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200 Jahre "West-östlicher Divan"
Goethes Begegnung mit der Gottergebenheit

Johann Wolfgang von Goethe setzte sich intensiv mit dem Koran auseinander. Er bewunderte die unbedingte Ergebung in den Willen Gottes - und nahm sich viele dichterische Freiheiten. Goethes geistige Reise durch die heilige Schrift des Islam erschien erstmals am 28. August 1819 - am Tag, als er 70 wurde.

Von Irene Dänzer-Vanotti | 28.08.2019
Eine Montage aus einem Bild von Johann Wolfgang von Goethe in einer Ölgemälde-Darstellung von Joseph Stieler und Friedrich Dürck aus dem Besitz der Stiftung Weimarer Klassik. sowie eine Abbildung eines Historischeren Drucks von 1819 der 1. Ausgabe der Gedichtsammlung West-östlicher Divan aus dem Bildatlas zur Geschichte der Deutschen Nationalliteratur von Gustav Könnecke von 1887.
Im Jahr 1819 erschien die Erstausgabe von "West-östlicher Divan" (Montage: picture-alliance / dpa / DB Stiftung Weimarer Klassik, imago images / imagebroker)
"Gottes ist der Orient!
Gottes ist der Okzident!
Nord- und südliches Gelände
Ruht im Frieden seiner Hände."
Für den Dichter Johann Wolfgang von Goethe ist immer alles mit allem verbunden. Ost und West, der Mensch, auch er selbst, ist stets im Austausch mit dem Göttlichen. Und die Religionen, die die Menschheit hervorgebracht hat, lassen sich wiederum aufeinander beziehen. Damit beschäftigt sich Goethe in seiner größten Gedichtsammlung, seinem Alterswerk: "West-östlicher Divan".
Eine geistige Reise durch Koran und Bibel
Was er darin über den Islam und den Koran – aber auch über die Bibel, vor allem das Alte Testament,- schreibt, ist bis heute gültig und kaum bekannt.
Dass sein "West-östlicher Divan" schwer zugänglich ist, erkennt Goethe selbst. Er verfasst deshalb 150 Seiten "Noten und Anmerkungen zum besseren Verständnis des West-östlichen Divans". Sie sind eine geistige Reise durch den Koran und die Bibel. In beiden sieht er Zeugnisse orientalischen Denkens, orientalischer Dichtung. Witzig schildert er etwa – aus dem Alten Testament - den Auszug der Israeliten aus Ägypten und rechnet akribisch nach, warum dieser keinesfalls 40 Jahre gedauert haben kann. Eine Geschichte Persiens und, wie nebenbei, der Welteroberung durch die Seefahrer fügt er hinzu. Und, typisch für Goethe, einfache Sentenzen, die heute noch bekannt sind:
"Getretener Quark, wird breit nicht stark."
Goethe fühlte sich Hafis verbunden
Die Verbindung zum Orient erschließt sich Goethe nach 1800 zunächst in Büchern. Er beschäftigt sich mit dem Werk des persischen Dichters und Mystikers Hafis.
"Hafis ist um 1315 im persischen Schiras geboren. Hafis ist eigentlich kein Name sondern ein Ehrentitel für diejenigen, die den Koran auswendig können. Dass er das kann, rettet ihn immer wieder - denn seine Gedichte wirken im Persien des 14. Jahrhunderts durchaus anstößig, mehrmals entgeht er einem Todesurteil, einer Fatwa."
Goethe fühlt sich Hafis nah wie einem Zwilling, weil beide die Bücher ihrer Religion in- und auswendig kennen, sagt der Germanist und Sänger Ulf Bästlein:
"Wir wissen, dass Goethe die Bibel durchaus fast ganz präsent hatte. Und wir wissen, dass Hafis den Koran auswendig kannte. Was er eben an Hafis bewundert hat, das ist etwas, was er selbst auch kannte, das ist das Spiel mit diesen religiösen Chiffren, die er eben selbst ernst genommen hat."
Für Goethe ist Islam die Gottergebenheit
Goethe verbindet mit Hafis, der 400 Jahre vor ihm schrieb, auch die Lebenshaltung der Demut. Des Lebens Fluss ist vorbestimmt. Schon oft hat Goethe geschrieben, der Mensch müsse leben "nach dem Gesetz, wonach (er) angetreten". Im Divan gibt er geradezu eine Anweisung aus:
"Prüft das Geschick dich, weiß es wohl warum:
Es wünscht Dich enthaltsam! Folge stumm."
Und diese dieses Sich-Fügen in das, was man für Gottes Willen hält, findet Goethe auch im Islam, so der Kenner und Forscher Manfred Osten:
Manfred Osten: "Er sagt es ja selber im 'West-östlichen Divan': Wenn Islam 'gottergeben' heißt, leben und sterben wir alle im Islam."
Das ist für Goethe der eigentliche Islam: "Die unbedingte Ergebung in den Willen Gottes, die Überzeugung, dass niemand seinem einmal bestimmten Lose ausweichen könnte." Diese Einstellung schränkt ihn aber nicht in seiner Freiheit ein. Im Gegenteil. Sie befreie ihn von Sorgen.
"Eine dunkle Glaubenshülle"
Aber auch wenn er sich in Zustimmung zum Schicksal dem Islam nahe fühlt, liest Goethe den Koran kritisch:
Manfred Osten: "Er sagt, der Koran werfe eine dunkle Glaubenshülle über den Menschen."
"Der Stil des Korans ist seinem Inhalt und Zweck streng, furchtbar, stellenweis wahrhaft erhaben. /… / Grenzenlose Tautologien und Wiederholungen bilden den Körper dieses heiligen Buches, das uns, so oft wir auch daran gehen, immer von neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnötigt." (West-östlicher Divan, Noten, Mahomet)
Die Strenge des Islam, und überhaupt eines religiösen Lebens, würdigt Goethe an einer Stelle, die in ihrer Eindeutigkeit erstaunt:
"Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglaubens und Glaubens. Alle Epochen, in welchen der Glauben herrscht, unter welcher Gestalt er auch wolle, sind glänzend, herzerhebend und fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt. Alle Epochen, in denen der Unglaube, in welcher Form es auch sein, einen kümmerlichen Sieg behauptet, / ... / verschwinden vor der Nachwelt, weil sich niemand gern mit der Erkenntnis des Unfruchtbaren abquälen mag."
Selten urteilt er so entschieden. Gott ist für ihn in der Welt, in Ost und West, in der Natur und im Menschen selbst – und natürlich auch in der Liebe.
In einem der bekanntesten Gedichte des Werks vereint Goethe Themen die ihn als 70-Jährigen beschäftigen: Poesie und Prosa, Liebe und Selbstreflexion, die Anziehung von Ost und West. Es ist dem Gingko-Blatt gewidmet.
"Dieses Baumes Blatt der von Osten
Meinem Garten anvertraut
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie's den Wissenden erbaut.

Ist es Ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei die sich erlesen
Dass man sie als Eines kennt?

Solche Fragen zu erwidern,
Fand ich wohl den rechten Sinn;
Fühlst du nicht an meinen Liedern
Dass ich Eins und doppelt bin?"
Der West-östliche Divan. Gedichte, die einfach schön sind. Sentenzen, aus denen Goethes Frivolität und Witz hervorlugen. Ein Buch, das in seinem Prosateil gut 3000 Jahre Weltgeschichte erzählt. Ein Werk, das – bis heute - Aufschluss über Islam und Koran gibt.