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Charlotte Roche: "Mädchen für alles"
Schon wieder so schmutzig

Charlotte Roche, die Autorin von "Feuchtgebiete" und "Schoßgebete" hat einen neuen Roman geschrieben. Es geht, wie fast immer bei ihr, reichlich oberflächlich zu. Wenn es doch mal tiefgängiger wird, dann körperlich.

Von Hajo Steinert | 07.10.2015
    Autorin Charlotte Roche bei der Premiere des Kinofilms "Schoßgebete", September 2014
    Autorin Charlotte Roche (picture alliance / dpa)
    Chrissi ist über dreißig, verheiratet, Hausfrau. Ihr Mann Jörg IT-Berater, die kleine Tochter heißt Mila. Das Auskommen der Familie ist komfortabel, man kann sich vieles leisten.
    Allein, mit der Ehe stimmt es nicht mehr. Kein Sex. Keine Liebe. Die Hausfrau fühlt sich einsam. Man langweilt sich. Das ist von der ersten Zeile an klar. Eine Entwicklung findet nicht statt. Der Fortgang der Handlung dient der Illustration einer These. Vor allem das Muttersein ist der überforderten Hausfrau eine Last. Charlotte Roche versteht sich als eine Art Botschafterin nach der Devise: "Vorsicht Frauen, Kinder kriegen ist kein Zuckerschlecken. Ein Kind haben ist reiner Stress!" Chrissi flieht vor der Familie und vor sich selbst. Sie nimmt Drogen, gelegentlich verletzt sie sich selbst, Autoaggression nennt man das in der Psychologie. Kein Wunder, dass Gatte Jörg eine Babysitterin einstellt, damit es nicht vollends zur Katastrophe kommt.
    Die Babysitterin ist wirklich ein "Mädchen für alles". Damit der sexuell ausgehungerte Ehemann nichts mit ihr anfängt, beginnt Chrissi mit Marie lieber selbst eine sexuelle Affäre. Und vernachlässigt dabei ihr eigenes Kind. Die Autorin treibt ihre Ich-Erzählerin mit Elan in eine lesbische Beziehung. Die Schilderungen sind detailliert. Nichts steht zwischen den Zeilen. Alles wird buchstäblich ausgedrückt. Und immerzu auch erklärt. Von Selbstironie keine Spur. Das ist literarisch nicht eben raffiniert. Die Autorin lässt Chrissi ihren Frust tüchtig vom Leibe und schonungslos auf den eigenen Leib schreiben. Die Autorin führt in Form einer Rollenprosa ihre Figur vor, lässt ihre Protagonistin sich hemmungslos gebären. Die Sprache ist einfach. Alles ist "krass". Ein Verständigungstext eben. Für junge Mütter im Absprung.
    Ein Werbefeldzug für Fernsehserien
    Aber man versteht nicht, warum Chrissi eigentlich so frustriert ist. Dass sich die Eltern von Chrissi einstmals getrennt haben, treibt die Autorin nicht zu einer ernsthaften Ursachenforschung an. Was Chrissi in Rage bringt: Vater und Mutter sind am Ende wieder vereint. Von wegen: Happyend. Chrissis Résumé: eine "Kackfamilie". Nur der Auslöschung wert. Tötungsphantasien bemächtigen sich ihrer. Ein Seelsorger würde Chrissi in den Arm nehmen wollen und ihr sagen, "es wird schon alles gut" – wenn, ja wenn Chrissi nicht so ein unangenehmes und abweisendes Wesen hätte. Was übrigens ganz im Sinne der Autorin ist. Als die Interviewerin der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" am Wochenende gestand, "ich mochte diese Figur nicht besonders gern", antwortete die Autorin gut gelaunt: "Das höre ich gern!"
    Psychologische Seelenforschung ist nicht das Anliegen des Romans. Tiefgang ist bei Charlotte Roche ein rein körperliches Anliegen. In dem Punkt bleibt sich die Verfasserin von "Feuchtgebiete" und "Schoßgebete" treu, auch wenn die Dose mit Intimspray in "Mädchen für alles" nicht so nah an die verborgenen Stellen des weiblichen Körpers gehalten wird wie in ihren früheren Texten. Anleitungen zum glücklich sein im Unglück findet Chrissi primär vor dem Bildschirm. "Mein ganzes Wissen über Menschen und Gewalt und wie man Menschen Gewalt richtig antut, ziehe ich aus Serien", posaunt der Text gleich am Anfang heraus. Der Rest ist eine Art Werbefeldzug für Fernsehserien, deren Qualitäten Insidern zwar bekannt sein mögen, am Ende aber nicht das Zeug haben, dem Uneingeweihten eine neue Form des Medienkonsums nahe zu legen. Der Rezensent verspricht an dieser Stelle hoch und heilig, dass er sich weder vor "The Walking Dead", "Breaking Bad" noch vor "House of Cards" zu setzen bereit ist. Ich teile die Leidenschaften der Autorin nicht. Mir gefällt auch ihre Figur "nicht besonders". Mir gefällt der ganze Roman nicht.
    Charlotte Roche: Mädchen für alles. Roman. Piper-Verlag. 240 Seiten. 14.99 Euro