kreative Gruppe, dass dort keine Angst zu spüren war, nein.
    "Diese Zeitschrift kann wieder ein ganz großer Erfolg werden"
    Barenberg: Der Anwalt des Blattes hat dieser Tage von einem Recht auf Blasphemie gesprochen. Auf der anderen Seite gibt es jetzt die allgemeine Angst vor weiteren Anschlägen. Es gibt Kritik natürlich auch an diesem Titelblatt wieder. Die wird schon laut. Wie kann es weitergehen und haben Sie die Sorge, dass die Kraft zur Zuspitzung jetzt fehlen wird, infrage gestellt wird?
    Schlote: Die wird ganz sicher fehlen. Das wird ganz sicher fehlen, weil einmal kommen jüngere Leute jetzt dort hinein in diese Redaktion. Und ich glaube, man darf nicht vergessen, dass besonders in Paris die Karikatur oder die kritische politische Zeichnung immer etwas auch mit Poesie zu tun hatte. Die Qualität der Zeichnung war meist poetischer Natur. Diese Poesie ist ein Schwerpunkt der Zeichnung und nur bei "Charlie Hebdo" war es so krass manchmal und man hatte ein bisschen diese Poesie vermisst. Aber jetzt glaube ich, durch neue Leute könnte es sein, dass es wieder auf eine andere Linie geht, auf eine poetisch-philosophische politische Linie. So könnte man es sagen, poetisch, philosophisch, politisch.
    Barenberg: Ist das, was Sie dem Blatt "Charlie Hebdo" wünschen würden für die Zukunft?
    Schlote: Absolut, ja. Absolut, weil ich glaube, gerade der Boden in Paris ist dafür bereitet, da diese Zeitschrift wieder ein ganz großer Erfolg werden kann. Und es gibt ja sehr viele. Sie müssen ja wissen, es gibt ja "Le Fou", es gibt "Pilote", es gibt so viele Karikaturzeitschriften in Paris, dass auch die Konkurrenz groß ist. "Charlie Hebdo" hat sich so ein bisschen nach außen hin geschoben, nicht sich selbst, aber die Öffentlichkeit hat es so gesehen, und jetzt könnte es wieder eine ganz hervorragende Zeitschrift werden für alle Altersgruppen. Das muss ich auch noch dazu sagen. Lassen Sie mich das eben noch erwähnen. Meine Freundin Dominique, von der ich eben gesprochen habe, hat mir gesagt, als ich sagte, mein Gott, dieser Terroranschlag ist einfach ein Grauen und besonders Wolinski, mein Freund, ist gestorben. Da sagte sie, meine Mutter ist 87 Jahre alt und sie hat geweint am Telefon, weil auf ihrem Tisch jeden Mittwoch lag "Charlie Hebdo", und das finde ich eine wunderbare Sache. Eine 87-Jährige hat es regelmäßig gelesen und sie wird es weiter lesen jetzt.
    Barenberg: Der Zeichner und Illustrator Wilhelm Schlote heute Morgen hier im Studio. Vielen Dank für den Besuch, Herr Schlote.
    Schlote: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.