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Chicago
Auf den Spuren von Obama

20 Jahre lang hat Barack Obama in Chicago gewohnt und gearbeitet, bevor er 2008 zum US-Präsidenten gewählt wurde. Und er hat Spuren in der Metropole am Lake Michigan hinterlassen. Touristentouren führen heute zu seinem Friseur, seinem Lieblingsimbiss, seinem Wohnhaus und dorthin, wo die Liebe mit Michelle begann.

Von Michael Marek | 17.07.2016
    Skyline von Chicago
    Skyline von Chicago (dpa / picture alliance / Yannick Tylle)
    Murder City, Windy City, Second City, Meatpacking City- das sind die wenig schmeichelhaften Beinamen von Chicago. Einst Stadt der meisten Morde, der korruptesten Politiker - Stadt, in der die meisten Viehschlachthöfe der Welt standen und jetzt nur noch Platz drei unter den größten Städten der USA.
    Spitznamen Chicagos
    Mit Barack Obama ist zumindest ein positiver Spitzname dazu gekommen: "President's City". Denn obwohl Obama auf Hawaii, in Honolulu aufgewachsen ist, gilt Chicago doch als Homebase des ersten afroamerikanischen US-Präsidenten. Hier singt er gerade im Weißen Haus, seinem "Zweitwohnsitz", zusammen mit Mick Jagger und Blues-Legende Buddy Guy die inoffizielle Hymne von Chicago.
    "Wir sind hier in Kenwood, Hyde Park. Der Stadtteil wurde 1889 gegründet, und die meisten Gebäude stammen noch aus dieser Zeit. Das ist eine ziemlich wohlhabende Gegend!"
    Unterwegs mit Kineret Jaffe. Sie kennt jede Ecke hier, jeden Laden und jede Menge Anekdoten. Kineret ist Mitte Sechzig, Historikerin, sie liebt Paris und forscht vor allem zu "Frankreich und der Romantik". Seit knapp 30 Jahren wohnt und arbeitet Kineret im Stadtteil Hyde Park - dort, wo auch die Obamas zu Hause sind. Und seit Barack Obama 2008 zum Präsidenten gewählt wurde, verlaufen sich immer mehr die Touristen hierher:
    Zuhause der Obamas
    "Dahinten liegt das Haus von Präsident Obama und seiner Frau Michelle. Die Familie ist drei oder vier Jahre vor Obamas Wahl hierher gezogen. Jetzt wird ihr Haus vom Secret Service bewacht. Wir sind gleich da!"
    Erste Station: South Greenwood Avenue Nummer 5046. Hier sind die Obamas zu Hause. Wenn er nicht gerade im Weißen Haus regiert, wohnt Obama hier im Universitätsviertel von Chicago mit seiner Familie. Es ist eine alte Villengegend. Zum Straßenbild gehören elegante Backsteinhäuser mit schattigen Bäumen und Multikulti-Flair. Gehobener Mittelstand, Professoren wohnen hier, Anwälte, Bänker, aber auch Lehrer und Angestellte. Gegenüber liegt die Synagoge. Betonbarrieren versperren die Einfahrt zur Straße.
    "Blinken Sie nach links! Dann wissen die vom Secret Service, dass wir nicht in den Sicherheitsbereich wollen. Hier können Sie parken. Dort drüben ist alles für den Secret Service reserviert."
    Kontrolle durch Secret Service
    Männer mit schwarzen Maschinenpistolen, schwarzen Sonnenbrillen und schweren schwarzen Geländewagen patrouillieren auf der Greenwood Avenue. Hat man alles schon zigmal in Hollywood-Blockbustern gesehen:
    "Die Geländewagen dort drüben gehören dem Secret Service. Obama ist natürlich nicht hier, sondern im Weißen Haus, Washington D.C. Ok, raus aus dem Wagen!"
    Unscheinbar sieht sie aus, die viktorianische rote Backsteinvilla mit weißen Säulen am Eingang. Sechs Schlafzimmer soll das Haus haben, einen Weinkeller und die Kleinigkeit von 1,6 Millionen Dollar gekostet haben. An der rechten Hauswand hängt einsam ein Basketball-Korb. Das kleine Anwesen strahlt Wohlstand aus, aber keinen Protz wie die Hotels und Kasinos eines Donald Trump.
    "Als Obama 2008 zum ersten Mal gewählt wurde, gab es sogar Scharfschützen auf dem Dach. Alles nur, um das Haus zu sichern!"
    Alltäglicher Rassismus
    Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wohnten in Hyde Park fast ausschließlich weiße Familien. Mit Immobilientricks verhinderte man, dass Schwarze in die Gegend ziehen konnten. So war es Weißen verboten, ihre Häuser an Schwarze zu verkaufen. Alltäglicher Rassismus, sagt Kineret, bis das Oberste Gericht der USA 1948 solche Verträge für verfassungswidrig erklärte.
    "Hier in Hyde Park leben Schwarze, Weiße und Asiaten zusammen. Es gibt in Chicago wahrscheinlich keinen anderen Stadtteil, wo die Integration derart gelungen ist. Die Obamas schätzen das - genauso wie alle anderen Anwohner."
    Hyde Park als eine Insel bürgerlicher Anständigkeit inmitten Chicagos berüchtigter South Side. Hier ist verwirklicht, was Obama für die USA wollte: das selbstverständliche Zusammenleben von Schwarzen und Weißen.
    Leider funktioniert das in anderen Stadtteilen von Chicago weit weniger gut. Bürgermeister Rahm Emanuel, immerhin früher Obamas Stabs-Chef im Weißen Haus und einer seiner engsten Vertrauten, musste erst vor Kurzem in einem Untersuchungsbericht lesen, dass seine städtische Polizei und Justiz Schwarze systematisch diskriminiert. Das Misstrauen zwischen Chicagos Minderheiten und den Sicherheitsbehörden sitzt tief.
    Tiefes Misstrauen
    "Hallo?! Sie können nicht einfach Fotos von Obamas Haus machen. Ok? Der Secret Service will das nicht! Vielleicht können Sie einige Aufnahmen von der Synagoge aus machen."
    Auch für Kineret, die nur ein paar Blocks entfernt von den Obamas lebt, sei es manchmal gar nicht so leicht, in die Synagoge zu kommen. Wer hier heiraten will, muss seine Gäste dem Secret Service vorstellen. Sicherheitskram, sagt Kineret Jaffe. Doch beschweren würde sie sich nie. Gehört sie doch – wie die meisten Bewohner in Hyde Park - zu Obamas Unterstützern:
    "Zum ersten Mal wurde in den USA ein Präsident gewählt, der in einen städtischen Ballungsraum Zuhause ist. Wir mögen Obama als Nachbarn. Und es ist wunderbar, dass er hier unter uns lebt. Für uns Anwohner führt das aber auch zu Problemen: Wenn Obama kommt, dann werden Buslinien umgeleitet, Straßen gesperrt, das ist nicht einfach für die Nachbarn!"
    US-Präsident Barack Obama
    US-Präsident Barack Obama (dpa / picture alliance / Shawn Thew)
    Neue Sicherheitsmaßnahmen
    Vor allem direkt nach Obamas Wahl mussten sich die Nachbarn erst mal an die Sicherheitsmaßnahmen gewöhnen.
    "Die Leute vom Secret Service kamen zu uns in die Synagoge, um die Toiletten zu benutzen. Schließlich wollte sich unser Rabbi dem Leiter des Secret Service vorstellen, eine wirklich lustige Geschichte. Der Rabbi sagt also: Ich heiße Rabb Elliot Gertel. Und der vom Secret Service entgegnet: Ja, ja, das weiß ich doch!"
    Weiter geht es, zweite Station: South Blackstone Avenue Nummer 5234. Wir stehen vor einem unscheinbaren Laden, draußen flimmert die grelle Leuchtreklame:
    "Das ist der Hyde Park Friseur. Vor dem Laden sieht man diese runde rot-weiß-blau rotierende Leuchtreklame. Daran erkennt man in den USA, dass es sich um einen Männerfriseur handelt. Es gibt aber auch Friseursalons nur für Frauen."
    Friseursalons im Hyde Park
    Glasfenster reichen von der Decke bis zum Boden. Ein paar alte abgewetzte Ledersofas stehen vorne in dem langgezogenen Raum, hinten hängen riesige Poster schwarzer American Football Stars. Drinnen läuft ein Fernseher, Mohammad Ali schaut in Boxerpose von einem Poster auf gepolsterte Drehstühle. Auch The Greatest ließ sich hier schon die Haare schneiden, zumal er hier um die Ecke im Hyde Park wohnte – und auch Spike Lee, der Filmregisseur ließ sich hier nicht nur die Nackenhaare stutzen. Die Kundschaft besteht ausschließlich aus Afroamerikanern. Gleich am Eingang in einer Ecke: ein Frisiersessel unter Glas.
    "Auf diesem Friseurstuhl hat Obama gesessen. Sehen Sie das Foto? Da hat er sich sogar verewigt mit seiner Unterschrift. Obama kam hierher zwischen Ende der 1980er Jahre bis zu seiner Wahl als Präsident. Leute aus der Gegend lassen sich hier die Haare schneiden. Hier, sehen Sie, auf diesem Bild ist Obama schon ziemlich grau. Ja, er hat einen echt harten Job!"
    Über dem Sessel hängt eine Fotografie: links Geschäftsinhaber Ishmael, rechts Friseur Zariff, in der Mitte der US-Präsident. Darüber der Wahlkampfslogan von vor acht Jahren auf Silberlettern: Change we can believe in! Nur bei seiner Frisur da ist Obama wenig progressiv:
    "Ja, stimmt, das ist ein ziemlich konservativer Schnitt, keine langen Haare, wurde bekannt als Obama Schnitt. Manche Kunden wollen genau den gleichen Haarschnitt, sogar kleine Jungen. Was das kostet? 21 Dollar!"
    "Obama Cut"
    Für den "Obama Cut" ist der Friseurladen bis heute bekannt: ein extra kurzer Putz, besonders hinten und an den Seiten. Ishmael ist stolz auf seinen berühmtesten Kunden: Schrecklich zerlumpt habe er ausgesehen, als Obama seinen Friseurladen zum ersten Mal betrat. So steht es jedenfalls auf dem Obama-Bild: "Barack, du solltest das nächste Mal etwas früher kommen!" Und Obama hat sich dran gehalten, er wurde Stammkunde, der Hyde Park Friseur Salon mittlerweile zur Pilgerstätte.
    "Früher kam Obama alle zwei Wochen zu uns, während des Vorwahlkampfes 2007 sogar jede Woche. Unsere Kunden sind arm, reich, sie gehören unterschiedlichen Klassen der Gesellschaft an. Alles bunt zusammengewürfelt!"
    Mit seinem dunkel-grauen Bart, dem kurzen Haarschnitt und dem schwarzen Friseurumhang und den großen Händen rasiert er gerade einen Kunden. Wortkarg. Reden ist nicht Ishmaels Sache, wenn es um seinen bekanntesten Kunden geht. Nur eine Frage beantwortet er noch:
    "Nein, einen Rabatt bekommt er nicht, unser Präsident!"
    Kein Präsidenten-Rabatt
    Gleich um die Ecke vom Friseurladen wartet die dritte Station: 1400 East Straße. Hier hatten Michelle und Barack ihr erstes Date:
    "Heute ist das ein Restaurant der Subway Fastfoodkette. Aber früher gab es an dieser Stelle einen Eisladen."
    Getroffen hatte Barack Obama seine große Liebe im Sommer 1989. Im ersten Jahr als Jurastudent in Harvard arbeitete er in den Semesterferien als Praktikant bei der renommierten Kanzlei Sidley & Austin. Die junge Rechtsanwältin Michelle Robinson wurde ihm als Mentorin zugewiesen. "She had him at hello", schwärmt Kineret, ganz so, als wäre sie dabei gewesen. Was so viel bedeuten soll wie, dass es schon bei der Begrüßung um Barack geschehen war. Erste Avancen soll Michelle zurückgewiesen haben. Doch schließlich ließ sie sich überreden, mit ihm ein Eis essen zu gehen:
    "Hier auf der Plakette steht es: Unser erstes Date hatten wir in Baskin-Robbins Eiscafé. Ich küsste Michelle, und es schmeckte nach Schokolade."
    Hinterher gingen sie ins Kino und schauten Spike Lees Klassiker des schwarzen Kinos: "Do the right thing". Fortan waren sie ein Paar.
    US-Präsident Barack Obama und seine Frau Michelle steigen aus dem Flugzeug aus, er winkt und lächelt.
    US-Präsident Barack Obama und seine Frau Michelle (AFP)
    Ein Kuss, eine Eiskugel, und schon geht es weiter. Vierte Station:
    Lieblingsrestaurant der Obamas
    "Das ist das Medici, das Lieblingsrestaurant der Obamas! Der Eigentümer kommt aus Deutschland. Die Pizzeria ist vor allem bei Studenten beliebt. Viele haben die Initialien ihres Namens in die Holztische, nun, ja, eingraviert. Alles sehr studentisch hier!"
    Wenn man mit den Angestellten spricht, dann sieht man an ihren Gesichtern, dass sie schon hunderte Male nach dem Lieblingsgericht der Obamas gefragt wurden:
    "Hamburger und Pizzen!"
    Fünfte Station: Obamas Lieblingsbuchhandlung in der 57. Straße Ost, Ecke Kimpark Avenue. Rotes Backsteinhaus, eine kleine Treppe führt nach unten zum Eingang. Hier war Obama Stammkunde. Das Souterrain-Geschäft ist bis unter die Decke mit Büchern vollgestopft. Der Laden wirbt mit dem Motto: Wo ernsthafte Leser hingehen, um Spaß zu haben.
    "Das ist der Buchladen 57 Street Books. Der Buchladen ist eine Art Kooperative. Mitglieder bekommen Bücher mit einem Rabatt und unterstützen ihn gleichzeitig. Direkt über dem Buchladen befindet sich das sprach- und literaturwissenschaftliche Institut. Man findet hier bei Street Books nicht nur Fachliteratur, sondern auch Literatur und Kinderbücher."
    Hier hat Obama die ersten Exemplare seiner Bücher signiert. Zur Vorstellung seiner Autobiografie, "Dreams of my Father – Ein amerikanischer Traum: Die Geschichte meiner Familie", kamen nur etwa 50 Leute, beim zweiten Buch "Audacity of Hope – Hoffnung wagen" ging die Warteschlange um den Häuserblock. Damals habe einer ihrer Freunde hier ein Buch mit der Obamas Unterschrift bekommen. Endlich haben wir wieder einen Präsidenten, der liest, sagt Kineret, das macht die Leute stolz.
    Ein lesender Präsident
    Ganz in der Nähe des Buchladens ist die Universität von Chicago. Hier lehrte der konservative Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman, hier fand Literaturnobelpreisträger Saul Bellow sein zweites Zuhause. Insgesamtist Hyde Park ein Stadtteil der Intellektuellen und Liberalen, sagt Kineret. Auch Barack Obama lehrte hier an der Uni - zwischen 1993 und 2003 an der Law School.
    "Präsident Obama ist eng mit der Universität von Chicago verbunden, er hat hier Verfassungsrecht gelehrt. Michelle Obama arbeitete ebenfalls für die Universität. Ich hatte vor allem mit ihr zu tun. Und wenn es eine Feier gab, dann wurde Michelle eingeladen, und ihr Ehemann hat sie begleitet, nicht umgekehrt, verstehen Sie? Ich finde das großartig!"