NRW-Staatspreis für Navid Kermani

Ein Prediger der Liebe

Der Schriftsteller Navid Kermani bei der Verleihung des Bürgerpreises der deutschen Zeitungen am 08.03.2017 in Berlin.
Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani © Jörg Carstensen/dpa
Von Mithu Sanyal · 27.11.2017
Navid Kermani ist einer der wichtigsten deutschen Autoren und zugleich eine der bedeutendsten politischen Stimmen des Landes. Heute wird er mit Staatspreis NRW und einer Laudatio von Bundestagspräsident Schäuble geehrt. Zufällig feiert er auch noch seinen 50. Geburtstag.
"Mit unserer Familie könnte man ein ganzes Krankenhaus bestücken, mit allen Fachabteilungen. Nicht nur meine Brüder, mein Vater, mein Onkel, meine Schwägerin, meine Cousins, Cousinen ...- ich bin halt ausgeschert aus dieser Familientradition, im Vertrauen darauf, dass, wenn ich mir mal ein Bein breche, dass dann schon jemand da ist, der mich zusammenflickt."
Das sagt der Schriftsteller Navid Kermani, der stattdessen Deutschland zusammenflickt: mit seinen Romanen, Reden und Reportagen.
Die beste Berufsbeschreibung für ihn ist die eines öffentlichen Intellektuellen. So wie Susan Sonntag und Simone de Beauvoir öffentliche Intellektuelle waren und natürlich Günter Grass, mit dem er am häufigsten verglichen wird, da er seit Grass' Tod die vakant gewordene Stelle des politischen Gewissens der Bundesrepublik ausfüllen muss, ob er das nun will oder nicht.
"Es gibt eine Abwehr gegen alles Religiöse"
Doch sind seine Literatur und seine Politik gar keine Welten voneinander entfernt, da sie etwas eint, was Navid Kermani Schönheit nennt, und andere vielleicht Gott, wenn wir dieses Wort denn in den Mund nehmen würden.
Navid Kermani: "Es gibt eine Abwehr gegen alles Religiöse, das merke ich auch an wirklich wütenden bis beleidigten Leserbriefen, wenn man irgendwie Religion nicht mal nur mit Gewalt in Verbindung bringt. Zugleich merke ich auch: Es gibt eine große Sehnsucht jenseits der offiziellen Religionen über Religionen zu reden."
Mithu Sanyal: "Und die Schönheit ist ja auch ein ganz zentraler Begriff."
Navid Kermani: "Absolut!"
Sein erstes Buch, eigentlich seine Doktorarbeit, trug den Titel "Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Korans". Das war 1999, drei Jahre später erschien sein erster Roman "Das Buch der von Neil Young Getöteten", das sich ebenfalls damit beschäftigt, was Kunst in uns wachrufen kann.
Zitat: "Vor vielen Jahren stieß ich auf eine Handschrift, in der von Mystikern die Rede sein sollte, die den Koran gehört haben und darüber gestorben sind. ‘Das Buch der vom Koran Getöteten’. Zu der Zeit hörte ich oft ‘Down by the River’ von Neil Young und das zog mir jedesmal das Herz zusammen, bis ich für eine Zehntelsekunde meinte, ersticken zu müssen. Von daher erschien es mir keineswegs kurios oder unglaubwürdig, dass Menschen durch einen Gesang getötet worden sein sollten."
Seitdem sind 19 weitere Bücher von ihm erschienen und Navid Kermanis leise, eher suchende als behauptende Stimme ist nicht mehr aus den bundesrepublikanischen Debatten wegzudenken.
Zum 65. Geburtstag des Grundgesetzes war er es, der in den Bundestag eingeladen wurde, um die Laudatio zu halten. Und was lobte er vordringlich am Grundgesetz? Die Schönheit seiner Sprache.
Navid Kermani: "Bekanntlich hat Theodor Heuss die ursprüngliche Fassung des ersten Artikels mit den Worten verhindert, dass sie schlechtes Deutsch sei. 'Die Würde des Menschen ist unantastbar' hingegen ist ein herrlicher deutscher Satz: so einfach, so schwierig, auf Anhieb einleuchtend."
Und dann kam er auf den Artikel 16 zu sprechen:
"Ein wundervoll gebündelter Satz - 'Politisch Verfolgte genießen Asylrecht' - geriet 1993 zu einer monströsen Verordnung aus 235 Wörtern, die wüst aufeinander gestapelt und fest ineinander verschachtelt wurden, nur um eines zu verbergen: Dass Deutschland das Asyl als Grundrecht praktisch abgeschafft hat."
"Zur Rationalität gehört ja auch, sich selbst in Frage zu stellen"
Denn Schönheit ist mehr als nur Hülle und Äußerlichkeit. In Navid Kermanis Verständnis steckt darin, dass sie nur dann etwas in uns zum Schwingen bringt, wenn sie wahrhaftig ist und wenn sie nicht in Anspruch nimmt, die letzte Wahrheit zu verkünden. Wie es gerade der IS macht, der zu einem echten und reinen Islam zurückkehren will, den es so nie gegeben hat, und deshalb über 1000 Jahre progressivster islamischer Tradition nicht nur ignoriert, sondern aktiv bekämpft. Aber auch in Deutschland gibt es genügend Menschen, die meinen mit dem gesunden Menschenverstand zu sprechen, wenn sie behaupten, der Islam wäre in der Tradition stecken geblieben, und ganze Bevölkerungsgruppen pauschal verurteilen. Das was Navid Kermani Vulgärrationalismus nennt.
"Naja, zur Rationalität gehört ja auch, sich selbst in Frage zu stellen und den eigenen Verstand auch als relativ zu begreifen und nicht einfach den gesunden Menschenverstand als absolut zu setzen."
Egal, ob es um die Weltpolitik oder um Kölns Eigelstein, Kermanis Wahlheimat, geht - immer schaut er darauf mit einem warmen anteilnehmenden Blick. Denn es gibt noch ein anderes Synonym für die Schönheit, die Navid Kermanis meint, und zwar: Liebe. Er ist ein Prediger der Liebe. Ein Mann, der auf Dialog und Verständnis setzt, und davon können wir gerade jetzt gar nicht genügend haben.
Navid Kermani: "Politik braucht die großen Vorhaben, die Visionen und Ziele, die nicht realistisch sein mögen, aber eine Perspektive aufzeigen."
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