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China
Guter Bürger, schlechter Bürger?

Die Bürger digital durchleuchten, dann bestrafen oder auch belohnen: China möchte bis 2020 ein System aufbauen, welches das Verhalten seiner Bürger bewertet. Zahlungsmoral, soziales Verhalten und Einkaufsgewohnheiten werden erfasst. In der chinesischen Stadt Rongcheng wird das bereits praktiziert. Kritiker warnen vor dem Weg in die IT-Diktatur.

Von Axel Dorloff | 05.12.2017
    Der Forstamt-Mitarbeiter Zhang Jian trägt ein weißes Hemd und steht im Bürgeramt, in dem viele Frauen an Computern sitzen.
    Zhang Jian holt seinen Punktestand auf dem Bürgeramt ein. (Axel Dorloff)
    Guter Bürger oder schlechter Bürger: Zhang Jian wartet auf seine Bewertung. Im Bürgeramt der ostchinesischen Stadt Rongcheng, einem gigantischen gläsernen Rundbau. Der 42-jährige überreicht der Mitarbeiterin vom Amt für Sozialkredit-Management die Formulare.
    "Ich arbeite für eine öffentliche Behörde, für das Forstamt. Ich brauche eine Beurteilung für eine Beförderung - und dafür wiederum muss ich meinen Sozialkredit-Kontostand einholen. Wenn der nicht gut genug ist, werde ich auch nicht befördert. Aber ich mache mir da keine Sorgen. Ich achte auf mein Benehmen und mein Handeln. Ich sollte keine großen Abzüge haben."
    Auf einem A4-Zettel ist auf Chinesisch der Sozialkredit-Kontostand von Zhang Jian zu sehen.
    Der ausgedruckte Sozialkredit-Kontostand von Zhang Jian. (Axel Dorloff)
    Rot über die Ampel und der Kontostand sinkt
    Die chinesische Küstenstadt Rongcheng hat bereits 2014 begonnen, für alle Bürger ein Sozialkredit-System einzuführen. Die Idee dahinter ist einfach: der Staat sammelt so viele Daten wie möglich, trägt sie zusammen und wertet sie aus. Jeder Bürger bekommt ein Punktekonto. Und auf dieser Grundlage kann der Staat dann bestrafen oder auch belohnen.
    Zhang Jian weiß, worauf er im Alltag zu achten hat. "Wenn ich bei Rot über die Ampel fahre, geht's runter mit dem Kontostand. Wenn man sich in der Öffentlichkeit daneben benimmt, zum Beispiel in eine Schlägerei verwickelt ist, kommt man sofort auf die schwarze Liste. Auch meine Arbeit im Forstamt fließt in das Sozialkredit-System ein. Wenn die Bürger mit unserem Service nicht zufrieden sind, können sie sich beschweren. Das hat dann Auswirkungen auf meinen Punktestand."
    Ohne gute Bewertung geht kaum noch was
    Die rund 670.000 Einwohner in Rongcheng müssen ihren Sozialkredit-Punktestand regelmäßig vorweisen. Bei Bewerbungen, der der Bank, bei Versicherungen. Kaum etwas geht noch ohne gute Bewertung. An Lin ist Sachbearbeiterin im Amt für Sozialkredit-Management. Bevor sie Zhang Jian seinen Kontostand aushändigt, erklärt sie ihm das Punktesystem.
    "Der Punktestand ist anfangs für alle gleich, nämlich genau 1000. Diese Zahl erhöht sich dann mit der Zeit - oder wird niedriger. Die höchste Bewertung ist AAA. Dann geht es nach unten weiter mit AA und dann A und so weiter. Die schlechteste Bewertung ist D - da liegt man bei unter 599 Punkten."
    Das Bürgeramt der ostchinesischen Stadt Rongcheng in der Frontansicht. Ein runder Bau mit viel Glas.
    Das gläserne Bürgeramt der ostchinesischen Stadt Rongcheng. (Axel Dorloff)
    Wer eine gute Bewertung hat, wird bevorzugt behandelt
    Wer eine gute Bewertung hat, wird bevorzugt behandelt: bei sozialen Leistungen oder bei der Zulassungen für Schulen. Wer in der schlechtesten Klasse D auftaucht, qualifiziert nicht mehr für Führungspositionen, bekommt Leistungen gestrichen, verliert seine Kreditwürdigkeit. Für Zhang Jiang bleibt dieser Morgen ein guter Morgen. Sein Sozialkredit-Konto: 1015 Punkte, eine Bewertung von A+. Er nimmt seine Brille ab und wirkt erleichtert.
    "Hier, sehen Sie mal, dort habe ich ein paar Abzüge. Fünf insgesamt. Einmal, weil ich bei Rot über die Ampel gegangen bin. Aber hier: meine Leistung bei der Arbeit, dafür habe ich gleich 20 Pluspunkte gesammelt! Hätte ich ein B bekommen, würde es nichts werden mit der Beförderung. Beamte im öffentlichen Dienst, wie ich, brauchen mindestens ein A."
    "Big Data ist das große Versprechen, die eigene Bevölkerung zu beobachten und zu kontrollieren"
    Die Einstufung der Bürger wie Zhang Jian funktioniert mit Hilfe von Big Data. Mehr als 50 Ämter, Behörden und Institutionen liefern Daten: Strafregister, Verkehrsdelikte, Kredithistorie und vieles mehr. David Bandurski ist Medienwissenschaftler an der Universität von Hongkong. Für ihn ist klar: mit dem Sozialkreditsystem rüstet sich der autoritäre Staat China fürs digitale Zeitalter.
    "Für China bedeutet Big Data das große Versprechen, die eigene Bevölkerung zu beobachten und zu kontrollieren. Bei der Idee des Sozialkreditsystems geht es darum, Big Data nutzbar zu machen. Auch, um bestimmte Probleme oder soziale Unzufriedenheit im Vorfeld zu erkennen und darauf vorbereitet zu sein. Die Bekämpfung der Kriminalität ist auch ein Teil davon – aber es geht um viel, viel mehr."
    Für die chinesische Regierung geht es um den Versuch, den moralisch einwandfreien Menschen zu schaffen. Was allerdings moralisch gut und moralisch verwerflich ist, bestimmt allein die Kommunistische Partei. Derzeit gibt es in China dutzende Pilotprojekte, bis zum Jahr 2020 soll ein möglichst umfassendes, miteinander verzahntes System aufgebaut werden. Kein anderes Land treibt es so radikal voran, seine Bürger im digitalen Zeitalter sozial zu kontrollieren und zu bewerten. Guter Bürger oder schlechter Bürger, Belohnung oder Bestrafung.