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Charlotte Gainsbourg auf Europa-Tour
Das Lampenfieber überwinden

Sie zehrt nicht nur vom Ruhm ihrer Eltern Serge Gainsbourg und Jane Birkin: Charlotte Gainsbourg ist selbst erfolgreiche Schauspielerin und Musikerin, die derzeit durch Europa tourt. Eine Frau mit Haltung: „Diese kriegsähnlichen Zustände finde ich traurig“, sagt sie zu den Protesten der „Gelbwesten“.

Von Marcel Anders | 15.12.2018
    Musikerin und Schaupspielerin Charlotte Gainsbourg in einem mondänen Hotelzimmer
    "Früher hatte ich Todesangst auf der Bühne": Musikerin Charlotte Gainsbourg (picture-alliance/dpa/Britta Pedersen)
    Charlotte Gainsbourg: "Ich bin nicht besonders gut darin, über Politik zu reden – und ich hasse es, wenn Schauspieler irgendwelche dummen Kommentare abgeben. Aber ich verstehe, wofür die Gelbwesten kämpfen. Es ist eine schwierige Zeit für die Leute – wie für die Regierung. Sie kann sich auf nichts einigen und muss viele Entscheidungen zurücknehmen. Nur: Diese kriegsähnlichen Zustände, dieses Zerstören von Geschäften in Paris, finde ich traurig. Da kann ich nicht zustimmen. Gewalt ist nicht okay"
    Auf den ersten Blick hat Charlotte Gainsbourg etwas Mädchenhaftes, Unbekümmertes. Dabei ist sie eine dreifache Mutter und ein Entertainment-Profi mit 35 Jahren Berufserfahrung. Ein charmanter Gesprächspartner – aber auch einer mit Meinung, mit Kanten und Tiefe. Jemand, der sich nicht hinter einer glamourösen Fassade versteckt, keine Starallüren hat und keine Aufpasser braucht. Momentan tourt sie durch kleine europäische Konzerthallen, um eine bessere Musikerin zu werden und ihr Lampenfieber zu überwinden.
    Todesangst auf der Bühne
    "Früher hatte ich Todesangst auf der Bühne - heute bin ich nur noch nervös, was ganz normal ist. Ich habe gehört, es wäre ein schlechtes Zeichen, wenn man das nicht mehr ist. Und ich entwickle richtigen Spaß daran, was einer Revolution gleichkommt – eben die Musik zu genießen, gerne Klavier zu spielen, Teil einer Band zu sein und richtig singen zu können, weil mir die Angst nicht mehr den Atem raubt. Zum ersten Mal liebe ich, was ich tue."
    Eine Entwicklung, die mit Erfahrung und Selbstbestätigung einhergeht. Damit, nicht mehr mit ihren berühmten Eltern verglichen zu werden, sondern auf eigenen Beinen zu stehen und eigene Ausdrucksform zu finden. Wie den sphärischen Elektro-Pop ihres letzten Albums "Rest" von 2017 - eine Hommage an ihre verstorbene Halbschwester Kate Barry. Ihre aktuelle EP "Take 2" versteht sich als Fortsetzung - mit Outtakes, Live-Stücken und einem Cover von Kanye Wests "Runaway". Ein Künstler, für dessen Eskapaden sie kein Verständnis hat.
    "Jedesmal, wenn ich etwas von Kanye höre, denke ich: 'Hat er das wirklich gesagt?' Trotzdem mag ich seine Songs und er selbst ist ein Genie. Von daher vergebe ich ihm einiges. 'Runaway' war übrigens ein Betriebsunfall: Ich brauchte ein Cover für eine TV-Sendung – und das war das Beste, was mir einfiel. Ein Song aus einer männlichen Perspektive, dem ich eine weibliche Stimme verpasst habe. Ein großer Spaß."
    Spaß als Motor. Ein Ansatz, dem Charlotte Gainsbourg nicht nur in der Musik folgt, sondern auch vor der Kamera. Da blickt sie auf über 50 Filme zurück. Die meisten davon Arthouse-Material statt Hollywood-Kino. Wie ihre Arbeit mit Regisseur Lars von Trier in "Melancholia". Oder "My Stupid Dog" mit Lebenspartner Yvan Attal. Ein Werk, das im März erscheint.
    "Ich habe mich durchaus an Hollywood-Produktionen versucht – etwa 'The Snowman' oder 'Independence Day'. Das war aufregend, weil es so groß war. Aber es ist nicht mein Ding. Ich möchte mich nicht in sicheren Gewässern bewegen, sondern mit Leuten arbeiten, die mich interessieren und die aufregend sind. Ich will nicht meine Seele verkaufen, um Rollen in Hollywood zu bekommen."
    "Paris ist meine Heimat"
    Aktuell lebt Charlotte mit ihrer Familie in New York. Ein Ort, den sie als Exil gewählt hat, weil sie sich in Paris unter ständiger Beobachtung fühlt. Doch inzwischen hat auch ihre Begeisterung für den Big Apple merklich nachgelassen.
    "Nach vier Jahren hat sich mein Bild von Amerika verändert – ich sehe jetzt, wie Leute leiden, wie sie für ihre Rechte kämpfen müssen und wie viel Geld sie zum Überleben brauchen. Insofern werde ich da nicht mehr lange bleiben. Gleichzeitig weiß ich aber nicht, wohin. Klar, Paris ist meine Heimat, aber es ist auch toll, nicht zu Hause zu sein."
    Charlotte Gainsbourg live: Am 18.12. gibt sie ein rares Deutschland-Konzert im Kölner Gloria.