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Chemikaliengesetz REACH unter Beschuss

Das Chemikaliengesetz REACH versprach 2006 alle "besonders besorgniserregenden" Stoffe in der EU unter die Lupe zu nehmen. Darunter sollten auch alle Stoffe untersucht werden, die zum Beispiel Krebs auslösen oder das Hormonsystem beeinflussen. Doch jetzt zeigen sich immer mehr Mängel.

Von Ralph Ahrens | 01.08.2011
    Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes, outet sich: Er ist ein Fan von REACH, der europäischen Chemikalienverordnung, denn ...
    "... das Ziel ist es, dass wir die ‘besonders besorgniserregenden' Stoffe, wie es bei REACH heißt, entweder ganz vermeiden oder sie so einsetzen, dass sie nicht in die Umwelt gelangen können und nicht die Gesundheit der Menschen beeinträchtigen."

    Die EU setzt dabei auf die Eigenverantwortung der Chemiefirmen. Sie müssen zeigen, dass ihre Substanzen sicher eingesetzt werden. Das belegen sie in Registrierungsdossiers. Doch ..
    "es gibt Dossiers, die gut sind. Aber es gibt zu viele Dossiers, die nicht von ausreichender Qualität sind."

    Ein Beispiel: Fachleute des Umweltbundesamtes haben sich 30 Dossiers zu chemischen Mischungen angeschaut, die polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe enthalten. Viele dieser Stoffe - kurz PAK genannt - sind krebserregend und sehr langlebig.

    "Dabei haben wir festgestellt, dass es schon bei der Frage der Zusammensetzung von Stoffen große Mängel gibt. Das heißt, die Zusammensetzung wird nicht konkret umfassend angegeben, es wird nicht in der ganzen Bandbreite angegeben, in welchem Umfang PAKs in diesen Stoffen enthalten sind."

    Ein zweites Beispiel: Manch eine Chemiefirma in der EU unterschätzt, wie viel eines gefährlichen Stoffes in die Umwelt gelangen kann. Sie vermeidet so - bewusst oder unbewusst - teure Tests, um etwa zu untersuchen, wie eine Substanz auf Wasserflöhe und Fische wirkt. Und sie entzieht so Behörden wichtige Informationen. Jochen Flasbarth:
    "Wo keine Daten da sind, da kann man keine Schlussfolgerungen ziehen oder man zieht die falschen Schlussfolgerungen. Das ist das nahe liegendste. Wenn man falsche Daten zur Verfügung hat, kann man kaum die richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen."

    So gefährdet manche Chemiefirma den Schutz von Mensch und Umwelt durch schlechte Daten. Auf der anderen Seite fehlt nationalen Behörden in allen EU-Staaten ausreichend Personal. So sollten sich die Behörden ab 2012 jährlich die Dossiers von rund 100 Stoffen genauer anschauen, um zu entscheiden, ob etwa der Einsatz krebserregender oder umweltgefährdender Stoffe reguliert werden muss oder ob die Industrie weitere Daten liefern muss, um die Risiken vernünftig einschätzen zu können. Jochen Flasbarth:

    "Wir haben mal abgeschätzt, dass 25 Prozent dieser Stoffe dann angemessen wären vom wichtigen Chemiestandort Deutschland auch überprüft zu werden, bewertet zu werden."

    Doch Deutschland will zurzeit nur drei Stoffe pro Jahr bewerten. Mehr gehe einfach nicht ...

    "…dazu reichen schlicht und einfach die Ressourcen nicht. Dazu haben wir das Personal nicht. Das trifft nicht nur das Umweltbundesamt, sondern auch die anderen Behörden, die hier in diesem Bereich mit an Bord sind."

    Nämlich in Deutschland die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und das Bundesinstitut für Risikobewertung. Scheitert REACH also an schlechten Daten manch einer Chemiefirma sowie an zu wenigen Mitarbeitern in den Behörden?

    "Das würde ich so noch nicht sagen. Also, REACH ist ein ziemlich neues Instrument. Und das will natürlich erst eingeübt sein,"

    meint Jochen Flasbarth. Doch damit das Einüben Erfolg bringt, brauche es zwei Dinge: Erstens mehr Personal und zweitens bessere Daten von der Industrie.

    "Meine Empfehlung an die Industrie ist, die Eigenverantwortung nicht als Schlupfloch zu sehen, sondern als Chance, sich weitergehender Regulierung zu entziehen - und damit auch unbürokratisch zukünftig Chemikalienproduktion in Europa vornehmen zu können."