Nürnbergs Männerbeauftragter

Ein Pionier in Geschlechterfragen

Der Diplom-Sozialpädagoge Matthias Becker, aufgenommen am 15.11.2016 im Rathaus in Nürnberg. Becker ist seit 1. Mai 2016 der erste kommunale Männerbeauftragte Deutschlands.
Der Diplom-Sozialpädagoge Matthias Becker ist in Nürnberg seit Mai 2016 der erste kommunale Männerbeauftragte Deutschlands. © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Von Michael Watzke · 04.04.2017
Er hilft mit Rat und Tat: In Teilzeit kümmert sich Matthias Becker im Nürnberger Rathaus um die Belange von Männern. Mit Themen wie Väterzeit oder Sorgerecht hat er sich als erster kommunaler Männerbeauftragter der Republik inzwischen ein seriöses Standing erarbeitet.
Manchmal, wenn Matthias Becker ans Telefon geht...
"Frauenbüro Nürnberg, Matthias Becker, hallo?"
... herrscht einen Augenblick lang Verwirrung. Frauenbüro – und ein Mann am Apparat? Becker sagt dann:
"Sie sind schon richtig hier!"
Denn Matthias Becker, Anfang 50, ist der Männerbaufragte der Stadt Nürnberg. Der erste Männerbeauftragte Deutschlands. 19,5 Stunden pro Woche kümmert er sich im Büro der Frauenbeauftragten um Männerthemen. Zum Beispiel Elternzeit, genauer: Väterzeit:
"Zwei Papa-Monate sind gesellschaftlich akzeptiert. Aber stellen Sie mal einen Antrag auf ein Jahr oder zwei Jahre als Mann. Wie der Arbeitgeber dann reagiert! Obwohl Sie das Recht hätten! Rechtlich ist es ganz klar geregelt: der Arbeitsplatz muss gesichert sein. Aber wer traut sich das? Welche Kommentare kriegt man zu hören? Da sieht man, wie schwierig es ist."
Matthias Becker hilft mit Rat und – wenn nötig – mit Tat. Sanfter Druck bei Chef oder Chefin etwa. Manche Themen sind nur im ersten Augenblick Frauen-Themen.
"Wir haben hier lange das Thema 'Führen in Teilzeit' vorbereitet, und wer war automatisch im Fokus? Frauen. Vereinbarkeit Familie und Beruf etc. Und ich hab gesagt: Jetzt lasst uns mal schauen, Männer haben sicher auch den Bedarf! Der tritt nur noch nicht so deutlich zutage. Ich glaube, dass es viele Männer gibt, die schon den ersten Karriereschritt oder eine leitende Position haben. Jetzt Kind oder zweites Kind, und die sagen: Ich würd' auch gern auf 30 Stunden reduzieren, möchte aber meine Leitungsfunktion nicht verlieren."

Praxisbezug statt Ideologie

Mit solchen Themen hat sich Matthias Becker in knapp einem Jahr ein seriöses Standing erarbeitet. Er ist kein exotisches Medienphänomen, obwohl schon hunderte Journalisten aus dem In- und Ausland über ihn berichtet haben. Becker, Vater dreier erwachsener Kinder, ist ein Pionier:
"Ich versuche, diese Themen pragmatisch anzugehen, nicht ideologisch. Und ich glaube, das haben auch die Frauen bemerkt: dass die da ein Stück weit ans Ende gekommen sind, wenn sie den – in Anführungsstreichen – 'anderen' Teil nicht mitnehmen."
Der andere Teil – das sind die Männer. Als Familienväter, als Arbeitnehmer oder als Schulkinder:
"Wir haben zum Beispiel nach Schularten und Abschluss deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Und die wachsen und wachsen. Ich hab' zum Beispiel in Bayern bis zu 70 Prozent weibliche Abiturientinnen. Nur noch 30 Prozent Jungs. Und auf den – sprich qualifizierter Hauptschulabschluss – ist es andersrum: 70 Prozent Jungs, 30 Prozent Mädchen. Das heißt, ich kann messen, dass Schularten Geschlechter bevorzugen."
Zum Beispiel dadurch, findet der Diplom-Sozialpädagoge Becker, dass Lehrer in der Schule typisch männliches Verhalten bestraften.
"Wenn ich mich als Junge in der Schule 'normal' verhalte, bin ich schon sozial auffällig. Da falle ich schon aus dem Raster und habe die ersten Schwierigkeiten. Weil das zu impulsiv ist. Viele hausgemachte Probleme, weil nicht richtig darauf reagiert wird. Wenn ich den Jungs sage: Ihr seid zu wild und müsst jetzt Mandalas ausmalen, ist das kontraproduktiv. Banale Beispiele. Kann nicht sein? Doch! Das gibt es in Kindergarten und Grundschule zunehmend. Die wollen sich auspowern und müssen lernen stillzusitzen. Und diese Herangehensweise finde ich schrecklich."

Mit grauem Haarzopf und Ohrring

Becker ist kein Leisetreter. Mit seinem grauen Haarzopf, einem Ohrring und der leicht fülligen Figur sieht er zwar eher gemütlich aus. Aber er diskutiert leidenschaftlich gern – auch an der Universität. Becker ist Lehrbeauftragter für Gender Studies. Die Studierenden kämen vor allem aus zwei Gründen in seine Seminare.
"Erstens kommen sie, weil sie sagen: bisher dachte ich, Gender hat immer nur mit Frauen zu tun. Jetzt sagt mal einer was zu Gender mit Männern. Das weckt ihre Neugier. Und das zweite: Gender, das ist doch immer nur diese Sprache. Da muss ich immer drauf achten. Da sind die total genervt. Das ist das einzige, was mit Gender verbunden wird. Und das ist – wenn's dumm läuft – auch noch negativ konnotiert."
Becker will das ändern. Jede Woche melden sich bei ihm bis zu fünf Männer – per Mailformular oder telefonisch. Häufig mit unterdrückter Nummer:
"Die Hürde ist schon groß genug: Denn sich Hilfe holen, ist schon unmännlich."
Becker verabredet dann ein vertrauliches Beratungsgespräch in seinem Büro. Ein Thema, das viele seiner Gesprächspartner umtreibt: Trennung und Verlust.
"Das stürzt Männer in große Krisen. Ich hatte hier mal einen Mann sitzen, der hat in drei Monaten 40 Kilo abgenommen. Nach der Trennung. Und dann wird's prekär. Dann hilft dir keiner. Dann droht ein Arbeitsplatzverlust. Mir geht's dann oft drum, zu sortieren."
Gefühle sortieren – und Handlungsoptionen. Denn gerade beim Sorgerecht für gemeinsame Kinder fühlen sich viele Männer aussortiert, benachteiligt. Zu Recht, findet Matthias Becker. Es ist nicht so, dass er generell Partei für Männer ergreifen möchte. Er streitet nicht ab, dass Frauen in der Gesellschaft strukturell immer noch häufig benachteiligt werden. Als Männerbeauftragter sieht er sich für die Felder zuständig, in denen die Gesellschaft Männer benachteiligt. Beispiel, häusliche Gewalt:
"Es sind 80 Prozent Frauen, die Opfer partnerschaftlicher Gewalt sind. Aber ich habe auch 20 Prozent Männer. Und die kann ich deshalb, weil die Frauen mehr sind, nicht einfach liegen lassen."

Hoffnung auf Verlängerung des Pilotprojekts

Becker hofft, dass die Stadt Nürnberg die Stelle des Männerbaufragten verlängert. Bisher ist seine Arbeit eine Art Pilotprojekt. Die Stadt will erstmal den Bedarf klären. Deshalb wird Beckers Arbeit auch wissenschaftlich evaluiert – durch ein Forschungsprojekt der Hochschule München:
"Da gibt's einen Abschlussbericht, und der wird dem Stadtrat vorgestellt."
Ursprünglich waren viele Stadträte dagegen – etwa die Grünen, die keinen Bedarf erkennen wollten. Und manche CSUler, die fürchteten, die Stadt mache sich mit einem Männerbeauftragten lächerlich. Inzwischen könnte es umgekehrt sein: Wenn der Stadtrat im August die Stelle nicht verlängern sollte, könnte das einen öffentlichen Aufschrei erzeugen. Denn Matthias Beckers Arbeit ist in der Verwaltung der Stadt Nürnberg kaum mehr wegzudenken.
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