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Chauvet-Grotte
36.000 Jahre alte Höhlenzeichnungen

Die Chauvet-Grotte im Südosten Frankreichs ist ein Juwel der Menschheitsgeschichte. In ihr haben sich 36.000 Jahre alte Höhlenmalereien erhalten, die völlig neue Erkenntnisse über das Leben der Steinzeitmenschen liefern.

Von Bettina Kaps | 19.04.2015
    Höhlenzeichnungen in der Nachbildung der Chauvet-Grotte, die bis zu 36.000 Jahre alte Tierbilder beherbergt und 1994 von dem Archäologen Jean-Marie Chauvet entdeckt wurde.
    Höhlenzeichnungen in der Nachbildung der Chauvet-Grotte, die bis zu 36.000 Jahre alte Tierbilder beherbergt und 1994 von dem Archäologen Jean-Marie Chauvet entdeckt wurde. (picture alliance / dpa / Bonniere Pascal)
    Die Ardèche-Schlucht im Südosten Frankreichs: 35 Kilometer lang windet sich der Wildfluss durch die Hochebene. Gemächlich fließt er unter der natürlichen Steinbrücke des Pont d´Arc hindurch. Zu beiden Seiten steigt das Flussufer steil an. Nichts deutet darauf hin, dass in einem der Felshänge die berühmte Chauvet-Grotte liegt, mit Zeichnungen aus der Steinzeit, die älter und prächtiger sind als alles, was man in Europa kennt.
    Höhle hermetisch verriegelt
    Die Höhle ist hermetisch verriegelt. Selbst Wissenschaftler, die sie erforschen, dürfen nur selten und für begrenzte Zeit hinein. In Ausnahmen lässt das Kulturministerium aber auch Journalisten zu, damit das Wissen über dieses Weltwunder verbreitet wird. Marie Bardisa, die Konservatorin der Höhle, führt uns über einen schmalen Trampelpfad zur Grotte hinauf. Wir gehen an großen Felsbrocken vorbei, auf denen Efeu, Büsche und Steineichen wachsen. Es sind Reste der Vorhöhle, die in drei Etappen herab gestürzt ist. Geomorphologen haben ermittelt, dass sich der letzte Abbruch vor 21.000 Jahren ereignete, sagt Bardisa: "Sehen Sie den Geröllhaufen hier vor uns. In der Steinzeit befand sich dahinter der Eingang zur Höhle. Durch den Einsturz wurde die Grotte komplett verschüttet. Unter diesen Steinen vermuten wir Fossilien und vielleicht sogar Überbleibsel von Wohnstätten der Menschen, die am Höhleneingang gelebt haben."
    Nach halbstündigem Fußmarsch endet der Weg vor einem Felsen mit einer Panzertür. Genau hier, in dieser Nische, hatte der Höhlenforscher Jean-Marie Chauvet einem Lufthauch nachgespürt, der aus dem Fels zu dringen schien, hier haben er und zwei Kollegen am 18. Dezember 1994 einen Zugang zur Höhle freigelegt. Schon wenige Tage nach der sensationellen Entdeckung sperrte der französische Staat die Chauvet-Höhle für die Öffentlichkeit und erklärte sie anschließend sogar zum Militärgeheimnis. Auf diese Weise können hier geheime Spitzentechnologien des Verteidigungsministeriums eingesetzt werden, sagt Marie Bardisa. Mit ihrem Fingerabdruck auf einem biometrischen Lesegerät und einem Zahlencode öffnet die Konservatorin die Panzertür. Dahinter liegt ein Vorraum mit blauen Schutzanzügen und weiterem Material. Bardisa: "Bitte ziehen Sie diese Overalls über, damit alle Mikroorganismen, die Sie an sich tragen und die der Höhle schaden könnten, darin eingeschlossen sind. Wir wollen verhindern, dass Fremdkörper in die Höhle gelangen."
    Keine Luft von außen
    Gummischuhe, Helm und Klettergurt vervollständigen die Ausrüstung. Eine zweite Stahltür soll verhindern, dass Luft von außen in die Höhle strömt. Sobald wir sie passiert haben, wird sie wieder geschlossen. Messgeräte kontrollieren permanent, ob das Klima in der Höhle stabil ist. Auf dem Hosenboden rutschen wir einen niedrigen Tunnel entlang bis zu einer Leiter. Nicolas Lateur, ein junger Mitarbeiter vom Denkmalamt, sichert uns. Wir klettern steil bergab ins Dunkle. Die Sprossen sind kalt und nass. Die Temperatur in der Höhle beträgt konstant 13 Grad Celsius, die Luft ist extrem feucht. Kein Wunder, dass prähistorische Menschen in solchen Höhlen nicht gelebt haben. Das Innere der Grotten betraten sie nur, um zu malen, vielleicht auch um Rituale zu feiern.
    Im Schein unserer Stirnlampen entdecken wir eine riesige Tropfsteinhöhle. Das Deckengewölbe mit runden Kuppeln, versteinerten Zapfen, Wülsten und Kanten verbreitet eine feierliche Atmosphäre, wie eine urtümliche Kathedrale, die unter der Erde verborgen ist. Höhlenforscherin Bardisa: "Die Schönheit dieser Grotte und ihre Größe haben den Steinzeitmenschen vermutlich angezogen. Er hat diesen Ort ausgewählt, um hier zu zeichnen und den Ort zu gestalten." Wir gehen auf einem schmalen Metallsteg, den wir auf gar keinen Fall verlassen dürfen. Jeder Einzelne hat sich zuvor schriftlich verpflichtet, weder Boden noch Wände zu berühren. Nach wenigen Schritten sehen wir einen Steinvorsprung, er ist mit etwa Hundert roten Handabdrücken wie bestempelt. Nicolas Lateur zeigt uns ein Detail: "Bei dieser roten Hand ist der kleine Finger leicht verkrümmt, offenbar in Folge einer Krankheit. Dadurch wissen wir, dass hier und an anderen Wänden mehrmals derselbe Mensch am Werk war."
    Höhlenmaler hatte krummen Finger
    Der Höhlenmaler war mindestens 1 Meter 80 groß, meinen die Forscher. Die weiche Tonerde zu beiden Seiten des Stegs ist mit Knochen übersät - fast alle stammen vom Höhlenbären, einer Art, die vor 23.000 Jahren ausgestorben ist. Die Tiere überwinterten in der Grotte, viele verendeten auch im Winterschlaf, sagt Nicolas Lateur: "In der Chauvet-Höhle wurden Schädel und Knochen von 200 Höhlenbären gefunden. Außergewöhnlich ist auch, dass ihre Fußspuren erhalten sind. Der Bär hat eine runde Vordertatze und eine längliche Hinterpfote. Hier vor uns, das sind seine Abdrücke. Wir können die Spur bis zum ehemaligen Eingang der Höhle verfolgen."
    Ein Fehlschritt von uns, und der Boden ist beschädigt. Zum Glück waren die Entdecker - Jean-Marie Chauvet und seine Freunde - sehr erfahrene Höhlenforscher. Sie haben sofort die Schuhe ausgezogen und sind auch nur in einer Linie aufgelaufen. Jetzt verläuft der Metallsteg in ihrer Spur. In anderen Teilen ist der Höhlenboden aber auch versteinert und teilweise mit Kalzit überzogen. Die Steinzeitmaler haben die Höhle gewiss nicht gleichzeitig mit dem Höhlenbären betreten, sagen die Forscher. Aber sie haben ihn beobachtet und skizziert. Lateur beleuchtet eine Felswand, auf der die ockerrote Silhouette eines Bären zu sehen ist. Mit seiner Stupsnase und den rundlichen Ohren erinnert er an einen Teddy. Dabei muss der Koloss furchterregend gewesen sein: Viele Kratzspuren auf den Felswänden beweisen, dass er aufgerichtet über drei Meter groß war.
    Zeichnungen vom Schneepanther
    Wir dringen tiefer in die Höhle ein. Alle paar Meter stoßen wir auf neue Zeichnungen und Gravierungen: ein Schneepanther, Mammuts, Wollnashörner, Riesenhirsche, Bisons, Wildpferde - ein wahres Bestiarium bevölkert die Wände. Die Felsen verengen sich jetzt zu einem Tunnel und der Weg führt bergab wie ins Innerste der Erde. Marie Bardisa mahnt uns, die Köpfe einzuziehen, damit wir nichts beschädigen: "Auf dem Boden sehen Sie zu beiden Seiten Überbleibsel von Feuerstellen. Hier haben die Höhlenmaler Kiefernholz verbrannt und damit ihre Zeichenkohle vorbereitet." Die Feuerstellen sehen aus, als seien sie kürzlich erst erloschen. Ihre Kohle hat es ermöglicht, das Alter der Zeichnungen auf 36.000 Jahre zu datieren.
    Hinter der Engstelle öffnet sich die Höhle zu einem neuen Saal mit Säulen und Stalaktiten, seine Weite verliert sich in der Dunkelheit. Unvermittelt stehen wir vor einem riesengroßen Gemälde. Ein Löwenrudel macht Jagd auf eine Herde Wisente. Zehn Raubkatzen pirschen sich an, wie hypnotisiert starren sie auf ihre Beute, zum Angriff bereit. Die Wisente rennen in wilder Panik davon. Eins der Rinder hat acht Beine, es galoppiert regelrecht - eine Zeichentechnik, die an heutige Trickfilme erinnert. Der steinzeitliche Künstler - die Forscher sind überzeugt, dass hier nur ein einziger Maler am Werk war - hat auch die Buckel im Stein genutzt, dadurch wirken die Tierkörper besonders plastisch. Bardisa: "Bei dieser Komposition haben wir noch ein wichtiges Element: Auf dem Felszapfen hier vor dem Fresko sind das Schamdreieck einer Frau und ihre Beine abgebildet. Das linke Bein geht in einen Bison über, der sich seinerseits in einem Löwen fortsetzt. Mensch und Tier sind also vereint. Im Unterschied zu den sehr schematischen Schamdreiecken, die wir aus der Steinzeit bereits kennen, handelt es sich hier um eine richtige menschliche Abbildung.
    Zeichnungen drücken religiöse Überzeugungen aus
    Das Löwengemälde neben dem weiblichen Unterkörper ist das ausgefeilteste und berühmteste Bild der Höhle. Und ausgerechnet dieses befindet sich im hintersten Saal der Grotte, gut 200 Meter vom Eingang entfernt - an einem Ort also, wo man nur unter Anstrengungen hinkam. Aber auf die Frage: "Warum hat der Künstler diese Gemälde gemalt und warum gerade hier?" wissen die Prähistoriker keine Antwort. Sicher scheint nur: Diese Bilder sind keine Dekoration, sie drücken uralte religiöse Überzeugungen aus.
    Die beiden Konservatoren tragen gelbe Messgeräte am Körper. Sie rauschen leise - und erinnern daran, dass unsere Zeit knapp bemessen ist. Wir können gar nicht alles sehen, was die Steinzeithöhle zu bieten hat. Denn länger als zwei Stunden darf kein Besucher in der Höhle bleiben, sonst gefährdet sie ihn und er sie. In der Grotte sammeln sich Kohlendioxid und Radon an, ein radioaktives Element. Die Messinstrumente verzeichnen die Strahlenbelastung für den Menschen. Umgekehrt können unsere Körpertemperatur und Atemluft die empfindlichen Zeichnungen schädigen. Ich versuche, mir diesen einzigartigen Moment für immer einzuprägen. Auf dem Rückweg zeigt uns Marie Bardisa noch zwei Wasserbecken. Sie wurden künstlich angelegt. Bardisa: "In diesem Saal sind einige Stalagmiten umgestürzt. Die Höhlenmenschen haben zwei große Steinblöcke aneinander gereiht und anschließend mit Ton zementiert. Bücken Sie sich, dann können Sie auch sehen, wo der Ton weggenommen wurde, da haben sich sogar die Spuren ihrer Finger abgezeichnet. Wir haben hier die ersten menschlichen Maurerarbeiten, die wir kennen. Wir würden es heute genauso machen wie die Steinzeitmenschen, das berührt mich sehr. Es sind wirklich unsere Vorfahren, sie sind uns nicht fremd." Tief beeindruckt steige ich die Leiter hoch, verlasse diesen Schatz der Menschheitsgeschichte. Die Panzertür fällt hinter uns ins Schloss.
    Höhle war Versammlungsort
    Wieder unten am Fluss mit dem Pont d´Arc treffe ich Dominique Baffier. Die Archäologin gehört zum Wissenschaftsteam, das die Höhle erforscht. Sie erklärt mir, dass es zwischen der Felsbrücke und der Steinzeithöhle einen Zusammenhang gab: "In der Steinzeit öffnete sich die Höhle zu einer riesigen Vorhalle, die 18 Meter breit und gut zehn Meter hoch war. Vom Fluss aus schien es damals, als habe der Felsen ein Maul. Die Höhle und der Pont d´Arc waren für die Menschen der Steinzeit wichtige Orientierungspunkte. Die Felsbrücke war auch deshalb so wichtig, weil sie es Menschen und Tieren ermöglichte, den Fluss bequem zu überqueren, vermutlich diente sie als Versammlungsort.
    Die Vorfahren der heutigen Europäer waren vor ungefähr 40.000 Jahren aus Afrika und dem Nahen Osten eingewandert. Die Kohlezeichnungen in der Chauvet-Höhle entstanden vor 36.000 Jahren. Sie stammen somit aus dem Aurignacien - der frühesten archäologisch gesicherten Steinzeit-Kultur in Europa. Damals lebten die Menschen in Sippen von rund 40 Personen, vermuten Prähistoriker. Sie sammelten wild wachsende Pflanzen, jagten Tiere und harpunierten Fische mit Lanzen. Landwirtschaft und Tierzucht kannten sie noch nicht. Vor der Entdeckung der Chauvet-Höhle waren in Europa vor allem die Felsmalereien im spanischen Altamira und in Lascaux berühmt, einem Ort in der Dordogne, in Südwestfrankreich. In beiden Höhlen ist keine direkte Altersbestimmung möglich, weil dafür organische Substanzen wie Kohlereste oder Knochen nötig wären. Sie fehlen aber dort. Fachleute schätzen das Alter der Malereien in den beiden Höhlen auf 18.000 Jahre.
    Leben in der Eiszeit
    Dominique Baffier hat früher in Lascaux geforscht. Die Chauvet-Höhle sei nicht nur doppelt so alt, sagt die Archäologin. Sie sei auch viel prächtiger ausgestaltet. Die 420 Zeichnungen und Ritzbilder erzählen, welche Tiere unsere Vorfahren gekannt haben. Sie lebten in der Eiszeit, in der Ardèche herrschte ein skandinavisches Klima. So erklärt sich, dass viele Tierarten langes, dichtes Fell hatten. Sie waren auch viel größer als ihre Nachkommen. Die ausgefeilten Zeichnungen in der Chauvet-Höhle haben die Wissenschaftler gelehrt, dass der Höhlenbär anders als der heutige Braunbär einen Kopf mit steil ansteigender Stirn und einen kleinen Fettbuckel auf der Schulter hatte. Und der männliche Höhlenlöwe hatte keine Mähne wie sein afrikanischer Nachfolger.
    Dominique Baffier: "Die Gemälde setzen eine sehr genaue Beobachtung der Tiere voraus. Die Maler haben ihr Verhalten studiert. Das sehe ich hier zum ersten Mal. In der Höhlenkunst sind die Tiere sonst fast immer sehr statisch abgebildet, hier wirken sie extrem lebendig. Zwei Rhinozerosse bekämpfen sich, ein Löwe macht einem Löwenweibchen den Hof. Das ist einmalig. Außergewöhnlich ist auch, dass hier so viele gefährliche Tiere zu sehen sind." Wenn Dominique Baffier nicht in die Höhle hinabsteigt, arbeitet sie mithilfe eines 3 D-Modells der Höhle am Computer. Sie beschreibt eine Abbildung mit vier Pferdeköpfen und erklärt die Zeichentechnik: Die Künstler haben die Felswände vorbereitet und dünne Kalkschichten abgekratzt, dann die Konturen mit Kohle gezeichnet und die Tierkörper mit Wischtechnik plastischer gemacht. Schwarze Kohle, weißer Kalkstein und rote Tonerde dienten ihnen als Farbpalette. Zum Schluss haben sie die Umrisse mit einem Feuerstein nachgeritzt, damit sich die Wildpferde vom Hintergrund abheben."
    Dominique Baffier forscht seit 17 Jahren in der Höhle, aber sie ist immer noch so begeistert wie am ersten Tag: "Die Chauvet-Höhle hat alles über den Haufen geworfen, was wir vorher für sicher gehalten haben. Die Urgeschichtsforscher hatten ihre Theorien auf einem chrono-stilistischen System aufgebaut, wonach die Kunst mit simplen Zeichen und Symbolen beginnt, unbeholfenen Tierzeichnungen, die man kaum erkennen kann, dem weiblichen Schamdreieck. Nach und nach entfaltet sich die vorgeschichtliche Kunst bis wir in Lascaux ankommen, und schließlich, vor rund 10.000 Jahren, haben wir perfekte, fotorealistische Tierzeichnungen. Doch dann - aus heiterem Himmel - wird Chauvet entdeckt. Und siehe da: Die geradlinig ansteigende Entwicklungstheorie stimmt nicht. Von Anfang an ist alles da! Schon vor 36.000 Jahren beherrschen die Menschen die Malerei. Ihre Kunst ist perfekt. Aber jetzt stehen wir vor einem ernsten Problem: Wo liegt der Ursprung der Kunst?"
    Spuren der Vorfahren beschädigt
    Wir, die modernen Menschen, haben viele Spuren unserer Vorfahren beschädigt und zerstört: Die berühmten Grotten von Altamira und Lascaux konnten jahrelang besichtigt werden. In Lascaux wurde der Höhlenboden eigens abgegraben, um einen bequemen Rundgang zu ermöglichen. Erforscht wurde der Boden dort aber nicht, und jetzt ist es zu spät dafür. Die Besucherscharen mit ihren Ausdünstungen und ihrer Körperwärme haben in beiden Höhlen das Mikroklima verändert. Pilze und Bakterien haben die Felsmalereien angegriffen.
    Die Chauvet-Höhle profitiert von diesen groben Fehlern der Vergangenheit. Selbst Wissenschaftler, die dort forschen dürfen, müssen sich an drakonische Vorschriften halten, sagt die Konservatorin Marie Bardisa: "Die Erhaltung hat Vorrang vor der Forschung. Ausgrabungen sind nicht erlaubt. Die Fundstücke dürfen nicht berührt werden. Wir genehmigen nur mikroskopisch kleine Stichproben. Deshalb wissen wir bis heute nicht, was der Boden der Höhle enthält. Wir verbieten uns vieles, weil wir hoffen, dass es in Zukunft neue Techniken geben wird, mit denen wir den Untergrund erforschen können, ohne ihn zu beschädigen." Damit sich aber auch ein breites Publikum eine Vorstellung von diesem einzigartigen Kulturerbe machen kann, wird am 25. April eine Replik eröffnet, sie liegt drei Kilometer vom Original entfernt. Ein Metallsteg führt in die künstliche Höhle hinein, genau wie in der echten Höhle. Besucher gehen durch große Felsgewölbe mit Stalagmiten, Stalaktiten und bizarr versteinerten Vorhängen, die theatralisch von der Decke herab wallen. Es ist kühl, die Luft ist feucht, selbst der erdige Geruch wurde der Originalhöhle nachempfunden. Die echte Höhle ist 8.500 Quadratmeter groß. Für die Kopie haben Geologen und Ingenieure das Vorbild auf 3.000 Quadratmeter verdichtet. Dafür wurden Decken, Wände und Boden per Laserscanner in ein digitales 3-D-Modell überführt, dieses in ein Relief aus Draht übertragen und mit Acrylharz, Beton und Lehm überzogen. Die Felsoberfläche mit ihren Rissen, Rillen und Falten ist bis ins Detail nachgeahmt. Im Schein kleiner Lampen sind die beeindruckenden Tierzeichnungen zu sehen.
    Kopien der Wandmalereien
    Die meisten Wandmalereien hat Gilles Tosello kopiert. Er ist Künstler und Prähistoriker zugleich, hat selbst in der Höhle geforscht. Vor der Kopie der beeindruckenden Löwenjagd erklärt er seine Technik: "Selbstverständlich habe ich die Zeichnung exakt reproduziert. Aber ich habe auch bewusst schnell gearbeitet, weil die Höhlenkünstler schnell gearbeitet haben. Sie waren in einem künstlerischen Schaffensprozess, ich war in einem Prozess der Nachgestaltung. Ich habe den Strich also nicht in unzählige kleine Einheiten zergliedert, um auf den Millimeter genau zu sein, sondern die Kurve mit ihrer Energie und in ihrer Absicht wiedergegeben."
    "La Caverne du Pont d´Arc", wie die Kunsthöhle genannt wird, ist die größte und vollständigste Replik einer Steinzeithöhle, die jemals verwirklicht wurde. Im vergangenen Sommer hat die UNESCO die Chauvet-Höhle zum Weltkulturerbe erklärt. Nouria Sanz, Leiterin der Archäologie-Abteilung im Weltkulturerbezentrum, ist auch von der Kopie begeistert: "Diese Replik ist weit mehr als eine Imitation. Sie ist das Ergebnis wissenschaftlicher Forschungen und Erkenntnisse. Hier wird vorgeführt, wie man Höhlenmalerei konservieren muss. Für die UNESCO hat diese Kopie Vorbildcharakter. Sie kann Grundlage für ein System internationaler Zusammenarbeit werden und einen Domino-Effekt für die Erhaltung von Höhlenkunst auslösen."
    Nicht alle Geheimnisse preisgegeben
    20 Jahre nach ihrer Entdeckung hat die Chauvet-Höhle längst nicht alle Geheimnisse preisgegeben. Deshalb haben die Wissenschaftler in dem Nachbau eigens Platz gelassen, wo sie weitere Erkenntnisse hinzufügen können. Unterdessen suchen Jean-Marie Chauvet und seine Kollegen intensiv nach weiteren Höhlen mit Felsmalereien. Nicht nur die Höhlenforscher, auch Prähistoriker wie Dominique Baffier sind überzeugt, dass unsere Vorfahren noch viele unterirdische Wunder hinterlassen haben: "Ich würde ihnen gerne begegnen, diesen Malern. Ich hätte so viele Fragen! Was wollen sie ausdrücken? Was erzählen sie? Ihre Zeichnungen sind uns erhalten geblieben, aber ihre Worte, ihre Gesten und Tänze sind für immer verloren. Sie haben bestimmt wunderbare Kleider getragen, verziert mit Muscheln, Zähnen und Federn. Vielleicht waren sie tätowiert? Ich empfinde tiefe Zuneigung für all diese Menschen und großen Respekt."