Freitag, 19. April 2024

Archiv


China-Experte: Ehemalige Konkurrenten tun sich zusammen

Nach Ansicht des China-Fachmanns Eberhard Sandschneider hat der schwelende Kaukasuskonflikt die Tendenz Russlands verstärkt, sich an China anzunähern. Diese Entwicklung sei jedoch schon länger zu beobachten. Die sogenannte Schanghai-Gruppe, der China und Russland angehören, als "NATO des Ostens" zu bezeichnen sei allerdings verfrüht, so Sandschneider.

Eberhard Sandschneider im Gespräch mit Jürgen Liminski | 28.08.2008
    Jürgen Liminski: Der ständige Rat der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beugt sich seit einer Stunde in Wien über den Kaukasuskonflikt. 56 Staaten gehören zu der Organisation, unter ihnen Russland und Georgien. Und auch in der Europäischen Union gehen Überlegungen inzwischen weiter. Sanktionen gegen Russland werden erwogen - bezeichnenderweise von Politikern aus Staaten, die nicht von der Energiezufuhr aus Russland abhängig sind. Mitgehört hat Eberhard Sandschneider. Er ist der Direktor des Forschungsinstituts bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und einem größeren Kreis bekannt geworden als China-Fachmann. Zunächst mal guten Tag, Herr Sandschneider.

    Eberhard Sandschneider: Schönen guten Tag.

    Liminski: Herr Sandschneider, Russland und China wollen im Rahmen der Schanghai-Gruppe also ihre Sicherheitspolitiken stärker koordinieren. Ist das ein Ergebnis, eine Konsequenz aus der Kaukasus-Krise?

    Sandschneider: Das wird durch die augenblickliche Kaukasuskrise sicherlich in der Tendenz verstärkt. Diese Entwicklungen beobachten wir aber schon seit einigen Jahren. Es kam etwa um das Jahr 2000 - das hat sich dann 2005 noch einmal deutlich institutionalisiert - ein bisschen als Überraschung, dass ausgerechnet die beiden ehemaligen Konkurrenten Russland und China sich im Rahmen dieser Shanghai-Corporation-Organisation zusammentun, um nicht nur gemeinsame Manöver abzuhalten, offiziell Terrorismus zu bekämpfen, sondern auch ihre strategischen Interessen zu koordinieren. Und natürlich nutzen sie diese Institutionen schon seit geraumer Zeit, um politische Signale zu setzen. Man erinnert sich vielleicht, dass der iranische Präsident Ahmadinedschad auf einem Gipfel dieser Organisation den amerikanischen Präsidenten als "Teufel im Weißen Haus" bezeichnen durfte. Jetzt steht natürlich die Kaukasus-Krise im Mittelpunkt, und auch da werden beide Staaten ihre Interessen weiter koordinieren und das sind nicht zwangsläufig die Interessen des Westens.

    Liminski: Ist denn denkbar, dass aus dieser Gruppe eine Art Ersatz für den Warschauer Pakt wird?

    Sandschneider: Man hat die SCO, wie sie in der Abkürzung heißt, schon mal als die "NATO des Ostens" bezeichnet. Davon sind wir noch ein gutes Stückchen weg. Es ist eine sehr, sehr frühe Institutionalisierung. Es gibt ein kleines Koordinierungssekretariat. Eine schlagkräftige Organisation, die auch in Krisenzeiten insbesondere belastbar ist, ist das noch nicht. Aber es gibt einen Trend in diese Richtung und wenn ich sage mal der Westen nicht sehr sorgfältig insbesondere mit Russland, aber auch mit China umgeht, dann verstärkt man natürlich die Motive bei beiden Staaten, in dieser Richtung weiterzudenken und sich stärker auch institutionell zu koordinieren, um ein Gegengewicht zum Westen zu bilden.

    Liminski: Russlands Ansehen, Herr Sandschneider, in Europa war trotz mancher Unstimmigkeiten demokratisch aufpoliert, könnte man sagen, bis zur Partnerreife. Nun ist es zurückgeworfen in einen Kreis von Staaten, der einschlägig bekannt ist und nicht als Markenzeichen von Freiheit und Demokratie gilt, nämlich Kuba, Syrien, Venezuela. Aus diesen Staaten sind ja die Staatschefs schon mal in Moskau vorstellig geworden. Und jetzt kommt China ins Spiel. Erleben wir hier den Anfang einer geopolitischen Verschiebung oder einer weiter gefassten Konfrontation zwischen Ost und West?

    Sandschneider: Die geopolitische Verschiebung erleben wir schon seit geraumer Zeit. Im Augenblick verdichten und beschleunigen sich zum Teil die Hinweise darauf. Ganz offensichtlich ist es für die Europäische Union, aber auch für die Vereinigten Staaten nicht mehr möglich, Russland in Anbetracht seiner wieder angestiegenen Bedeutung insbesondere als Exporteur von Erdöl und Gas in irgendeiner Weise in die Schranken zu weisen. Wir haben allerdings - das muss man nun fairer Weise dazu sagen -, als wir den Kosovo anerkannt haben, so getan, als würden uns Russlands Interessen überhaupt nicht interessieren. Jetzt zeigt der russische Präsident, dass er in diesem Falle in der Lage ist, etwas Ähnliches zu tun, und muss sich auch nicht um die Interessen des Westens scheren, weil er in wachsendem Maße etwa von China, aber auch von zentralasiatischen Staaten Unterstützung bekommt. Das heißt, da spitzen sich Entwicklungen zu, wo man mit größter Sorgfalt darauf achten muss, dass man nicht zunächst in der Sprache, aber dann auch in der Politik wirklich zurückfällt in Formen des Kalten Krieges, von denen wir sicher waren, dass wir sie auf dem eurasischen Kontinent nach 1989 überwunden haben.

    Liminski: Die EU erwägt nun sogar Sanktionen gegen Russland. Treibt das Moskau nicht in die Arme Pekings? Gibt es so etwas wie eine asiatische Drift Moskaus?

    Sandschneider: Es gibt zunächst einmal eine lange Diskussion in den außenpolitischen Kreisen in Moskau, die sich zum Teil wirklich über die letzten Jahrzehnte erstreckt, über die Frage, ob Russland nun eher eine asiatische Macht ist und dort seine perspektivischen Prioritäten setzen sollte, oder eine europäische Macht. In den letzten Jahren haben die "Europäer" in dieser Debatte eindeutig überwogen. Jetzt zeigt sich, dass Russland Optionen hat, auch nach Osten zu schauen und dort Partnerschaften zu finden, die für die strategischen Interessen des Landes mindestens so wertvoll sein können, wie das im Westen der Fall ist. Sanktionen gegenüber Russland: Im Augenblick hat man den Eindruck, dass die gesamte Debatte über Georgien und den Kaukasuskonflikt eine Eigendynamik entwickelt, wo jeder sich ein wenig überschlägt, den anderen in Vorschlägen für Maßnahmen noch einmal zu übertrumpfen. Die simple Lehre aus all den Sanktionsmaßnahmen in der Vergangenheit ist: Sanktionen werden nichts bewirken und Russland wird schon aus Gründen der nationalen Selbstwahrnehmung sicherlich nicht so weit gehen, sich solchen Sanktionen schnell und zügig zu beugen.

    Liminski: Im Mittelpunkt der Schanghai-Gruppe-Interessen stehen energiepolitische Fragen. Da ergänzen sich Russland und China doch prächtig?

    Sandschneider: Aber gewaltig! Russland ist ein wichtiger Anbieter von Energie und China ist eines der Länder, das nichts dringender braucht als Öl und Gas. Noch fehlen dafür zum Teil die infrastrukturellen Voraussetzungen, aber die kann man natürlich relativ zügig schaffen. Dann entsteht eine andere Form des Werbens um Russland, auf der einen Seite aber auch der Konkurrenz mit China, die sich auf einem Feld abspielt, das in den nächsten Jahren an strategischer Bedeutung für die Verschiebung in der Weltpolitik ohnehin zunehmen wird. Das ist die Frage der Energie- und Ressourcenversorgung und da gilt nach wie vor - bei allen politischen Divergenzen, die wir mit Russland im Augenblick haben -, Westeuropa ist von Russland energiepolitisch abhängig.

    Liminski: Bei all diesen Bewegungen und Verschiebungen, Herr Sandschneider, stellt sich dann für China doch eine andere Frage. Hat man ein Interesse an einer Konfrontation mit Europa?

    Sandschneider: Nein, selbstverständlich nicht. Das hat, glaube ich, weder Russland, vor allem aber auch China nicht. Das größte chinesische Interesse außenpolitisch ist, Stabilität entlang seiner eigenen Grenzen und seiner Interessengebiete zu haben. Das letzte was China gebrauchen kann ist eine größere Destabilisierung der internationalen Politik, die dann vielleicht auch wirtschaftliche Konsequenzen hat und negative Auswirkungen auf das eigene Land. Wir dürfen nicht vergessen: bei allem Zauber, den China abgelassen hat während der Olympiade, das ist ein Land mit gewaltigen Problemen, das eine Destabilisierung seines internationalen Umfeldes mit Sicherheit nicht gebrauchen kann. Insofern haben die Chinesen sehr glaubwürdig und sehr zu Recht ihre Sorge zum Ausdruck gebracht, dass dieser Konflikt am besten durch Kooperation und Dialog und nicht durch eine weitere Verschärfung beigelegt werden sollte.

    Liminski: Das war Eberhard Sandschneider. Er ist der Direktor des Forschungsinstituts bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Besten Dank für das Gespräch, Herr Sandschneider.