Freitag, 19. April 2024

Archiv

Chilly Gonzalez in Versailles (Teil 2)
Kammermusik im Bademantel

Mit einer 27-stündigen Performance schaffte es Chilly Gonzales ins Guiness Buch der Rekorde, doch auch abgesehen davon verblüfft er. Seine Verbindung von Klassik und Pop übt einen magischen Charme aus. So auch bei seinem Auftritt im Pariser Schloss Versailles.

Am Mikrofon: Tim Schauen | 25.09.2015
    Chilly Gonzales im Bademantel am Konzertflügel
    Pianist Chilly Gonzales: "Rap ist meine Lieblingsmusik." (Alexandre Isard)
    Zusammen mit der Streicher-Formation "Kaiser Quartett" spielte er sein Album "Chambers" ein, das er am 31. März 2015 in der Bibliothek von Schloss Versailles auf der Bühne präsentierte.
    Aufnahme vom 31.3.15 in der Bibliothek von Schloss Versailles bei Paris.
    Chilly Gonzales Interview Teil 2 (05:55)
    "Da gibt es Vieles, was die Leute nicht über mich wissen, was ich bislang noch nicht verwendet habe. Die Leute wussten auch nicht, dass ich Musik komponieren kann, die als aktuelle populäre klassische Musik betrachtet werden kann - bis ich das Album "Chambers" veröffentlichte. Um ehrlich zu sein: Irgendwann wollte ich erklären, was hinter der Aussage "Chilly Gonzales, das musikalische Genie" steckt - diesen Spruch, den ich im Prinzip zehn Jahre lang immer wieder gebracht habe. Die Dinge ändern sich nun mal.
    "Ich liebe Rap-Musik"
    Zum Beispiel würde ich nicht auf Deutsch rappen, weil ich davon überzeugt bin, dass Englisch die Sprache des Rap ist - und es ist meine Sprache. Ich liebe Rap-Musik. Und wenn ich Rap höre, dann muss ich das Gefühl haben, dass ich die volle Kontrolle über alle Details habe. Aber hey - vielleicht entscheide ich eines Tages, dass Rap auf Deutsch der beste Weg ist, mich auszudrücken. Alles kann sich ändern. Ich hatte früher Spaß daran keine Antwort auf die Frage zugeben, ob ich ein musikalisches Genie bin und die Menschen im Unklaren zu lassen, ob ich es selber glaube. Aber irgendwann habe ich erkannt: Es ist sinnvoller für mich, für meine Botschaft gegenüber Musik offen zu sein, dass man denkt die Aussage "Chilly Gonzales ist ein musikalisches Genie" sei gar nicht unbedingt vorgetäuscht.
    "Alle Musik ist Täuschung"
    Zu sagen: Menschen müssen authentisch sein und in der Musik kann es keine Täuschung geben ist eine sehr enge Definition: Alle Musik ist Täuschung. In der Öffentlichkeit zu stehen, ist Täuschung. Auf der Bühne vor Publikum aufzutreten, ist Täuschung. Aber in allem, was Täuschung ist, verbirgt sich auch eine tiefere Wahrheit. Rapper bekannten sich: Es ist Fake, und Rapper gewinnen. Chilly Gonzales bekannte sich und sagte: Es ist Fake - und auf eine Art gewinne ich auch. Deswegen würde ich sagen: Menschen, die zugeben, dass wir in einer sehr schönen, aber oberflächlichen Zeit leben, haben einen Vorteil. Im Gegensatz zu den anderen, die immer noch das Gefühl haben, sie müssen sich an eine Art gefälschter Authentizität klammern. Ich verfolge eher eine ehrliche Täuschung als eine falsche Ehrlichkeit.
    "Mit dem Kaiser Quartett zählt jede Note ein bisschen mehr"
    Ich arbeite seit vier Jahren mit dem Kaiser Quartett zusammen. Musikalisch und zwischenmenschlich -genießen wir die Zeit, die wir zusammen verbringen. Wenn ich gemeinsam mit dem großartigen Kaiser Quartett auftrete, dann fühlt es sich an, als wenn jede Note ein bisschen mehr zählt. Sie nehmen die Sache sehr ernst und besitzen einen sehr hohen musikalischen Ehrgeiz. Sie versuchen, so viel wie möglich von sich selber in die Musik einzubringen.
    Wenn ich alleine spiele, gibt es Momente, in denen meine Gedanken abschweifen können. Auf eine gewisse Weise bleibe ich mit dem Kaiser Quartett mehr in der Musik - dafür bin ich ihnen dankbar. Nicht gut zu spielen, ängstigt mich, weil sie es hören, wenn ich ein falsche Note spiele. Durch die gemeinsamen Konzerte und Proben kennen sie mich inzwischen sehr, sehr genau. Vielleicht sind sie diejenigen, die mich in den letzten vier Jahren am meisten spielen gehört haben. Ich will mich aber nicht als ihr musikalischer Boss sehen. Und das ist gefährlich, weil ich dazu fähig sein muss, derjenige zu sein, der nie Fehler macht. Aber wenn sie einen Fehler machen - kann ich sie feuern.
    "Ich brauche den Kontakt mit dem Publikum"
    Ein Künstler, der in Stadien auftritt kann nicht mit jemandem vergleichen, der wie ich in einem Theater oder in einer Philharmonie spielt. Diese Künstler haben aufgrund der Stadiengröße keinen wirklichen Kontakt mit ihrem Publikum. Ich brauche aber den Kontakt mit dem Publikum, das liegt auch in meiner Persönlichkeit begründet. Ich muss wissen, dass ich immer besser werden kann.
    Meine Musik erreicht mehr und mehr Menschen. Ich sage das mit einem breiten Lächeln, denn meine Karriere verlief sehr langsam, aber stetig wachsend. Das ist wirklich positiv für mich, dass sich der Erfolg langsam entwickeln kann - ohne einen Nummer-eins-Hit im Radio zu haben und trotz einiger verwirrender Elemente, die ich tue. Denn zum einen gibt es bei mir diesen bestimmten Anteil, der musikalisch seriös und tief ist, zum anderen benutze ich auch den lächerlichen Namen "Chilly Gonzales" und trage Hausschuhe auf der Bühne. Selbst mit diesen Gegensätzen, die nicht so einfach zu erklären sind, ist die Tatsache, dass mein Publikum mit jedem Album wächst, ein positives Zeichen. - Und auf diese Weise ist die "Chambers"-Zeit, die Zeit mit dem größten Publikum.
    "Man muss sich nicht zwischen U-Musik und E-Musik entscheiden"
    Ich reihe nicht Album für Album aneinander. Ich bin auf einer musikalischen Mission. Ein Album ist nur eine Art einen Akzent zu setzen. Meine tatsächliche Karriere ist: raus zu gehen, Konzerte zu spielen und meine Botschaft zu verbreiten. Diese musikalische Mission, auf der ich mich befinde, ist im Moment am wichtigsten: Menschen durch die Musik zu verbinden, sie mit einzubeziehen und ihnen zu zeigen, dass Humor und Respekt für die Musik gleichzeitig existieren können. Man muss sich nicht zwischen U-Musik und E-Musik entscheiden, wie es in Deutschland und in anderen Ländern getan wird. Ich bin der Beweis, Musik sollte - schön und lächerlich sein."
    Interview: Constanze Pilaski