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Tag der Arbeit
1. Mai in Zeiten des Wahlkampfs

Es ist Tag der Arbeit. In Berlin sind die Demonstranten zu Fuß, auf Rollschuhen und mit Motorrädern unterwegs. Auf der zentralen DGB-Kundgebung in Gelsenkirchen sprach sich Bundesarbeitsministerin Nahles für eine Ausbildungsplatzgarantie aus. Und in Paris spricht die Präsidentschaftskandidatin des rechtsextremen Front National, Le Pen.

01.05.2017
    Demonstrantinnen gehen in einer Reihe und schlagen auf große Trommeln
    Demonstration zum 1. Mai in Berlin (dpa/Monika Skolimowska )
    Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann sagte in Gelsenkirchen, in Deutschland arbeiteten sieben Millionen Menschen im Niedriglohnsektor und verdienten weniger als 9,60 Euro in der Stunde. "Das machen wir nicht länger mit", erklärte Hoffmann vor den Demonstranten. Zudem unterstützte er das Vorhaben von Arbeitsministerin Nahles (SPD), Teilzeitkräften ein Rückkehrrecht zur Vollzeit zuzusichern.
    Die Ministerin betonte bei der Kundgebung in Gelsenkirchen: "Noch in dieser Legislaturperiode brauchen wir dieses Rückkehrrecht." In Deutschland gebe es 750.000 Frauen, die wieder mehr arbeiten wollen. Nahles will das Vorhaben ungeachtet des Widerstands der Union noch vor der Bundestagswahl durchsetzen. Zudem sprach sie sich für ein Recht auf Ausbildung aus. Eine Ausbildungsplatzgarantie sei nötig, damit alle Jugendlichen einen Beruf erlernen können.
    Anständige Löhne, sichere Arbeitsverträge, Absicherung gegen Arbeitslosigkeit
    Der Deutsche Gewerkschafts-Bund demonstriert in diesem Jahr unter dem Motto: "Wir sind viele. Wir sind eins." Zu einer gerechten Gesellschaft gehörten anständige Löhne, sichere Arbeitsverträge und die Absicherung gegen Arbeitslosigkeit, heißt es im Aufruf des DGB. Notwendig sei auch ein gerechtes Steuerkonzept, "das Reiche mehr belastet als Arbeitnehmer". In Gelsenkirchen beteiligten sich nach Angaben der Polizei rund 1.500 Menschen, in Berlin nach Angaben der Veranstalter rund 14.000 Menschen. Bundesweit sind laut DGB 360.000 Menschen auf die Straßen gegangen.
    Die Gewerkschaften könnten derzeit durchaus zufrieden sein, kommentiert Ulrike Winkelmann im Deutschlandfunk: "Die Wirtschaft boomt. Arbeitskräfte werden nachgefragt." Und nicht zuletzt sitze im Arbeitsministerium mit Andrea Nahles eine Politikerin, die viele Forderungen der Gewerkschaften übernehme.
    30 Jahre Ausschreitungen in Berlin
    Neben den traditionellen Gewerkschaftsdemonstrationen stellt sich in Berlin seit 30 Jahren auch die Frage, wie heftig die Krawalle am 1. Mai ausfallen werden. Am Tag der Arbeit 1987 gab es im Stadtteil Kreuzberg die ersten großen Ausschreitungen. "Ganz normale Leute" hätten damals an den Barrikaden mitgebaut, erinnert sich der Aktivist Michael Prütz. Seither rangiere der 1. Mai in Berlin "zwischen Bürgerkrieg und Politkarneval" - so beschreibt es der Deutschlandfunk-Journalist Thomas Weinert. Das nun auch schon traditionelle "Myfest" will seit 15 Jahren einen friedlichen Kontrapunkt setzen. Auf sieben Bühnen wechseln sich politische Beiträge mit Musik, Tanz und Theater ab.
    Ein maskierter Mensch hält ein Transparent mit der Aufschrift "Heraus zum revolutionären 1. Mai" von einem Balkon. 
    Protestaktion linker Gruppen am Vorabend des 1. Mai (dpa/Britta Pedersen)
    "Etwas ist extrem faul im Land"
    Und auch die Kirchen in Deutschland begehen den traditionell weltlichen Mai-Feiertag. In einem ökumenischen Gottesdienst in Bremen sprach die evangelische Theologin Margot Käßmann. Sie forderte für Pflege- und Erziehungsberufe mehr Wertschätzung und eine bessere Bezahlung. Eine Erzieherin in einer Kindertagesstätte bekomme im Monat ein Gehalt von rund 2.500 Euro, während der frühere VW-Chef Martin Winterkorn rechnerisch einen Lohn von rund 2.000 Euro pro Stunde bezogen habe. "Wer sich das vor Augen hält begreift doch sofort: Da ist etwas extrem faul im Land", sagte Käßmann. Zu dem Gottesdienst unter dem Motto "Gemeinsam für Gerechtigkeit" hatten Kirchen und Gewerkschaften eingeladen.
    Zündstoff in Frankreich
    Besondere Brisanz hat der Maifeiertag in diesem Jahr in Frankreich, weil er zwischen den beiden Wahlgängen zur Präsidentschaft liegt. Beide Kandidaten treten auf Kundgebungen auf. Zuerst spricht die Vorsitzende des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, in Villepinte bei Paris. Und auch die klassischen Gewerkschaftsdemonstrationen in der französischen Hauptstadt enthalten aufgrund des Wahlkampfs viel Zündstoff. Vor dem Dilemma, einen wirtschaftsliberalen Kandidaten oder eine Rechtsextreme wählen zu müssen, sind sich die Gewerkschafter keinesfalls einig. Während zwei Gewerkschaften offiziell dazu aufrufen, für Macron zu stimmen, erklären andere lediglich, man dürfe "nicht Le Pen" wählen. Und eine lautstarke Minderheit innerhalb der Gewerkschaften fordert schließlich, man müsse sich beiden entgegenstellen. Ihr Slogan: "Pest oder Cholera - Wir können nur auf den Straßen gewinnen."
    Le Pen versucht seit Längerem, die Thematik des Tages der Arbeit für ihre Zwecke zu nutzen und das Thema so den anderen Parteien – insbesondere den regierenden Sozialisten – zu entreißen.
    Istanbuler Polizei setzt Tränengas ein
    In Istanbul in der Türkei ging die Polizei mit Tränengas gegen Demonstranten vor. Die Gruppe wollte zum Taksim-Platz, den die Polizei für den 1. Mai vollständig abgeriegelt hat.
    Die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse ein. Den Behörden zufolge sollen 207 Personen festgenommen worden sei. Man habe Handgranaten, Brandsätze und Feuerwerkskörper beschlagnahmt. Die Stadtverwaltung hat für den Platz ein Demonstrationsverbot erlassen. Die Polizei ist mit einem großen Aufgebot präsent.
    Auch an anderen Orten der Stadt kam es Berichten zufolge zu Zusammenstößen. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu waren mehr als 30.000 Sicherheitskräfte in Istanbul im Einsatz. An einer genehmigten Mai-Kundgebung in der Nähe des Atatürk-Flughafens nahmen mehrere tausend Menschen teil.
    In Griechenland begehen die Gewerkschaften den 1. Mai mit einem 24-stündigen landesweiten Streik und Demonstrationen. Protestmärsche sind unter anderem in Athen und anderen Städten des Landes geplant. Unter dem Druck der internationalen Geldgeber hatte die griechische Regierung zuletzt weiteren Sparmaßnahmen zugestimmt. Sie sollen Mitte des Monats vom Parlament bestätigt werden.
    (riv/jcs/vic/mw)