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China
Chancen und Risiken der neuen Seidenstraße

Wie sehr China seinen Einfluss- und Machtbereich ausdehnt, zeigt deutlich das Projekt "Neue Seidenstraße": Das finanzstärkste Land der Welt baut nun sein politisches Netzwerk aus und nimmt über geschickte Investitionen Einfluss in vielen Regionen der Welt.

Von Klaus Remme | 04.07.2015
    Der YXE Güterzug startet vom Containerterminal in Yiwu/ China.
    Zwischen dem chinesischen Yiwu und dem spanischen Madrid verkehrt seit November 2014 der YXE Güterzug über die "Neue Seidenstraße". (picture alliance / dpa/ Lv Bin)
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    Diese Agenturmeldungen der letzten Wochen stehen für Steinchen eines gewaltigen Mosaiks und sie beweisen, dass die Initiative Neue Seidenstraße längst mehr ist als eine Idee. "One belt, one road" – ein Gürtel, eine Straße – dieses Bild steht für unterschiedliche Korridore zu Land und zu Wasser.
    Das Konzept neuer Handelswege von China nach Westeuropa lässt nicht nur Ökonomen aufhorchen, sondern auch außenpolitische Experten wie Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz:
    "Es ist vorbei mit der früheren chinesischen Zurückhaltung, sich nur um das eigene Umfeld zu kümmern. Es wäre schön, wenn wir in zehn Jahren sagen könnten, es hat sich ein System etabliert, in dem es einige Ordnungsmächte gibt, die dafür sorgen, dass nicht überall Chaos ausbricht. Wenn China bereit ist, daran mitzuwirken, dann kann man das eigentlich nur begrüßen."
    Experten diskutieren beim Bergedorfer Gesprächskreis in Berlin
    Nun, soweit sind wir in der Tat noch nicht. In Berlin kamen jetzt Politiker und Experten aus China, Europa, Zentralasien und den USA zusammen, um im Rahmen des Bergedorfer Gesprächskreises über Chancen und Risiken des Projekts zu reden. Allein die Seidenstraße begrifflich zu definieren, war schwierig genug, so Nadine Godehardt von der Stiftung Wissenschaft und Politik:
    "Es ist eine Art Rahmen, in dem dann sehr viele Initiativen einzuordnen sind, zum Beispiel die Asiatische Infrastruktur-Investmentbank AIIB, aber auch der sogenannte Silk Road Fund oder auch in diesem Zusammenhang die BRICS Development Bank. Die sollen sich alle mit Infrastrukturprojekten beschäftigen, diese finanzieren, und das findet alles im Rahmen der Seidenstraßen-Initiative statt, mit einer innen- und außenpolitischen Dimension."
    Den Chinesen geht es um den Bau von Kraftwerken, von Pipelines und Datenleitungen, von Tiefseehäfen, Straßen und Airports, von Bahnhöfen und Schienentrassen in bis zu 65 Ländern, in denen über vier Milliarden Menschen leben, die für fast ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung stehen. Glaubt man den Angeboten der chinesischen Seite, dann gibt es entlang der neuen Seidenstraßen keine Verlierer: "Wir haben das Kapital und die Kapazitäten, macht mit, ohne Bedingungen, auf Augenhöhe" - so oder ähnlich klingen die Lockrufe aus dem Osten. Alexander Gabuev, der Leiter des Russland-Programms im Carnegie Center in Moskau, ist nicht überzeugt:
    "Ich glaube an Win-Win-Situationen, doch da stellt sich schnell die Frage, wer gewinnt wieviel? Die Staaten Zentralasiens oder Russland gewinnen vielleicht 10, 15 Prozent, dann bekommt China 85 oder 90 Prozent - eine problematische Bilanz. Die Alternativen sind: Entweder nehme ich daran teil oder nicht, entweder gewinne ich 15 Prozent oder gar nichts."
    Win-Win-Situationen
    Für China sind die Staaten Zentralasiens in diesem Zusammenhang enorm wichtig. Einerseits, etwa im Fall Kasachstans als Lieferant von Rohstoffen. Kasachstan ist ein gutes Beispiel für Win-Win, denn als großes ressourcenreiches Land ohne Zugang zum Meer benötigt es ein leistungsfähiges Schienen- und Straßensystem. Andererseits ist China für den Landweg auf stabile politische Verhältnisse angewiesen, um zuverlässig Transportwege Richtung Westeuropa nutzen zu können.
    Die Asymmetrien sind in dieser Region besonders groß. Die Republiken der früheren Sowjetunion stecken zwischen dem chinesischen Drachen und dem russischen Bär, wie ein Konferenzteilnehmer anmerkte. Allein das selbst gesteckte Ziel Pekings, das Handelsvolumen mit den beteiligten Ländern von derzeit gut einer Billion Dollar binnen zehn Jahren mehr als zu verdoppeln, illustriert die Gefahr kleinerer Nachbarstaaten, in Abhängigkeiten zu geraten und von China vollständig dominiert zu werden. Yang Cheng, Professor für Russland Studien an der East China Normal University in Shanghai, winkt ab.
    "Nein, daran glaube ich nicht, das Beispiel Infrastrukturbank ist ein gutes Beispiel dafür, dass es China um wirkliche Teilhabe geht. Wenn es China um ein Monopol oder um Dominanz in der neuen Bank gegangen wäre, dann wären die westlichen Staaten nicht eingeladen worden beizutreten. Die Machtstruktur der neuen Bank wird kompliziert, China hat da seine starke Rolle aufgegeben."
    "Wer zahlt, hat das Sagen"
    Wolfgang Ischinger bleibt skeptisch:
    "Naja, am Schluss – und das ist hier auf der Konferenz interessanterweise auch gesagt worden – gilt der klassische deutsche Satz: Wer zahlt, hat das Sagen. Und wenn es tatsächlich so ist, dass China bereit ist, große Mengen Kapital zu investieren, dann wird man davon ausgehen dürfen, dass das Ganze nicht wohltätigen Zwecken dient, sondern der Verfolgung chinesischer Interessen."
    Was wollen die Chinesen wirklich, worum geht es ihnen? Diese Frage war beim Bergedorfer Gesprächskreis allgegenwärtig. Eines sagen sie ganz offen: Es geht nicht nur um eine bessere Anbindung an den – bei abnehmender Tendenz - noch immer größten Marktplatz der Welt, an Westeuropa. Es geht auch um die Entwicklung innerhalb Chinas. Der gezielte Aufbau mehrerer Landkorridore würde es den Chinesen erlauben, Asymmetrien im eigenen Land zu begegnen. Die Provinzen in Zentralchina und im Westen des Landes sind weit weniger entwickelt als Chinas Osten. Hier durch gezielte Investitionen langfristig einen funktionierenden Binnenmarkt zu schaffen, ist auch erklärtes innenpolitisches Ziel der Seidenstraßen-Initiative.
    Fragezeichen bleiben dennoch zuhauf. Wo genau wird investiert, wo werden die Korridore verlaufen? Gelingt es Peking, konkurrierende Mächte zu berücksichtigen, auf den Landrouten etwa die Interessen der Eurasischen Union unter Führung Russlands, auf dem Seeweg die Interessen der maritimen Supermacht USA?
    Die Gründungsphase der Asiatischen Infrastrukturbank zeigt, wie leicht es offenbar noch immer ist, Peking zu unterschätzen. Als möglicher Konkurrenten zur Weltbank lehnte Washington die AIIB ab. Inzwischen ist klar: Die Bank hat 57 Gründungsmitglieder, darunter Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien. Übrigens: Peking hält über 25 Prozent der Stimmen an der Bank und ja, das gibt China in bestimmten Angelegenheiten ein Vetorecht.