Donnerstag, 18. April 2024

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Charlotte Knobloch wünscht sich Geschlossenheit zum NPD-Verbot

Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, begrüßt den neuen Schwung in der Debatte um ein Verbot der rechtsextremen NPD. Ein Verbot hätte auch seine Nachteile, es wäre aber "wahrscheinlich in der heutigen Zeit die richtigere Entscheidung", sagte Knobloch. Entscheidend sei ein überparteiliches Vorgehen gegen die NPD.

Moderation: Margarete Limberg | 13.04.2008
    Das Interview mit Charlotte Knobloch sendet der Deutschlandfunk ab 11.05 Uhr.

    Margarete Limberg: Frau Knobloch, Sie sind jetzt seit fast zwei Jahren Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland - ein "Rund um die Uhr"-Job mit enormen Belastungen und Herausforderungen. Wenn Sie jetzt eine erste Bilanz ziehen: Hat sich dieser Einsatz gelohnt?

    Charlotte Knobloch: Nicht nur er hat sich gelohnt, sondern dieser Einsatz lohnt sich noch immer.

    Limberg: Was ist für Sie das Befriedigende an dieser Arbeit?

    Knobloch: Mein Kontakt mit den Menschen in der gesamten Bundesrepublik, und vor allem mit den jungen Menschen, vor allem mit den Schulen - das ist wirklich, muss ich sagen, etwas, was mich immer wieder überrascht und mich auch immer wieder freut, auch wenn manchmal sehr direkte Anfragen von Schülern oder von jungen Menschen mich erreichen, die ich aber auch sehr gerne entgegennehme - ich will nicht sagen, dass sie provokativ sind, aber sie ähneln manchmal provokativen Fragen. Die nehme ich sehr gerne entgegen, weil ich sehe, dass man gewisse Vorbehalte nur in einem Dialog und in einem Frage- und Antwortspiel ausräumen kann.

    Limberg: Und Sie haben dann auch den Eindruck, dass das, was Sie erwidern auf provokative Fragen, ankommt?

    Knobloch: Den Eindruck habe ich, weil ich dann manchmal höre von Schülern, die nach einem solchen Vortrag oder einem solchen Dialog auf mich zukommen und sagen: "Toll haben Sie das gemacht, dass Sie gerade auf meine provokative Frage eine Antwort gegeben haben, und jetzt haben wir ein ganz anderes Bild von Juden in Deutschland. Wir haben ja keine Juden gekannt."

    Limberg: Ihre Vorgänger, sowohl Ignatz Bubis wie auch Paul Spiegel, wurden ja oft in der Rolle einer moralischen Instanz gesehen und auch in eine solche Rolle gedrängt.

    Knobloch: Also, man ist schon verschiedenen Fragen ausgesetzt, die wirklich nicht einer Führung der jüdischen Gemeinschaft in München zustehen oder zustehen sollten. Ich finde, eine moralische Instanz kann man nicht verliehen bekommen, die muss man sich erarbeiten. Und ich sehe mich auch nicht als moralische Instanz, sondern ich sehe mich als einen Mensch unter Menschen. Und das ist das, was mich sehr positiv beeinflusst.

    Limberg: Frau Knobloch, es gibt einen Holocaust-Gedenktag, es gibt Gedenkstätten und Mahnmale, es gibt Unterrichtsmaterialien von oft hervorragender Qualität - im Grunde unendlich viele Möglichkeiten, sich über den Holocaust zu informieren und sich damit auseinanderzusetzen. Dennoch zeigen Umfragen, vor allen Dingen auch unter Jugendlichen, oft eine erschreckende Unwissenheit. Was läuft da falsch?

    Knobloch: Ich habe ja immer wieder in meinen Vorträgen auch angemahnt, dass man genau das jüdische Leben in Deutschland nicht nur über die Shoa definieren sollte, weil wir wissen, dass junge Menschen heutzutage, wenn dieses Thema im Unterricht oder in sonstigen Erziehungsbereichen stattfindet, dass Jugendliche sagen: "Ja, was haben wir denn eigentlich damit zu tun, wir wollen nichts davon hören." Und das ist anscheinend der Fehler, dass das Judentum, das jüdische Leben, nur über die Shoa definiert wurde - im Unterricht meine ich jetzt. Und das sollte man in erster Linie mal ausweiten auf das Entstehen des Nationalsozialismus bereits in den 20er Jahren, in den frühen 20er Jahren. Da gibt es sehr viel Literatur über dieses Thema, so dass es viele Möglichkeiten gibt, analog zu der heutigen Zeit, sprich NPD und Rechtsradikalismus, dass man wirklich sehen kann: Wie konnte es passieren, dass ein Volk der Dichter und Denker einem solchen Verbrecher gefolgt ist?

    NPD-Verbot wäre wahrscheinlich "die richtigere Entscheidung"
    Limberg: Sie haben gerade angesprochen die NPD. Es wird sehr heftig wieder über ein Verbot dieser Partei diskutiert. Ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist 2003 gescheitert, und zwar damals wegen des Einsatzes von V-Leuten des Verfassungsschutzes in den Strukturen der Partei und der Verwertung von deren Erkenntnissen. Die Aussichten, dass ein neues Verfahren in Gang kommt, sind ja im Augenblick eher zweifelhaft, es gibt einen heftigen Streit zwischen den Parteien. Wie sehen Sie das?

    Knobloch: Ich finde, dieses Thema müsste überparteilich beschlossen werden und in Angriff genommen werden. Das ist meine persönlich Meinung, auch die Meinung des Zentralrates, also des Präsidiums. Für mich ist die Tatsache, dass sich jetzt doch etwas bewegt, entgegen der Zeitungsmeldungen, der Medienmeldungen der letzten Tage, so dass die einzelnen Bundesländer ihre Erfahrungen beziehungsweise ihre Unterlagen dem Bundesinnenminister vorlegen. Und ich gehe davon aus und habe begründete Ansichten, dass auch die CDU in der nächsten Zeit sich doch bereit erklärt, auch ihre Unterlagen vorzulegen, so dass man dann entscheiden kann: Hat das NPD-Verbot eine Aussicht im juristischen Sinn, oder muss man noch etwas abwarten, was natürlich auch im Raum steht - das Thema "noch etwas abwarten".

    Limberg: Es wird ja immer wieder argumentiert, dass man eben wegen des Verfassungsgerichtsurteils von 2003 im Falle eines neuen Verbotsverfahrens die V-Leute abziehen müsse aus den Strukturen der Partei, und das sei im Grunde unverantwortlich. Was erwidern Sie auf dieses Argument?

    Knobloch: Dass man heutzutage nur die Meinungen und die Aussagen der NPD-Vorderen sich zu Gemüte führen muss, und ich glaube, dann braucht man keine V-Leute, um zu beweisen, welche Richtung diese Partei einnimmt und wie antidemokratisch und gefährlich diese Partei ist. Und ein Verbot, das auch seine Nachteile hat, das weiß ich auch, aber ein Verbot wäre wahrscheinlich in der heutigen Zeit die richtigere Entscheidung - mit all den Nachteilen, die auch mir bekannt sind. Die Anhänger werden sich in den Untergrund verlieren in erster Linie, nachdem die Situation mit der NPD heutzutage schon so weit fortgeschritten ist, dass sie sich in den Länderparlamenten einfindet, dass sie in den Kommunalparlamenten ist und dass sie mit dem Geld der Steuerzahler die Möglichkeiten hat, ihre verbrecherischen Ideen in die Öffentlichkeit einzubringen. Das ist ein Thema, das schon früher hätte zur Entscheidung kommen müssen. Es ist nicht gelungen, aber ich hoffe, das wir doch in einiger Zeit dazu kommen werden, diese Leute aus dem Verkehr zu ziehen.

    Limberg: In letzter Zeit wurden führende NPD-Politiker mit strafrechtlichen Verfahren überzogen. Die Partei ist in großen finanziellen Schwierigkeiten, die Finanzen sind zerrüttet aus verschiedenen Gründen. Ist dies nicht der schnellere und wirksamere Weg, ihrem Treiben ein Ende zu bereiten, indem man sie an dieser Stelle packt?

    Knobloch: Ja, aber auf diese Ereignisse haben natürlich die demokratischen Parteien und die demokratisch gesinnten Menschen keinen Einfluss, und deswegen müssen diejenigen, die das Verbot anstreben, auch die nötige Unterstützung haben.

    Limberg: Wenn Sie jetzt den Streit der Parteien Revue passieren lassen: Ist das etwas, was eher der NPD nützt?

    Knobloch: Wenn man den Aussagen der Führungsleute der NPD Glauben schenken sollte, die das natürlich befürworten, dass jede Aktivität gegen die NPD ihnen nur nützt, dann müsste man dem Folge leisten. Ich bin nicht der Meinung. Ich bin der Meinung, dass man wirklich nur ganz gezielt gegen diese Rechtsextremisten und Rechtsradikalen vorgehen muss. Und das wäre mein Vorschlag für alle, die sich dafür auch einsetzen .

    Limberg: Frau Knobloch, es gibt in jedem Jahr eine enorme Zahl von antisemitischen, ausländerfeindlichen und rechtsextremistischen Gewalttaten, Schmierereien, das Internet ist ein Tummelplatz für antisemitische Hetze und Fremdenhass. Aber oft ist es so, dass ein öffentlicher Aufschrei nur noch sehr selten zu vernehmen ist - bei wirklich ganz dramatischen Vorgängen. Hat da ein Gewöhnungsprozess stattgefunden, oder ist das Gleichgültigkeit?

    Knobloch: Vor allem das Internet ist ein Thema, das man wirklich auch breitgestreut sich zu Gemüte führen sollte. Also wir haben vom Zentralrat ja einen Teilerfolg erzielt - die einstweilige Verfügung gegen Youtube ist jetzt in den letzten Tagen durchgegangen. Es wird natürlich jetzt noch der Hauptsacheprozess entschieden. Aber im Prinzip sage ich immer: Es genügen nicht mehr die Sonntagsreden der Politiker, sondern die Politiker müssen sich auch vor Ort einsetzen. Bei den Demonstrationen, die die NPD und die Rechtsradikalen und die Rechtsextremisten vornehmen, da müssen die Politiker vorhanden sein, um die Gegner, wo ich jeden einzelnen nur beglückwünschen kann, um diese Gegner der Demonstrationen zu unterstützen.

    Limberg: Es gibt ja immer wieder Fälle, wo so ein Engagement von Bürgern an Ort und Stelle verhindert hat, dass die NPD einen Parteitag abhält, dass sie eine Versammlung abhält, dass sie einen Aufmarsch dort organisiert. Geschieht das noch zu wenig?

    Knobloch: Also ich meine, bei der großen Zahl - etwa 95 Prozent - der Städte, die gerichtlich dazu aufgefordert werden, diese rechtsextremistischen Umzüge zu gestatten, kann man feststellen, dass es aufrichtige Bürger gibt, dass es Organisationen gibt, seien es Jugendorganisationen, seien es andere Organisationen, die sich an diesem Tag gegen diese Aufmärsche zur Verfügung stellen. Und wie gesagt, ich hab es schon mal gesagt: Die müssen unterstützt werden von der Politik und nicht nur mit Sonntagsreden bedacht werden.

    Limberg: Frau Knobloch, wie groß ist Ihrer Ansicht nach die Gefahr durch einen neuen Antisemitismus von islamistischer Seite aus?

    Knobloch: Also ich meine, dieses Thema darf nicht unbeachtet bleiben. Es sollte vor allem in den Koranschulen die Hetze gegen Ungläubige, zu denen auch natürlich die jüdische Gemeinschaft gehört, unterbleiben. Sollte das nicht unterbunden werden können, dann müssten wirklich auch Verordnungen vorhanden sein, die also den Unterricht bei muslimischen Kindern in deutscher Sprache vorschreiben, weil wir hier eine Beeinflussung von jungen Menschen feststellen können, was vor allem jetzt auch in den Hauptschulen, was mir wirklich von den Lehrern mitgeteilt wurde, der Fall ist. Hauptsächlich die muslimischen Schüler benehmen sich beim Thema Judentum, beim Thema Vergangenheit sehr, sehr ungebührlich und beschimpfen selbst die Lehrer, dass sie ihnen zumuten, diese Themen anzuhören.

    Ein NPD-Anhänger schwenkt während einer Demonstration in Oldenburg eine NPD-Fahne.
    Ein NPD-Anhänger schwenkt eine Fahne. (AP)
    Kritik an katholischer Karfreitagsfürbitte
    Limberg: Es hat sich in den letzten Tagen, seit Karfreitag, ein Konflikt neuer Art und eigentlich unerwarteter Art aufgetan, nämlich der mit der katholischen Kirche. Es geht um das Karfreitagsgebet, um die Karfreitagsfürbitte, in der sozusagen um die Erleuchtung der Juden auch gebetet wird. Das hat in der jüdischen Gemeinschaft für große Irritationen und Empörung gesorgt. Wie tiefgreifend, wie ernst ist dieser Konflikt?

    Knobloch: Also für mich, die ich natürlich schon einmal die Ausgrenzung der jüdischen Menschen erlebt habe, ist das für mich auch eine Ausgrenzung. Wenn ich erleuchtet werden muss, dann schreibt man mir zu, dass mir die Voraussetzungen fehlen für viele Dinge, die andere Menschen für sich beanspruchen. Ich gehe davon aus, dass diese Karfreitagsfürbitte, die bereits 1970 von dem damaligen Papst sehr grundsätzlich und für alle Beteiligten sehr zufriedenstellend dargestellt wurde, dass man an dieser Karfreitagsfürbitte nichts ändern sollte. Ich hoffe, dass sich der Vatikan auf diese Karfreitagsfürbitte von 1970 wieder zurückzieht und nicht auf dieser wirklich für mich sehr diffamierenden Änderung besteht, sondern sich mit den jüdischen Geistlichen an einen Tisch setzt, um hier eine Klarheit zu schaffen, damit nicht eine neue Aggression gegen jüdische Menschen entstehen kann von Leuten, die sich mit den Einzelheiten nicht beschäftigen und dann nur auf Medien eingehen, die gerade diese Karfreitagsfürbitte auch als sehr diffamierend für jüdische Menschen einsehen.

    Limberg: Es ist ja nun gerade ein deutscher Papst, der dieses Gebet in dieser Form wieder eingerichtet hat, wieder ermöglicht hat. Ist das etwas, was dieser ganzen Entwicklung noch einen besonders schmerzlichen Akzent gibt?

    Knobloch: Ich habe immer gesagt, dass also der vorherige Papst, der ja in Polen die Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Menschen wirklich persönlich miterlebt hat - er hat auch immer darüber gesprochen. Ich gehe davon aus, dass der heutige Papst auch die Verfolgung der Juden im Dritten Reich aufgrund seines Alters natürlich auch miterlebt hat.

    Papst Benedikt XVI. trifft zum Gottesdienst im Wiener Stephansdom ein.
    Papst Benedikt XVI.. (AP)
    "Israel ist meine geistige Heimat"
    Limberg: Frau Knobloch, das jüdische Leben in Deutschland hat in den letzten Jahren einen neuen Aufschwung erlebt, aber das ist auch mit Problemen verbunden. Es sind viele jüdische Einwanderer aus der früheren Sowjetunion hierher gekommen. Das stellt viele Gemeinden vor große Probleme. In Berlin kann man es erleben, dass das eine sehr konfliktträchtige Entwicklung und Herausforderung ist, die zu bewältigen ist. In München scheint ja dieser Prozess sehr viel besser zu gelingen. Woran liegt das, was ist das Besondere gerade an der Münchner Gemeinde?

    Knobloch: Also, hier gibt es keine Besonderheiten, hier gibt es nur die Thematik, dass man sich natürlich um Menschen, die eine neue Heimat suchen, sehr intensiv kümmern muss, weil sie von Illusionen ausgehen, die sie in einem anderen Kulturkreis hier nicht finden. Sie sind ja an ihre Heimat gewöhnt, sie sind an ihre Kultur gewöhnt. Hier muss der Einzelne die Möglichkeit haben, jemanden zu finden, der mit ihm die Themen, die Probleme, anspricht. Ich glaube, es ist eine reine Betreuungsfrage, die sehr intensiv mit Zuwanderern und mit neuen Gemeindemitgliedern durchgeführt werden sollte. Und deswegen freue ich mich, dass es viele jüdische Gemeinden gibt, nicht nur in München, die damit auch Erfolg haben.

    Limberg: Was sind denn heute die dringendsten Probleme bei dieser Integration, die ja doch nun schon eine ganze Reihe von Jahren stattfindet?

    Knobloch: Die Menschen kommen mit Berufen hierher, die dann nicht anerkannt werden. Sie haben natürlich auch Schwierigkeiten mit der Sprache und fühlen sich dadurch auch ausgegrenzt und nicht anerkannt, weil sie sich ja nicht in irgendeiner Form in der ersten Zeit - es geht nicht nur um Monate - nicht so verständlich machen können. Sie fühlen sich da als Menschen zweiter Klasse. Ich meine, alle diese Themen muss man ausräumen und kann man ausräumen, aber dazu braucht es natürlich eine persönliche Betreuung durch Mitarbeiter und die Möglichkeit, dass sich auch die Menschen in irgendeiner Form anerkannt fühlen.

    Limberg: Frau Knobloch, was bedeutet für Sie persönlich eigentlich Israel?

    Knobloch: Israel ist meine geistige Heimat. In Israel habe ich drei Enkelkinder, ich habe Familie dort. Und für mich bedeutet natürlich Israel, anlehnend jetzt an meine Biografie, die Tatsache: Wenn es verfolgte Juden in der Welt gibt, haben sie dort eine Zukunft und eine Heimat. Und da denke ich immer daran: Wenn es in der nationalsozialistischen Zeit diesen Staat gegeben hätte, wieviele Millionen Menschen noch am Leben geblieben wären.

    Limberg: Der jüngste Besuch der Bundeskanzlerin dort war geprägt von großer wechselseitiger Sympathie. Auf der politischen Ebene scheint das Verhältnis ja sehr gut zu sein. In der Bevölkerung der Bundesrepublik hingegen herrscht oft ein sehr kritischer Ton gegenüber Israel. Das Verständnis für die Existenzängste der Menschen dort scheint oft doch eher unterentwickelt zu sein. Die täglichen Raketenangriffe etwa auf Städte wie Sderot werden hier, so hat man manchmal den Eindruck, gar nicht in ihrem ganzen Ausmaß wahrgenommen. Wo liegen eigentlich die Ursachen für diese Kluft zwischen einerseits auf politischer Ebene guten und engen Beziehungen und andererseits diesen Vorbehalten in großen Teilen der Bevölkerung?

    Knobloch: Die Bevölkerung ist leider nicht ausgewogen informiert. Es wird nicht anerkannt, dass die israelische Politik nur reagiert und nicht agiert. Und ich glaube, hier haben die Medien die Aufgabe - ich will jetzt die Medien nicht kritisieren, wie es in der Vergangenheit schon des öfteren passiert ist -, sondern sie haben die Aufgabe, die Berichte über die Situation im Nahen Osten im Interesse aller dort lebenden Menschen, der Israelis und der Palästinenser, so ausgewogen darzustellen, dass auch die Bevölkerung - ich nehme jetzt mal nicht nur Deutschland, sondern auch der europäischen Länder, dort ist ja dieselbe Situation -, so dass sich die Bevölkerung eine objektive Meinung bilden kann und nicht von den Israelis als Nazis spricht.

    Limberg: Es ist ja schwierig, eine Grenze festzulegen zwischen der legitimen Kritik an Israel, die ja auch in Israel selbst an der Politik dort oft sehr scharf ist, und antisemitischen Untertönen, die auch manchmal mitschwingen. Wie soll man eine solche Grenze definieren?

    Knobloch: Ich sage immer: Dass man Israel kritisieren kann, ist absolut legitim, es ist nicht antisemitisch. Die Antisemiten verbreiten die These, dass, wenn man Israel kritisiert, ist man Antisemit. Also, das ist schon wieder wirklich ein Vorwurf der Antisemiten. Es ist legitim, Israel sachlich zu kritisieren. Aber natürlich, Israel mit Nazideutschland zu vergleichen, das ist für mich ein antisemitischer Vorwurf.

    Limberg: Liegt ein Problem vielleicht auch daran, dass die Kritik an Israels Politik gegenüber den Palästinensern oft im Gewand des Kampfes für Menschenrechte daherkommt? Also, oft sagen Kritiker Israels, ihnen geht es allein um die Menschenrechte, und dagegen kann man ja eigentlich nichts haben. Ist das ein Punkt, der die Auseinandersetzung erschwert?

    Knobloch: Das Judentum ist ja auch eine Religion. Und es leben viele jüdische Menschen in Israel, es leben auch nichtjüdische Menschen, es leben auch arabische Menschen in Israel - ich war jetzt erst in Berlin zusammen mit einem arabischen Minister im Kabinett Olmert. Also, man muss ja auch diese Seite sehen, dass die Palästinenser wie auch das israelische Volk an einem Frieden sehr interessiert sind und wirklich auch großes Interesse an der Einhaltung und Befolgung der Menschenrechte haben, was immer wieder der Fall ist. Und wenn Sie hören, wie viele palästinensische Patienten in israelischen Krankenhäusern liegen, glaube ich, braucht man zu diesem Thema nichts Weiteres sagen - die auch effektiv sehr, sehr gut behandelt werden und sehr dankbar sind.

    Limberg: Es wurde kürzlich von einem südkoreanischen Kosmetikkonzern berichtet, der für seine Produkte mit der Verwendung von NS-Symbolen wirbt, und zwar, so das Argument, um den "revolutionären" Effekt seiner Cremes herauszustellen. Das scheint mir ja ein Beispiel von vielen zu sein, die zeigen, dass in vielen Teilen der Welt ein Bewusstsein für den Holocaust und für die Verbrechen des Nationalsozialismus an den Juden praktisch gar nicht vorhanden ist oder gar nicht mehr vorhanden ist. Sehen Sie das auch so?

    Knobloch: Wir brauchen nicht nach Südkorea zu gehen. Es ist noch nicht so lange her, da gab es in Italien italienische Weine zu kaufen mit einem Hitlerbild als Kennzeichnung. Also ich meine, diese Exzesse, muss ich schon sagen, sind meines Erachtens vollkommen fern von jedem geschichtlichen Verstehen von solchen Unternehmen. Die versuchen natürlich, auf diese Art und Weise, auch der Wein hatte reißenden Absatz, und nicht nur bei Italienern, die versuchen halt auf diese Art und Weise, Käufer für ihre Produkte zu finden. Aber ich glaube, auch die dortigen Regierungen müssen schauen, so schnell wie möglich solche Dinge aus dem Verkehr zu ziehen, was auch in Italien der Fall war.

    Limberg: Aber was kann man außerhalb Europas tun, um das Bewusstsein für dieses Verbrechen zu wecken, um auch die Wachsamkeit, die ja auch mit der der Weckung des Bewusstseins verbunden sein soll, zu initiieren?

    Knobloch: Es gibt heutzutage sehr viele Möglichkeiten, das Interesse der Menschen an gewissen Vergangenheiten beziehungsweise an der deutschen Vergangenheit zu sensibilisieren. Da gibt es wirklich sehr gute Filme, da gibt es Symposien, die man dann auch vielleicht in Form von Internet in verschiedene Länder übertragen kann. Ich finde auch, das Internet hat hier eine ganz entscheidende Aufgabe, die Verbrechen, die die Nationalsozialisten in diesem Land begangen haben, auch in die Welt hineinzutragen. Und da sollte man in der Hinsicht schon sehr aktiv sein bei den Verantwortlichen, das auch zu tun.

    Die israelische Fahne
    Die israelische Fahne. (AP)
    Mahnmale als Orte der Erinnerung
    Limberg: Es gibt in Berlin das Holocaust-Mahnmal für die ermordeten Juden Europas. Es sind andere Mahnmale für andere Opfergruppen in Planung oder stehen schon kurz vor der Eröffnung, für die Sinti und Roma, für die Homosexuellen, für die Opfer der Euthanasie. Es scheint aber sich so eine gewisse Mahnmalsmüdigkeit breitzumachen in Teilen der Bevölkerung. Deshalb die Frage: Sind Mahnmale jeweils - auch für diese anderen Opfergruppen - der richtige Weg der Erinnerung, oder sind nicht andere Formen der Erinnerung und des Gedenkens vielleicht sinnvoller und effektiver?

    Knobloch: Leider wird in 10 bis 15 Jahren die Zeit der Zeitzeugen ein Ende genommen haben - und damit die Möglichkeit, dass Zeitzeugen aus ihren Erlebnissen berichten, was natürlich auch bei jungen Menschen sehr positiv ankommt. Das wird vorbei sein aus biologischen Gründen, das ist ja vollkommen klar. Was wir dann brauchen, sind geeignete Erinnerungsstätten, sind geeignete Dokumentationsstätten, wo man die Geschichte nochmal nicht nur erforschen kann, sondern sich auch über die Geschichte des Landes informieren kann. Und deswegen bin ich dafür, auch wenn momentan jetzt eine gewisse Mahnmalsmüdigkeit, wie Sie es ausgesprochen haben, im Gange ist, dass diese Mahnmale errichtet werden und daran erinnert wird, was in diesem Land geschehen konnte. Und es gibt sicher immer wieder Menschen, die sich vor so ein Mahnmal stellen - das habe ich ja schon oft bemerkt, jetzt nicht beim Holocaust-Mahnmal in Berlin, sondern bei anderen Mahnmalen - und dann nachfragen und sich dann Literatur verschaffen. Es sind nicht sehr viele, aber es sind einige. Und das ist natürlich eine Aufgabe, die unsere Nachkommen durchzuführen haben - nicht zu bewältigen haben, sondern durchzuführen haben, dass sie aufgrund der Möglichkeiten, die sie haben, besonders an den Gedenktagen wie dem 9. November zum Beispiel, an diese grauenvollen Zeiten, die ihre Vorfahren ja auch erlebt haben auf beiden Seiten, Opfer und Täter, dass das nicht in Vergessenheit gerät und dass auch ein Mahnmal hier einiges Positive in der Erinnerung leisten kann.
    Das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas, aufgenommen am Mittwoch, 15. Dezember 2004 in Berlin wenige Stunden vor dem Errichten der letzten der 2751 Stelen
    Das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin. (AP)