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Chicxulub-Krater
Was Bohrkerne über einen Asteroideneinschlag verraten

Am Bremer Marum Zentrum werden derzeit Gesteinsproben aus dem Chicxulub-Krater analysiert. Das 30 Kilometer tiefe und 100 Kilometer weite Loch entstand infolge eines Asteroideneinschlags vor 65 Millionen Jahren. Die Forscher erhoffen sich neue Erkenntnisse über den wohl berühmtesten Einschlag aller Zeiten.

Von Dagmar Röhrlich | 12.10.2016
    Das Team nutzt neben hochauflösenden Fotografien der Bohrkerne auch CT-Scans, um die Oberfläche und damit die Beschaffenheit des Gesteins zu beschreiben
    Das Forscherteam nutzt neben hochauflösenden Fotografien der Bohrkerne auch CT-Scans, um die Oberfläche und damit die Beschaffenheit des Gesteins zu beschreiben (eleber@ECORD_IODP)
    Zwischen April und Juni war es so weit: Im Rahmen der Meeres- und des Kontinentalbohrprogramme IODP und ICDP teuften 35 Wissenschaftler von Bord des Bohrschiffs Myrtle aus eine Bohrung ins Zentrum des Chicxulub ab. Gestoppt haben die Geologen ihre Arbeit 1.335 Meter unter dem Meeresboden, und dabei insgesamt 800 Meter Bohrkerne gezogen. Die werden derzeit am Bremer Marum Zentrum für Marine Umweltwissenschaften katalogisiert, analysiert, beprobt und im Bohrkernlager archiviert.
    Bohrkerne werden analysiert
    Ordentlich sortiert nach der Tiefe, aus der sie stammen, liegen ein paar Bohrkerne auf einem Tisch im Flur: Sie haben den ersten Durchlauf in den Laboratorien hinter sich und sollen fürs Einlagern verpackt werden. Eine Gelegenheit für die Wissenschaftler, sich die Gesteine noch einmal in einem größeren Zusammenhang anzusehen. Joanna Morgan vom Imperial College in London beschreibt eine wilde Mischung aus dunkler, erstarrter Gesteinsschmelze und Granitbruchstücken. Die hat die Wucht des Asteroideneinschlags vor 66 Millionen Jahren aus mehreren Kilometern Tiefe nach oben verfrachtet.
    Die Bohrkerne hier stammen aus dem Peak-Ring, dem Einschlagsring im Zentrum des Chicxulub-Kraters. Mit ihrer Hilfe wollen die Geologen klären, was damals in den Sekunden, Minuten und Stunden nach dem Impact vor der Küste des heutigen Mexikos genau passiert ist. Warum konnte der Asteroid ein Massenaussterben auslösen, dem auch die Dinosaurier zum Opfer fielen? Und wie kehrte das Leben nach der Katastrophe allmählich wieder zurück? Sean Gulik von der University of Texas in Austin:
    "An der Einschlagstelle sehen wir, dass es überraschenderweise einigen Planktonarten selbst direkt danach recht gut ging. Dabei handelt es sich um sogenannte Desaster-Taxa, Arten, die in einer gestörten Umgebung aufblühen, weil sie keine Konkurrenz mehr haben. Sie beherrschten die Szene während der ersten zehntausend Jahre nach dem Impact. Dann folgt eine Phase von rund 300.000 Jahren, in der die Evolution wieder in Gang kam: Beim Zooplankton entstehen erste neue Arten. Allerdings blieben die Ökosysteme gestört, denn wir sehen bei anderen Arten über Hunderttausende von Jahren hinweg immer noch Stress-Symptome. Das hat uns schon überrascht."
    Fingerabdruck des Geschehens
    Insgesamt scheint diese Erholungsphase mehrere Millionen Jahre gedauert zu haben, urteilt Joanna Morgan: "Die Untersuchungen am Chicxulub sind für uns deshalb so wichtig, weil wir dort erkennen können, womit wir es eigentlich zu tun haben. Wir sehen die Auswirkungen des Einschlags zwar weltweit, aber andernorts sind die Spuren zu verwischt, um sozusagen den Fingerabdruck des Geschehens nehmen zu können. Im Peak-Ring ist alles konzentriert."
    Dort dauerte die Rückkehr zur Normalität allerdings besonders lange, denn die Hitze des Einschlags trieb heiße Quellen an, die Metalle und giftige Stoffe frei setzten. Gleichzeitig bildeten diese Hydrothermalwässer jedoch die Grundlage für chemische Lebenswelten tief im Untergrund.
    "Die Gesteine sind durch den Einschlag stark zerrüttet worden und damit sehr porös. Sie boten also hitzeliebenden Mikroorganismen viel Lebensraum, und gleichzeitig lieferten die Hydrothermalwässer reichlich Nährstoffe. Eine tiefe Biosphäre etablierte sich. Wir haben erste Hinweise darauf, dass dort unten seit 66 Millionen Jahren ein ganz spezielles Ökosystem besteht - obwohl die hydrothermale Aktivität längst erloschen ist."
    Wie lange dauerte die heiße Phase?
    Die "Urenkel" der damals eingewanderten Hitzespezialisten haben sich also umgestellt. Die Frage ist, wie lange diese heiße Phase gedauert hat: ob Hunderttausende von Jahren oder Millionen. Das sollen Untersuchungen der Minerale zeigen. Die Mineralogen sind auch bei einer anderen, ganz zentralen Frage gefordert: Was machte den Einschlag eigentlich so tödlich. Bislang sind in den Bohrkernen des Peak-Rings keine Reste der kalk- und sulfathaltigen Gesteine aufgetaucht, die überall sonst unter den Krater liegen. Vielleicht fehlte diese Schicht dort von Anfang an. Vielleicht ist sie aber auch bei dem Einschlag verdampft - mit allen Folgen auf den Treibhauseffekt und die Chemie von Atmosphäre und Ozeanen.
    "Wenn Sie mich nach meiner Meinung fragen: Ich tendiere dazu, dass es diese Schicht an der Einschlagstelle verdampft ist."