Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Chemiewaffenvernichtung
Ausgeklügeltes System mit hoher Sicherheitsanforderung

Die Chemiewaffen Syriens müssen bis Ende 2014 vernichtet werden. Wochenlang suchte der US-Außenminister ein Land, das diesen heiklen Job erledigt. Die Gesellschaft zur Entsorgung chemischer Kampfstoffe und Rüstungs-Altlasten (GEKA) ist dazu in der Lage, doch Bundeskanzlerin Merkel wollte Deutschland nur finanziell an der Mission beteiligt sehen.

Von Mirko Smiljanic | 05.12.2013
    Munster in der Lüneburger Heide, im Kontrollraum 1 der "Gesellschaft zur Entsorgung chemischer Kampfstoffe und Rüstungs-Altlasten" - kurz GEKA.
    "Hier ist die Leitwarte, ist der Hauptkontrollraum für alle Anlagen der GEKA, die erste Verbrennungsanlage, die Bodenwäsche, der Plasmaofen, also der Lichtbogenofen, als auch der Sprengofen können wir hier überwachen,"
    ... sagt Ulrich Stiene von der GEKA. Stiene zeigt auf einen Monitor mit sich langsam drehenden konzentrischen Kreisen, außen blau, innen rot bis gelb. Es ist das Thermobild des Plasmaofens.
    "Da wird jetzt Granulat verbrannt, da ist einmal das arsenhaltige Schlammgemisch aus der Bodenwäsche, da hinzu kommt Betonbruch aus einem Munitionsbunker, da waren früher acht Zisternen drin, wo früher Lost und Clark solche Kampfstoffe drin gelagert hatten."
    In Deutschland selbst werden nur noch wenige Giftgasgranaten gefunden, zurzeit warten elf Chemiewaffen auf ihre Vernichtung. Die Zahl konventioneller Munition – seien es nun überlagerte Bestände der Bundeswehr oder Zufallsfunde aus den beiden Weltkriegen – geht dagegen die Zehntausend. Weil bei Zufallsfunden der Inhalt fast immer unklar ist, werden sie zunächst geröntgt.
    "Die wurde jetzt hier angeliefert, auf den Röntgentisch gelegt in einer 45-Grad-Schräglage, damit man anschließend, wenn Sie einen Flüssigkeitsspiegel enthält, diesen besser erkennen kann,..."
    ... erzählt dieser GEKA-Mitarbeiter, der in einem weißen Schutzanzug inklusive Gasmaske ein etwa 70 Zentimeter langes Stahlrohr mit der Granate in die Halterung einer Röntgenanlage stellt. Zeigt das Röntgenbild eine Flüssigkeit, enthält das Geschoss mit hoher
    Wahrscheinlichkeit einen chemischen Kampfstoff – welchen genau, weiß zu diesem Zeitpunkt allerdings niemand. Für die weitere Entsorgung ist diese Information aber wichtig. Also wird die Granate zunächst "delaboriert": In einem hermetisch abgeriegelten Gebäude sägen ferngesteuerte Maschinen den Mantel zunächst auf und trennen anschließend die Treibladung vom chemischen Kampfstoff. Niels Schneider:
    "Der Stand ist aufgebaut in eine "Delaborierkammer 1", dort ist die Bügelsäge und Fräse, dort werden die Granaten ausgefräst, und die Kammer 2 ist die rechte Kammer, da stehen die beiden Bandsägen."
    Sind Treibladung und Chemischer Kampfstoff getrennt, werden sie gesondert verpackt und in einem der Öfen thermisch behandelt, so nennen das die Munitionsvernichter.
    "Im Moment fahren wir eine Deckeltemperatur von 1.250 bis 1.300 Grad, im Ofen selber, die Flamme eine Temperatur von 20.000 Grad."
    Ein ausgeklügeltes System mit hoher Sicherheitsanforderung. Eigentlich perfekt geeignet für das derzeit wichtigste Entsorgungsprojekt: Die Chemiewaffen Syriens müssen bis Ende 2014 vernichtet werden. Wochenlang suchte US-Außenminister John Kerry ein Land, das diesen heiklen Job erledigt. Im Gespräch waren unter anderem Albanien, Belgien, Frankreich und Deutschland, Erfolg hatte er nicht. Immerhin bemerkte der außenpolitische Berater der Bundesregierung, Christoph Heusgen, auf einer Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung:
    "Wer sagt Ihnen, dass in Deutschland nicht auch darüber nachgedacht wird über bestimmte Produkte, die wir hier vernichten können, wir machen das ja auch an anderen Orten, aber wir stehen auch zu unserer Verantwortung, und es gibt ja auch deutsche Unternehmen, wo man etwas machen kann und es ist gar nicht ausgeschlossen, dass man auch in Deutschland den Beitrag leistet."
    Natürlich werde sich Deutschland finanziell an der Aufgabe beteiligen, natürlich werde es personelle und logistische Hilfe leisten – die Giftgasgranaten aus Syrien ins dichtbesiedelte Deutschland zu transportieren, um sie in der Lüneburger Heide zu zerstören, nein, dazu sei die Bundesregierung nicht bereit, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel am 20. November 2013 auf einer Pressekonferenz erklärte.
    "Wir haben durchaus Fähigkeiten bei der Vernichtung von Chemiewaffen, wir werden allerdings in Deutschland keine Chemiewaffen vernichten, sondern man wird sich in den internationalen Verbund hier einordnen."
    Weil kein Land bereit war, Assads Chemiewaffen zu zerstören, sind die Vereinigten Staaten vor wenigen Tagen in die Offensive gegangen. Rund 500 Tonnen der gefährlichsten Substanzen, darunter Senfgas, Sarin und VX, machen US-Experten bis April 2014 auf Hoher See unschädlich. Um den verbleibenden Rest von 800 Tonnen Industriechemikalien kümmern sich Entsorgungsfirmen, 35 Unternehmen haben schon ihre Zusammenarbeit angeboten.
    Die Unterzeichner des Chemiewaffenübereinkommens haben sich verpflichtet, keine neuen Chemiewaffen herzustellen und alte Bestände zu vernichten. In absehbarer Zeit wird die "Organisation für das Verbot chemischer Waffen" in Den Haag also melden, dass ein Massenvernichtungsmittel komplett geächtet worden ist. Dafür den Friedensnobelpreis 2013 zu bekommen, ist nur folgerichtig!