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Chemischer Schutzschild für Embryonen

Biologie.- Zwar verfügen Süßwasserpolypen nur über einen recht simplen Aufbau, dennoch erstaunen sie Biologen immer wieder. Kieler Wissenschaftler konnten nachweisen, dass sich die Embryonen der Tierchen mithilfe von antimikrobiellen Peptiden schützen. Eine Erkenntnis, die auch für den Menschen von Bedeutung sein könnte.

Von Tomma Schröder | 25.01.2011
    Süßwasserpolypen sind merkwürdige Wesen. Äußerlich vollkommen unscheinbar – höchstens drei Zentimeter groß, schlauchförmig, oben mit Tentakeln ausgestattet – sitzen sie zumeist am Grunde von Teichen. Und dort können sie sehr lange sitzen. Denn dank ständiger Zellerneuerung altern die Nesseltiere nicht und haben eine erstaunliche Regenerationsfähigkeit. Die begeistert Wissenschaftler schon lange. Doch Kieler Zoologen sind jetzt einem weiteren Rätsel auf der Spur: Der Fortpflanzung der Tiere. Neben Zwittern, die sich asexuell fortpflanzen, gibt es hier auch die klassische Aufteilung in männliche und weibliche Polypen, erklärt Sebastian Fraune von der Universität Kiel.

    "Die männlichen produzieren Hoden an der Außenseite und geben Spermien an das Wasser ab. Und weibliche Polypen entwickeln ein separates Ei, was nach außen sich entwickelt an der Mutter, und wird dann von den Spermien im Freiwasser entwickelt. Und dieses Ei entwickelt sich am Anfang an der Mutter, ist aber umgeben direkt vom Wasser."

    Eine Tatsache, die Thomas Bosch, ebenfalls Biologe an der Universität Kiel, zum Nachdenken gebracht hat. Denn eigentlich sind die Embryonen in der frühen Phase, in der noch kein Immunsystem aufgebaut, keine schützende Hautschicht vorhanden ist, ein ideales Opfer für Keime im Wasser. Doch allen bakteriellen Angriffen zum Trotz überleben die Embryonen dieses sensible Stadium fast immer.

    "Offensichtlich hat sich noch niemand vorher gefragt, wie die Embryonen, vor allem von Organismen, die wie viele Wirbeltiere – Frösche und andere – ihre Eier ins freie Wasser abgeben, wie da die Embryonen geschützt sind."

    Denn so vollkommen ungeschützt, wie es auf den ersten Blick scheint, sind die Embryonen dann eben doch nicht, weiß Thomas Bosch. Gemeinsam mit seinem Kollegen Sebastian Fraune hat er herausgefunden, dass eine Süßwasserpolypen-Mutter sich sehr wohl um ihre Nachkommen kümmert: Sie stattet ihre Embryos mit einem chemischen Schutzschild aus, und zwar indem sie

    "ein kleines Eiweißmolekül in Form eines maternalen Genes dem Embryo mitgibt, und der Embryo dann dieses Molekül aktiviert und zunächst mal über die Runden kommt."

    Denn das Gen sorgt dafür, dass der Embryo mit einem besonderen antibakteriellen Peptid umgeben ist. Also kleinen Eiweißmolekülen, die bestimmte Bakterien abtöten. Doch das Peptid, das die Biologen bei den Embryonen gefunden haben – das Periculin 1a – kann noch viel mehr. Es sorgt dafür, dass die Embryonen in der frühen, sehr sensiblen Phase nur von wenigen, nützlichen Bakterien besiedelt werden, die schädlichen Keimen keinen Raum lassen. Je weiter sich der Embryo schließlich entwickelt, desto geringer wird der Anteil des Periculin1a. Gleichzeitig nimmt die Bakterienbesiedlung stark ab. Der ältere Embryo scheint dann ebenso wie der erwachsene Polyp die Zusammensetzung seiner Bakterienflora nicht mehr kontrollieren zu können.

    Sobald die Biologen aber erwachsene Tiere genetisch so manipulierten, dass sie wieder Periculin1a produzierten, nahm auch bei ihnen wie bei den frühen Embryos die Zahl und Vielfalt der Bakterien rapide ab. Ein Ergebnis, das für Thomas Bosch grundsätzliche Fragen aufwirft:

    "Ich behaupte, dass die Funktion von antibakteriellen Peptiden, die bislang gesehen wurden als Killer von Bakterien, dass das eine sehr einseitige Behauptung ist. Und wir meinen, dass antibakterielle Peptide Mediatoren sind, Regler sind, von Zusammenleben von Mikroben, und nicht einfach nur killen und töten. Dass die also bestimmte Bakteriengruppen in bestimmten Zahlen aufrecht erhalten. Das ist, denke ich, eine fundamental neue Sicht über die Rolle von antimikrobiellen Peptiden in der Interaktion zwischen Mikroben und Wirt."

    Eine Sicht, die auch in der modernen Medizin eine Rolle spielen könnte, meint Sebastian Fraune.

    "Der Mechanismus, der dahinter steckt, also dass antibakterielle Peptide die bakterielle Gemeinschaft auch regulieren, das kann man vielleicht auch übertragen auf den Menschen."

    Auch beim Menschen spielt die richtige Zusammensetzung der unterschiedlichen Bakterien eine große Rolle für die Gesundheit. Ist hier das Gleichgewicht gestört, wird er krank. Mit den antibakteriellen Peptiden, die vermutlich schon von Geburt an die Zusammensetzung der Bakterien steuern, hätten Mediziner daher einen Schlüssel für die Regulierung der Bakterienflora. Doch hier wartet noch viel Arbeit auf die Forscher. Denn dass antimikrobielle Peptide die Bakterienzusammensetzung steuern, konnten die Kieler Forscher nun zwar zeigen. Wie das geschieht, ist aber noch unklar.