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Chiemgauer schlägt Euro

Komplementärwährungen sind Vereinbarungen innerhalb einer Gemeinschaft, eine Währung neben dem offiziellen Geld als Tauschmittel zu akzeptieren. Anlass für den ersten Regiogeld-Kongress vor einem Jahr war der Start des Chiemgauers, eines Gutscheinsystems, das an einer Schule als Modellprojekt entstanden ist. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich nicht nur der Chiemgauer erstaunlich gut entwickelt, sondern auch das Interesse an dem Thema Komplementärwährungen. In fast allen Bundesländern arbeiten Gruppen daran, regionales Geld einzuführen.

Von Susanne Kabisch | 07.03.2004
    In Deutschland gibt es vielleicht 35 Regiogeld-Initiativen, und es gibt aber im Moment ganz wenige Spezialisten, die die Fragen beantworten können, deswegen ist es so wichtig, dass man gemeinsam guckt und eine Plattform schafft, wo die Menschen sich gegenseitig unterstützen können. Es ist ein ganz neues Thema, das noch nicht in unserer Zeit bearbeitet wurde.

    Agnieszka Komoch hat deshalb am Aufbau eines Netzwerks mitgewirkt, das alle Regiogeld-Initiativen zusammenfasst. Die in Polen geborene Sprachwissenschaftlerin übernimmt darin die Rolle, Kontakte auf europäischer und internationaler Ebene herzustellen. Sie ist überrascht, wie viele Projekte es bereits in Europa gibt, und wie wichtig es allen Beteiligten ist, Erfahrungen auszutauschen.
    Was wir mit den Tauschringen gesehen haben in Europa, dass die normalerweise lokal begrenzt sind und keinen Einfluss auf die Wirtschaft haben und das ist zu wenig, und wenn man sich die Europapolitik anguckt, wird auch viel über Europa der Regionen gesprochen, und wir denken in dem Netzwerk, dass die regionale Ebene jetzt dran ist, und das liegt genau zwischen den lokalen und den nationalen und es ist eine Ebene, die man noch bewältigen kann.

    Das Regiogeld-Netzwerk arbeitet intensiv: Man trifft sich jeden zweiten Monat, und fast die Hälfte der Initiativen möchte in den nächsten Monaten ein eigenes Geld herausgeben, das Sieg-Taler, Kamenzer, Kirschblüte oder Sterntaler heißen wird. Und weil es bereits viele Erfahrungen und konkrete Fragen gibt, findet im Juli das erste Europäische Forum für Komplementärwährungen statt. Agnienszka Komoch ist an der Vorbereitung beteiligt zusammen mit dem Katholisch Sozialen Institut in Bad Honnef, wo die Tagung stattfindet. Eingeladen sind 20 Projekte, die repräsentativ sind für die Vielfalt dessen, was sich als Komplementärwährung entwickeln kann.

    Und das sind Projekte mit ganz unterschiedlichen Hintergrund, es sind kleine Gemeinschaften, die eine Währung rausgegeben haben, Firmen, die mit Punktesystem arbeiten und Chipkarten, Projekte die einfach Münzen oder Scheine herausgegeben haben, ökologisch bewusst oder sozial bewusst - eine Vielzahl von Ansätzen, wo man einfach sieht, was tut sich wo, was sind das für Unterschiede und was verbindet uns.

    Da gibt es zum Beispiel Amstelnet, einen Zusammenschluss von Firmen, Selbständigen und Organisationen in Amsterdam, die als elektronisches Tauschmittel ihre Amstelnet Einheit verwenden und so die Mitglieder des Netzwerks stärken. Amstelnet ist auch eines von vier Pilotprojekten, die von der europäischen Kommission gefördert werden. Auch Bonussysteme und Tauschringe gehören zu den Komplementärwährungen, denn auch hier trifft man Vereinbarungen darüber, was anstelle des offiziellen Geldes gilt, genauso wie bei den Währungen innerhalb von Gemeinschaften, zum Beispiel im Freistaat Christiania in Dänemark. Und dann gibt es Modelle, die vor allem das Ziel haben, Projekte und Unternehmen zu finanzieren mit Krediten, die diese von Banken nicht bekommen würden. Eine solche Vielfalt von lokalen Währungssystemen zeigt sich in Deutschland bisher nicht, die meisten Initativen möchten ein Regiogeld einführen nach dem Vorbild des Chiemgauer, der sich in Prien und Umgebung bereits bewährt hat.

    Der Chiemgauer das sind Gutscheine, die von der Waldorfschule kreiert, eingeführt worden sind, dass das Geld im Chiemgau bleibt, und da kann man mit den Gutscheinen einkaufen, und das finde ich eine sehr gute Sache.

    Lieselotte Gerlmeier ist Verkäuferin in einer Filiale der Bäckerei Miedl in Prien, seit etwa einem Jahr gibt es in ihrer Kasse auch ein Fach für den Chiemgauer – kleine, bunte Scheine, die entweder einem, fünf, zehn oder 20 Euro entsprechen. Am Anfang haben vor allem Schüler und Lehrer der nahegelegenen Schule sich damit Kaffee oder Brötchen geholt, aber bald schon hat das Gutschein Geld nicht nur die alten Kontakte gefestigt, sondern auch neue Kunden in die Bäckerei geführt.

    Sehr viele Priener, und es haben auch schon Fremde gefragt. Die waren teilweise auch vom Campingplatz hergekommen, und die kaufen schon im großen Maße ein, muss ich schon sagen, dass die schon eine Menge brauchen im Sommer.

    Nur ein paar Minuten von der Bäckerei entfernt liegt der Ort, an dem die Chiemgauer entstehen: In einem Projektraum der Waldorf-Schule werden die Gutscheine gedruckt, mit Sicherheitsmerkmalen versehen, ausgegeben und wieder angenommen, hier drängen sich auf kleinem Raum Buchhaltung, Vertrieb und Geschäftsführung des Chiemgauer Regional. Im Oktober 2002 hat sich das Schüler-Unternehmen gegründet im Rahmen des Wirtschaftsunterrichts und wird nun vom Lehrer und sechs Schülerinnen geführt. Die Siebzehnjährigen investieren über den Unterricht hinaus noch eine Menge Freizeit in ihr Projekt. Es gefällt ihnen, etwas zu bewirken in ihrer Umgebung. Der Kurort Prien kann zwar nicht gerade als Krisengebiet gelten, aber auch hier klagen die Unternehmen über Umsatzrückgänge, auch hier macht die Verdrängung der kleinen Geschäfte durch die großen nicht halt, es gibt selbst in diesem beschaulich wirkenden Ort eine Menge Konfliktstoff. Aber eine Komplementärwährung ist auch nur dann sinnvoll, wenn es ein Problem gibt, das gelöst werden muss, sagt Wirtschaftslehrer Christian Gellerie.

    Dieses bestimmte Problem ist, dass regionale Kreisläufe immer mehr auseinanderfliegen durch die Globalisierung, und darauf braucht es eine Antwort, wenn wir wollen, dass es in der Region noch eine Wirtschaft gibt, eine kleinstrukturierte Wirtschaft, eine dezentrale Wirtschaft.
    Früher waren 90 Prozent regional, heute sind es vielleicht noch
    zehn Prozent, die Welt ist auf den Kopf gestellt. Noch nie war die Umweltverschmutzung so groß, noch nie waren die sozialen Probleme so hoch und noch nie war die Regionalität so gering.


    Viele Eltern an der Schule begrüßen das ungewöhnliche Unternehmen und fördern einen Verein, der die Gutscheine in Umlauf bringt. 230 Vereinsmitglieder abonnieren den Chiemgauer oder holen sich die Gutscheine an einer der Ausgabestellen ab. Andere Vereine in Prien haben sich dem Netzwerk angeschlossen, und so wandern mittlerweile im Monat rund 5000 Euro in Form von Chiemgauern in Prien und Umgebung zu Unternehmen, die, wie ihre Kunden, regionale Strukturen stärken wollen. Es sind Lebensmittel- und Bekleidungsgeschäfte, Buchläden, Optiker, Steuerberater, Hotels, Restaurants, Dienstleister im Gesundheitsbereich. In einem Jahr sind fast 60.000 Euro in Chiemgauer getauscht worden. Auch Rainer Paul holt sich jeden Monat neue Scheine, denn er sieht im Gutschein-Geld eine Möglichkeit, als Kunde mehr Einfluss zu nehmen auf das Wirtschaftsgeschehen.

    Dem Wirtschaftskreislauf und so wie mit Geld umgegangen wird, dass Geld selber zur Ware wird, dem was entgegen zu setzen, das finde ich gut. Und dann finde ich gut, daß das Geld in der Region bleiben soll. Und ein neues Bewusstsein zu kriegen, was Geld eigentlich ist und was Geld eigentlich leisten soll, das Geld Vermögen ist, man kann was schaffen damit und eben, was mit Chiemgauer nicht möglich ist, mit Zinsen zu spekulieren, Geld zu horten, eben als Ware zu behandeln, das ist genau da nicht beabsichtigt.
    Denn der Chiemgauer ist mit einer Umlaufsicherung ausgestattet. Damit die Scheine tatsächlich schnell von einer Hand zur anderen wandern, sind sie so gestaltet, dass die Kunden sie nicht lange behalten mögen, sie verlieren nämlich jedes viertel Jahr 2% an Wert. Die Gutscheine entsprechen eins zu eins dem Euro, aber wenn ein beteiligtes Unternehmen die Chiemgauer wieder in Euro einlösen will, bekommt es nur 95% zurück.
    Der Differenzbetrag ist für soziale Projekte bestimmt und deckt die Kosten des Schüler-Unternehmes. Im Durchschnitt liegt die Belastung für ein Unternehmen derzeit bei 30 Euro im Monat - ein Betrag, der durch höheren Umsatz schnell ausgeglichen ist. Die Unternehmen bekommen eine Rechnung über die fünf Prozent Gebühren, die sie dann als Werbekosten oder Rabatte verbuchen können. Es gibt sogar ein Unternehmen, das damit experimentiert, einen Teil der Löhne in der alternativen Währung auszuzahlen. Gemeinsam ist allen, die den Chiemgauer begrüßen, dass sie etwas verändern möchten in ihrer Umgebung.

    Man wird ja nicht gezwungen, man muss wirklich sagen, ich bin davon überzeugt und ich entschließ mich dazu, das zu tun.

    Für derzeit rund hundert Unternehmer und Selbständige ist der Chiemgauer attraktiv, aber es gibt auch viele, die in ihm keinen Sinn sehen.

    Ich brauche ja keine zweite Währung, um in den Geschäften einzukaufen zu können, in denen ich gern einkaufe. Ich kann nur soviel Geld ausgeben, wie ich habe und wie ich ausgeben will, und dafür verlasse ich normalerweise die Region nicht. Ich brauche niemand, der mir sagt, ob ich immer vom Umsatz drei Prozent für soziale Einrichtungen spenden will, das entscheide ich privat, wem ich das gebe, und wann ich das gebe, und wie viel ich gebe. Fünf Prozent vom Umsatz, wenn alles über Chiemgauer laufen würde, da würde keiner mehr mitmachen, das kann sich kein Unternehmer leisten, fünf Prozent vom Umsatz einfach wegzugeben.

    Außer Kritikern wie diesem Priener Geschäftsmann gibt es auch Teilnehmer am Gutscheinsystem, die nicht daran glauben, dass der Chiemgauer auf Dauer funktioniert, die aber die Initiative der Schüler begrüßen. Ob das Experiment ein Erfolg wird, hängt aber auch davon ab, ob es gelingt, mit den schnell verfallenden Gutscheinen auf Probleme unseres Geldsystems aufmerksam zu machen. Die Jugendlichen leisten da Basisarbeit. Wenn Mirjam Fochler neue Kunden wirbt, muss sie manchmal weit ausholen, um zu verdeutlichen, warum es so wichtig ist, dass Geld möglichst schnell den Besitzer wechselt.

    Die meisten Leute denken, ist doch okay, ich leg mein Geld auf die Bank, dafür kriege ich meinen Zins und wenn ich Geld brauche, dann muss ich mir was leihen, ist doch klar. Aber was die meisten Leute nicht wissen, ist, dass sie auf jedes Produkt, auf jede Dienstleistung, die sie bezahlen, ebenfalls Zins zahlen, und das sind zum Teil horrende%anteile, die dabei sind. Margrit Kennedy hat das in ihrem Buch beschrieben und aufgezählt für die einzelnen Produkte.

    Das Buch Geld ohne Zinsen und Inflation, 1991 erschienen, ist ein Bestseller, der viele Leser angeregt hat, sich mit dem Thema Geld kritisch auseinanderzusetzen. Margrit Kennedy ist Architekturprofessorin in Hannover, bei ihrer Arbeit in ökologischen Projekten hat sie die Einsicht gewonnen, dass unser Geldsystem ökologische Prinzipien verhindert, und seitdem befasst sie sich mit Alternativen dazu, ist aktiv in der Regiogeld-Bewegung und eine geschätzte Expertin. Zusammen mit dem ehemaligen Notenbanker Bernard Lietaer hat sie ein Buch geschrieben über Regionalwährungen, es wird in ein paar Tagen erscheinen und für die Regiogeld-Bewegung ein wichtiges Arbeitsmaterial sein. Ähnlich wie Margrit Kennedy ist auch Helmut Creutz durch eigene Recherchen zum Wirtschaftsfachmann geworden. Vor 20 Jahren hat ihn der Zusammenhang zwischen Geldpolitik und dem Aufstieg der Nazis interessiert, seitdem beschäftigt sich der 83jährige Schriftsteller und Publizist mit Wirtschaftsanalysen.

    Geld muss umlaufen, wenn es funktionieren soll, Taler, Taler, du musst wandern, der Rubel muss rollen, das weiß auch der Volksmund. Aber das Geld läuft nicht ohne weiteres um, weil das Geld den Gütern, die ich dagegen tauschen kann, überlegen ist. Geld altert nicht, wird nicht unmodern, kostet bei der Aufbewahrung nichts, während die Waren, die ich verkaufen will, verursachen Lagerkosten, die verderben, ich bin gezwungen zu verkaufen, der Geldbesitzer ist nicht gezwungen, nachzufragen. Und dieses Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot muss aufgehoben werden, indem das Geld auf die Stufe der Angebote in der Wirtschaft herabgedrückt wird.

    Geld, wenn es tatsächlich ein neutrales Mittel im Wirtschaftsprozess sein soll, muss den gleichen Wert haben wie Arbeit und Waren, sagen Befürworter einer Geldreform wie Helmut Creutz. Sie fordern als Instrument dazu eine Liegegebühr für Geld, das nicht fließt. Es ist dasselbe Prinzip wie die Umlaufsicherung beim Chiemgauer, das Ausgeben wird belohnt und das Zurückhalten mit einer Wertminderung bestraft.

    Dieses Prinzip hat in Krisensituationen schon oft Erstaunliches bewirkt. Berühmtestes Beispiel ist das "Wunder von Wörgl". In der österreichischen Gemeinde führte zu Beginn der 30er Jahre eine Komplementärwährung mit Umlaufsicherung dazu, dass innerhalb eines Jahres die Arbeitslosigkeit um 25% zurückging, öffentliche Einrichtungen gebaut wurden und das Geschäftsleben aufblühte. Als andere Gemeinden das System übernehmen wollten, verbot die Zentralbank das Notgeld - und in Wörgl gab es wieder sehr viel mehr Arbeitslose.
    Wenn Volkswirtschaften zusammenbrechen oder nicht mehr gut funktionieren, entstehen Komplementärwährungen oft spontan, wie in Argentinien während der letzten Rezession, wo tausende von solchen Initiativen dafür gesorgt haben, dass ein lebensnotwendiger Austausch von Gütern und Leistungen stattfand. Helmut Creutz prognostiziert auch für unsere Wirtschaft eine schwere Krise, wenn Zinserträge und Schulden weiter steigen.

    Der Staat hat etwa 1/5 der gesamten Schuldenlast zu tragen, Unternehmer haben etwas 3/5, und der Rest entfällt auf die privaten Haushalte. Unternehmer und Staat müssen diese Schulden ja irgendwie umlegen, der Staat macht es seit längerer Zeit so, dass er die Zinsen durch neue Schulden finanziert, das ja der Anfang vom Ende ist, und die Unternehmen können das nicht machen, die haben Grenzen der Kreditwürdigkeit bei den Banken, die können ihre Zinslasten nur über die Preise weiter wälzen. Zinsen sind Kapitalkosten, und die müssen genauso einkalkuliert werden in die Preise, wie die Personalkosten und die Materialkosten. Und der Zinsanteil in den Preisen nimmt ständig zu, aufgrund der Masse der Schulden, die stärker wächst wie das Sozialprodukt und die Arbeitseinkommen. So zahlt man mit jedem Euro,
    den man ausgibt, mehr Zinsen als vor Jahrzehnten noch. Nach dem Krieg waren es sechs Prozent, sechs Pfennig auf eine Mark bezogen, heute sind es knapp 40 Pfennig, auf eine Mark bezogen. Alle Steuern werden erst am Ende der Kette bezahlt beim Letztverbraucher, der seine Kosten nicht mehr weitergeben kann.


    Helmut Creutz und andere Kritiker des Geldsystems haben errechnet, dass in allen Produkten und Dienstleistungen mindestens 30 % Zinsanteil enthalten sind, die jeder zahlt. Auf diese Weise kommen für die meisten Verbraucher sehr viel höhere Ausgaben zusammen, als die Beträge, die sie möglicherweise durch Zinsen erwirtschaften. Gewinnen bei diesem Spiel können nur diejenigen, die viel mehr Geld besitzen, als sie ausgeben. Es würde sich also für rund 90% der Bundesbürger lohnen, auf Zinseinkünfte zu verzichten, wenn sie statt dessen von der Miete bis zur Steuer weniger bezahlen müssten.

    Gerade angesichts der Krise will jeder möglichst gut für sich sorgen, und das heißt: mit seinem Geld Gewinne machen. Der gemeinschaftliche Aspekt beim Wirtschaften bleibt dabei auf der Strecke. Deshalb ist die Zinsproblematik auch ein Teil der Debatte im Regiogeld-Netzwerk. Agnieszka Komoch:

    Jedesmal, wenn das Geld die Hände wechselt, werden damit Werte ausgetauscht, wenn das Geld auf der Bank liegt und Zinsen sammelt, wird es vielleicht irgendwann investiert, aber es wandert eben aus dem Land, im Moment nach Asien, und wenn wir ein lokales Geld mit Umlaufsicherung verbinden, läuft das Geld viel schneller um, und damit wird einfach viel mehr geschaffen. Es braucht ein Umdenken, aber eigentlich ist es eine ganz einfache Idee.

    Wenn es uns gelingt einen Regionalfonds aufzulegen, der zinsgünstige Kredite vermittelt zwischen Sparern und Kreditnehmern, dann sieht die Sache wieder anders aus, dann wird es greifbar für die Unternehmer, für die Kunden, aber das muss man erstmal als Instrument umsetzen.

    Genau daran arbeitet Christian Gellerie bereits. Nicht nur die Entwicklung eines elektronischen Chiemgauers, auch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Banken ist ein Schwerpunkt seiner Arbeit in diesem Jahr. Das Regiogeld-Netzwerk will Geldinstitute als Partner gewinnen, die sich um regionale Wirtschaft kümmern. Und angesichts des Fusionsdrucks im Bankenbereich kann es für Sparkassen und Genossenschaftsbanken sogar interessant sein, sich mit Komplementärwährungen auseinanderzusetzen, um Eigenständigkeit und Funktion zu wahren als Kapitalversorger kleiner und mittlerer Betriebe.

    Gerade gibt es in Ostdeutschland, bei Leipzig, die erste Sparkasse, die ganz fest entschlossen ist, der gesamte Vorstand, in diese Richtung etwas zu tun, um die regionale Wirtschaft anzukurbeln, weil sie merken, die regionale Wirtschaft bricht sonst weg. Und das hat natürlich noch eine ganz andere Breitenwirkung, als in Prien die Waldorfschule, wenn die Sparkasse, die noch mal ein anderes Vertrauen genießt als Experte im Geldwesen, wenn die sagt, wir wollen und müssen in Richtung regionale Gelder gehen, dann kann das ein Sprungbrett werden für dieses ganze Thema.

    Ralf Becker hat in Münster Betriebswirtschaft studiert, war tätig für Misereor und hat Projekte in der Entwicklungspolitik durchgeführt.
    Nun setzt er sein Wissen und Engagement im Regiogeld-Netzwerk ein. Ihn fasziniert Arbeitsweise und Erfolg der skandinavischen Jak-Banken, Spar- und Darlehensgemeinschaften, die zinslose Kredite vergeben. In Schweden und Dänemark gibt es diese Banken seit 30 Jahren und ihr Einfluss wächst. Bei ihnen realisiert sich eine nicht auf Zinsgewinn, sondern auf Projekte orientierte Wirtschaftsweise, und erstaunlicherweise deponieren viele Menschen ihr Geld dort, obwohl sie woanders mehr Zinsen bekommen würden.

    Und jetzt die Idee, diese regionalen Guthaben einzusetzen für regionale Projekte, nicht nur private, sondern ökonomische, insbesondere für soziale und Öko-Investitionen, d.h. eine Öko-Investition, die eben nur
    1,5 oder 2 Prozent Zinsgebühr zahlen muss, anstatt heute üblich
    5 – 6 Prozent, da rechnen sich viele Projekte viel eher, als bei dem hohen Zinssatz, und es kann viel eher regionale Aktivität passieren. Zumal, wenn die Anleger wissen, in welches Projekt das Geld fließt, kommt auch wieder so etwas auf, wie eine Beziehung zum Geldwesen, es kommt aus der Anonymität des globalen Marktes heraus, und das ist ein Ansatz, der auch schon in Deutschland in vielen Orten aufkommt und von uns als Netzwerk systematisch eingeführt wird.


    Auch im Chiemgau soll nach diesem Vorbild ein Regionalfond entstehen. Und es gibt sogar schon Pläne, was man mit dem angesammelten Geld als erstes realisieren will: eine Hackgutfeuerungsanlage. Das ist eine neue, nachhaltige Form der Energieversorgung, bei der das Holz beim Verbrennen sehr effektiv genutzt wird. So bleibt auch das Geld für Energieerzeugung in der Region und fließt nicht wie bei Erdöl oder Gas in andere Länder oder in die Tresore großer Unternehmen.
    Insgesamt ist die Regiogeld-Bewegung so wenig bekannt, dass
    Einschätzungen dazu von Wirtschaftswissenschaftlern und auch von Entscheidungsträgern in der Politik noch fehlen. Für die vom Netzwerk entwickelten Perspektiven interessieren sich aber mittlerweile Unternehmensberater, Landräte und Bürgermeister. Die großen ökonomischen Probleme, vor denen viele Gemeinden stehen, machen auch ungewöhnliche Maßnahmen als Lösungen attraktiv.