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Chilly Gonzales
"Chambers" - Spagat zwischen Moderne und Tradition

Er ist ein klassisch ausgebildeter Pianist mit einer ausgeprägten Schwäche für Pop: der gebürtige Kanadier und Wahl-Kölner Jason Beck alias Chilly Gonzales. Auf seinem neuen Album bietet der Musiker eine Popversion von Kammermusik. "Chambers" ist eine subtile und konsequente Weiterführung seiner früheren Platten, auf denen er sich elektronischer Musik und dem Hip-Hop zugewandte.

Von Juliane Reil | 14.03.2015
    Chilly Gonzales in Hamburg in der Fischauktionshalle beim Elbjazz Festival 2013.
    Chilly Gonzales hat eine ausgeprägte Schwäche für Popmusik (dpa picture alliance/ Sven Hoppe)
    Auf seinen Konzerten tritt der fast 45-Jährige im Bademantel auf und lässt sich buchstäblich vom Publikum auf Händen tragen. Mit Helge Schneider lieferte er sich ein Piano-Battle. Die neue Platte "Chambers" zeigt eine ganz neue Seite des Künstlers: Chilly Gonzales, der ruhige Kammermusiker.
    Nun könnte man fragen, wie zeitgemäß dieser Zugang zu moderner Popmusik ist. Juliane Reil hat sich die Platte angehört und mit Chilly Gonzales gesprochen.
    Wie Musik aus dem 19. Jahrhundert
    Es klingt wie Musik aus dem 19. Jahrhundert: ein Klavier zusammen mit einem Streichquartett ohne zusätzliche digitale Sound-Effekte. Chilly Gonzales, der Musiker hinter den zwölf Klang-Miniaturen auf "Chambers", sieht sich jedoch nicht als rückwärtsgewandten Künstler, sondern als zeitgemäßen Musiker.
    "Die Entscheidung, ein Mann meiner Zeit zu sein - vielleicht ohne dass der Satz so formuliert wurde - fiel bereits, als ich entschied, meine Laufbahn als klassischer Musiker zu beenden. Mir gefiel es besser, die Ideen der großen klassischen Komponisten in die Welt zu transportieren, über die ich ständig nachdachte - die Welt der Popmusik."
    Selbsternanntes "Musical Genius"
    Der klassisch ausgebildete Pianist hat eine ausgeprägte Schwäche für Popmusik. "Chambers" ist der Versuch, Ideen und Spielweisen aus dem Pop auf die Klassik zu übertragen. So ahmen die Streicher ganz bestimmte Merkmale und Effekte nach, die für akustische Instrumente kaum zu erzeugen sind. Eine technische Herausforderung - sogar für den selbsternannten "Musical Genius."
    "Mit jedem Stück habe ich versucht, eine andere musikalische Welt einzufangen. Als die elektronische Musik beispielsweise mein Bezugsrahmen war, musste ich mich fragen, wie sich die rhythmische Intensität dieser Musik übertragen lässt. Wie müssen die Geiger spielen, damit der Eindruck von elektronischer Musik entsteht?"
    Neben der elektronischen Musik hat sich Chilly Gonzales vor allem mit Hip-Hop auseinandergesetzt. Zwar sind die genretypischen Beats auf "Chambers" nicht wirklich zu hören, aber im swingenden Rhythmus einiger Stücke sind sie doch unterschwellig wahrnehmbar.
    Popversion von Kammermusik
    Chilly Gonzales liefert auf "Chambers" eine Popversion von Kammermusik: Kurze Stücke, die schnell ein griffiges Thema entwickeln und sofort eine wohlig-sentimentale Stimmung entfalten. Die Entscheidung für den Popsong ist dabei nicht nur eine Anpassung an die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit, sondern auch eine Geste gegenüber seinen Fans.
    "Meine Fans verdienen den Respekt, Musik in der heute angemessenen Weise zu bekommen: als Popsong. Er ist das bestimmende Format. Die Art, wie klassische Instrumente darin verwendet werden, muss entsprechend angepasst werden. Aber die Form des Popsongs an sich ist nicht veränderbar."
    Eigentlich ist es erstaunlich, dass der "klassische" Popsong so unverwüstlich zu sein scheint. Schließlich ist er Teil einer Kultur, die selbst ständigen Veränderungen unterworfen ist.
    Bezug zur Kunst der Vergangenheit
    "Die Kultur generell wird immer stärker auf einen zeitlosen Kern reduziert. So als ob eine Farbpalette von einer Million Farben auf drei Farbblöcke eines Rothko-Bildes reduziert würde. Der Bezug zur Kunst der Vergangenheit bleibt dennoch immer vorhanden. Genauso sollte es mit der Musik sein: gerade noch mit der Tradition verbunden. Das ist das Zeichen einer gesunden Kultur."
    Auf "Chambers" versucht Chilly Gonzales diesen Spagat zwischen Moderne und Tradition. Genau in diesem Sinne ist er tatsächlich ein "Mann seiner Zeit".
    "Chambers" ist eine subtile und konsequente Weiterführung früherer Platten des Musikers, auf denen er sich explizit elektronischer Musik und dem Hip-Hop zugewandt hat.
    Den Ansprüchen von Klassik-Liebhabern an zeitgenössische Kammermusik wird das Album wahrscheinlich trotzdem kaum genügen. Dafür sind die Stücke zu skizzenhaft und einfach gestrickt. Klassik-affine Pop-Hörer hingegen dürften auf ihre Kosten kommen.
    Ab Mai tourt der Kanadier dann mit seinem Streichquartett durch einige deutsche Städte. Am 11. Mai spielt er in Berlin (Philharmonie), am 28. Mai in Frankfurt (Alte Oper) und am 21. Juni in München (Philharmonie).