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Chilenische Bildunsaktivisten touren durch Deutschland

Auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sind Studenten aus Chile nach Deutschland gekommen, um von ihren Bildungsprotesten zu erzählen. Unter ihnen ist ein Kopf der chilenischen Studentenproteste: Camila Vallejo. Sie fordert ein gerechtes Bildungssystem für alle.

Von Axel Schröder | 01.02.2012
    Der Hörsaal ist voll besetzt, vor allem Studenten sind gekommen, viele von ihnen mit lateinamerikanischen Wurzeln, nur wenige ältere Menschen hören den drei Gästen aus Chile zu: Die Studenten Camila Vallejo, Karol Cariola und Jorge Murua sind auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung nach Deutschland gekommen, um von ihren Forderungen nach Reformen und Revolution zu erzählen:

    "Die Bildung an Hochschulen funktioniert heutzutage wie eine Fabrik","

    erklärt die 24-jährige Camila Vallejo.

    ""Und diese Fabrik produziert Technokraten und Fachspezialisten, die völlig überschuldet das Bildungssystem verlassen. Spezialisten ohne breite Bildung, denn der allseitig gebildete Mensch ist nicht mehr gefragt","

    so die Chilenin. Sie ist die Bekannteste der Drei auf dem Podium. Immerhin gilt sie als charismatische Anführerin der chilenischen Studentenproteste der vergangenen Jahre. Sie studiert Geografie, ist Mitglied im Jugendverband der kommunistischen Partei Chiles und ihre Ideen, gepaart mit Charme und einer Popularität bei fast allen Bevölkerungsgruppen, machen sie zum Ärgernis für all jene, deren Macht sie bekämpft, deren Privilegien sie abschaffen will. Um dieses Ziel zu erreichen, brauche es gebildete Menschen, so Vallejo, und dafür müsse sich das chilenische Bildungssystem grundlegend ändern:

    ""Die Reformen im Bildungssektor haben nur eines bewirkt: Kritisches Nachdenken über gesellschaftliche Probleme und darüber, wie und wo Veränderungen nötig sind, wird Stück für Stück aus der Lehre gedrängt. Das Ziel ist: Die Studierenden sollen nicht mehr als kritische Subjekte für Veränderung sorgen, sondern als ökonomisch funktionale Objekte dem herrschenden System dienen","

    analysiert Vallejo. Zusammen mit ihrer Podiumsnachbarin Karol Cariola geißelt sie die Auswüchse eines deregulierten neoliberalen Kapitalismus, der im Chile der 70er- und 80-Jahre seinen Anfang nahm. Damals regiert Diktator Augusto Pinochet das Land, treibt radikale Marktreformen voran und forciert die Privatisierung des Bildungssystems. Die Aufstiegskanäle für breite Teile der Bevölkerung schließen sich. Und diese Fehlentwicklungen, so Cariola und Vallejo, seien auch dem Ende der Pinochet-Ära vor 20 Jahren nicht gestoppt worden. Den beiden Frauen geht es nicht allein um studentische Belange, sondern um eine breite gesellschaftliche Diskussion der Missstände in ihrem Land.

    ""Die Studenten haben es geschafft, sich mit anderen Gesellschaftsgruppen zusammenzutun. Und nun kämpfen wir zusammen: Arbeiterinnen und Arbeiter zusammen mit den Studenten und Angestellten!"

    so Vallejos Parteigenossin. Das Publikum ist begeistert von den Vorträgen, von einem Einblick in die Möglichkeiten gesamtgesellschaftlicher Mobilisierung. Dieser breite Ansatz sei auch hierzulande nötig, sagt Sina vom Fachschaftsrat Erziehungswissenschaften:

    "Es beschränkt sich nicht auf die Hochschule. Die Probleme, die wir an der Hochschule haben, sind die, die wir in der Stadt haben, die wir im Bundesland haben und die wir letztlich weltweit haben. Zusammengefasst im neoliberalen Kapitalismus, der sich weltweit breitmacht und der dringend verhindert werden muss."

    Und auch ein Kommilitone pflichtet ihr bei. Erreichen könnte man zusammen mehr:

    "Mit Blick auf die Studiengebühren hat man das schon gesehen, dass in der Kooperation mit Gewerkschaften einiges möglich ist. Die waren in sieben Bundesländern eingeführt, sind jetzt nur noch in zweien da. Daran, denke ich, gilt es anzuknüpfen und weiterzumachen!"

    Allerdings, so die einhellige Meinung, sei die Mobilisierung der deutschen Studentenschaft gar nicht so einfach. Denn einerseits sei das deutsche Bildungssystem nicht mit dem chilenischen zu vergleichen, in Deutschland herrschten vergleichsweise gute Zustände. Zum anderen ließe der gewachsene Druck auf die Studentinnen und Studenten ein gesellschaftspolitisches Engagement immer seltener zu:

    "Man soll hier so schnell wie möglich raus. Hat wenig Zeit, um sich wirklich zu vertiefen, um tatsächlich eine Position zu erarbeiten. Um am Ende hier mit einer Haltung rauszugehen, die aber dringend notwendig ist im Leben!"