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China im 11. Jahrhundert

Chinas bedeutendste Dichterin hieß Li Qingzhao und wurde während der Song-Dynastie im Jahr 1084 geboren. Dass wir überhaupt Nachrichten von ihr haben, verdankt sich dem Umstand, dass Li Qingzhao nicht nur dichtete, wie zu ihrer Zeit fast jeder gebildete Chinese; sie machte sich auch einen Namen als leidenschaftliche Sammlerin von Handschriften, Büchern und Antiquitäten. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Zhao Mingcheng trug sie im Laufe ihres Lebens nahezu 20.000 Bücher, Bronzen, Kalligrafien und an die 2000 Abreibungen alter chinesischer Steininschriften zusammen. Als die Sammlung 1121 vor dem Abschluss stand, verfassten sie gemeinsam den Katalog. Nach dem Tod von Zhao Mingcheng acht Jahre später gab Li Qingzhao diesen Katalog mit einem Nachwort heraus. Dieses Nachwort würdigt nicht nur das Lebenswerk ihres Mannes, es ist zugleich - auf wenige Seiten verdichtet - ihre eigene Autobiografie. Aus diesen Skizzen, die jetzt zum ersten Mal übersetzt wurden, rekonstruierte Barbara Beuys das dramatische Leben der Li Qingzhao.

Von Beatrix Langner | 31.01.2005
    Die Sammlung selbst war zu diesem Zeitpunkt verstreut, verbrannt, zerstört. Der Überfall mongolischer Nachbarvölker an der nördlichen Grenze Chinas erschütterte das Reich und trieb den kaiserlichen Hof und die Bevölkerung der nördlichen Provinzen, darunter Li Qingzhao und Zhao Mingcheng, tief in den Süden. Die letzten Jahre lebte Li Qingzhao auf der Flucht; ohne festen Wohnsitz, immer in Sorge um den Erhalt der Sammlung. Zuletzt blieben ihr nur einige wenige Stücke, das Opfergerät der Familie, ein paar kostbare Handschriften. Sie heiratet wieder, lässt sich nach drei Monaten wieder scheiden. Das war der Preis der Leidenschaft - für die Bücher und Dichtungen des alten China, der sich Li Qingzhao seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr verschrieben hatte.

    Barbara Beuys schält das Leben dieser außergewöhnlichen Chinesin des 11. Jahrhunderts aus einem eindrucksvollen Kosmos chinesischer Kultur- und Sozialgeschichte, der bis auf die Gründung des chinesischen Einheitsstaates 221 vor der Zeitrechnung zurückgeht.

    Die letzten hundert Jahre hat sich in China keine Geschichtswissenschaft entwickeln können, das heißt, diese Hürde fiel schon mal weg, d.h. ich musste nicht chinesische Literatur lesen. Man braucht ungefähr drei bis vier Jahre, wenn man dran bleibt, chinesisch zu lernen, um eine Zeitung zu lesen. Aber diese Beschäftigung mit der Sprache, die hab ich erstens nicht missen wollen, das hat mich sehr fasziniert, ich mach's auch immer noch weiter, und es gibt einen so tiefen Einblick in die Kultur, die ja eine Kultur der Schriftlichkeit ist und eine Kultur der Dichtung, dass das unbedingt dazu gehörte.

    In der altchinesischen Geschichte, deren Zeitabschnitte nach den jeweiligen Herrscherfamilien benannt sind, ist die Song-Dynastie der glänzendste, Chinas belle epoque. Lebensgenuss, Schönheit und literarische Bildung werden zur neuen Staatsräson, nach der militärischen Askese der Vorgänger, die in der Terrakotta-Armee des ersten chinesischen Kaisers Shi Huangdi verewigt ist und unser Bild vom Reich der Mitte als einer ritualisierten Militäroligarchie stark geprägt hat. Verbrannte jener die konfuzianischen Schriften und ließ die Priester lebendig begraben, so erhob die auf ihn folgende Han-Dynastie den Meister Kong wieder zum Staatsphilosophen und erbaute die Tempel neu. Auf die Han-Dynastie folgte das "chinesische Mittelalter" , 618-906 nach der Zeitrechnung, mit der Tang-Dynastie, Vorgängerin der Song.

    Im Jahre 1703 ist eine Anthologie, in China natürlich, erschienen über die Dichtkunst der Tang-Dynastie. In dieser Anthologie gibt es knapp 50 000 Gedichte von über 2000 Dichtern, die zwischen dem 7. und dem 10. Jh. gelebt haben und wunderbare Gedichte geschrieben haben. Und darauf hat Li Qingzhao eben auch aufgebaut und sie hat sich ja ganz bewusst in die Reihe dieser großen Dichter gestellt, die zu 99 Prozent alle Männer sind, das müssen wir auch sehen, und sie hat einerseits die literarischen Codes und die Symbolik und alles benutzt, es ist aber ganz einmalig, dass hier zum ersten Mal eine Frau von sich selber spricht und auch Ich sagt ... Was mich fasziniert hat, ist einmal das, was man authentisch nennt, diese Kombination von artifizieller Sprache, von alten Bildern, aber zugleich klingt da auch ein persönlicher Ton mit und man nimmt ihr ab, dass das nicht nur Staffage ist, obwohl ich ja in einem eigenen Kapitel versuche zu erklären, dass chinesische Dichtung ganz wesentlich darauf beruht, Dinge zu inszenieren, sich nicht direkt persönlich zu äußern...sie schreibt ja über ihre eigene Erotik , in Bezug auf ihren Mann, also das ist fast schon ein Tabubruch.

    Wenn man bedenkt, dass es damals etwa 100 Millionen Chinesen gab, wird deutlich, wie sehr die schöngeistige Kultur das gesellschaftliche Leben des alten China bestimmte - beinahe 1000 Jahre vor dem Gipfelpunkt der europäischen Philosophie und Literatur in der Aufklärung. Barbara Beuys Buch erleuchtet einen unbekannten Kontinent der Geisteskultur, die den eurozentrischen Blick wohltuend - und ein wenig ehrfurchtsvoll - auf eine Kultur lenkt, in der wohl nicht zufällig die Frauen eine in Europa noch tief in der Zukunft liegende Unabhängigkeit und intellektuelle Freiheit genießen konnten.

    Zur Zeit von Li Qingzhao sind die Frauen nicht hierarchisch untergeordnet, sondern sie sind einmal diejenigen, die die Kinder lesen und schreiben lehren, dann aber die ganze Bildung weitergeben; bevor die Kinder zehn Jahre alt sind, haben die schon Klassiker gelesen, Geschichtswerke, Dichtung, und zwar Söhne und Töchter. Zweitens sind sie diejenigen, die den Haushalt managen, sie verhandeln aber auch, wenn man Land hat, mit den Pächtern, das heißt , Sie haben hier die Kluft zu den konfuzianischen Klassikern, wo steht, die Frau soll innerhalb der inneren Gemächer, d.h. der Frauenzimmer bleiben, und sie tut es zur Zeit von Li Qingzhao absolut nicht. Sie ist ja auch jemand, die auf den Klostermarkt geht, Antiquitäten einkauft, mit ihrem Mann über Land reitet. In der Generation nach ihr fängt das schon an zu versteinern, und wir haben dann im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert die Abhängigkeit, Frauen gehen nicht mehr raus und Frauen, die Witwen geworden sind, dürfen nicht mehr heiraten. Das heißt die Parallele, dass sich mit fortschreitender Kultur die sozialen Bezüge für die Frau verengen und zwar zu ihren Ungunsten.

    Die eigens für dieses Buch übersetzten Gedichte der Li Qingzhao gehören zu den schönsten, die es in die Weltliteratur geschafft haben. Sie den Lesern erschlossen zu haben in der Fülle ihrer politischen, sozialen und geistigen Bezüge, dafür darf man Barbara Beuys danken.

    Jetzt schon, mitten im Schnee,
    verkünden sie, dass der Frühling gekommen ist:
    kalte Pflaumenblüten, die
    glänzende Zweige schmücken,
    zeigen verdeckt ihr duftendes Antlitz,
    fallen elegant in den Hof.
    Ich komme, mein Jadekörper erfrischt vom Bad,
    frisch geschminkt und gepudert.
    Sogar der Himmel teilt unsere Freude,
    lässt den vollen Mond auf deinen geschwungenen Körper scheinen.
    Feiern wir mit schwerem grünen Wein in goldenen Bechern.
    Ich habe nichts dagegen, berauscht zu werden.
    denn diese Blüte ist unvergleichlich.