Freitag, 29. März 2024

Archiv

Chinas Bevölkerungspolitik
Der Baby-Boom bleibt aus

Seit Anfang 2016 ist die Ein-Kind-Politik in China offiziell am Ende, zwei Kinder pro Paar sind erlaubt. Die Geburtenzahlen sinken dennoch, denn die Einstellung zur Familie hat sich grundlegend verändert.

Von Axel Dorloff | 18.12.2018
    Eltern und Großeltern holen Kinder aus einem Kindergarten in in Shenyang im Nordosten Chinas ab
    Eltern und Großeltern holen Kinder aus einem Kindergarten in in Shenyang im Nordosten Chinas ab (Deutschlandradio/ Benjamin Eyssel)
    Er ist nicht der einzige Opa: Mit vielen anderen wartet Wu Zhiyi vor einer Grundschule in Peking auf seinen Enkel Hetao. Eltern und Großeltern müssen vor dem großen Tor zur Straße warten. Aufgrund der strengen Sicherheitsvorkehrungen an Schulen in China darf keiner einfach so aufs Gelände. Alltags-Routine für den 67-jährigen, stolzen Opa.
    Er erzählt: "Ich kümmere mich jeden Tag um die Kinder. Ich habe ja auch nichts anderes dringendes zu tun, seitdem ich in Rente bin. Als sie ganz klein waren, habe ich mit ihnen gespielt, jetzt bringe ich den Großen zur Schule und hole ihn ab. Einen zweiten Enkel habe ich auch noch. Dazu helfe ich im Haushalt, bin verantwortlich fürs Kochen und manchmal fürs Waschen oder Baby herumtragen."
    Als der siebenjährige Hetao kommt, spazieren die beiden zu Fuß nach Hause. Hetao hat seit gut zwei Jahren einen kleinen Bruder. Seine Eltern haben noch mal Nachwuchs bekommen, nachdem in China 2016 die Zwei-Kind-Politik eingeführt wurde.
    Der Junge sagt: "Ich bin sehr glücklich, weil ich jetzt einen kleineren Bruder habe, der mit mir spielen kann. Dann brauche dafür ich nicht immer Freunde einzuladen. Ich möchte fünf Brüder und fünf Schwestern haben."
    Hohe Kosten, wenig Unterstützung
    Zehn Geschwister, vielleicht ist sogar das in China bald ganz legal. Bislang gibt es in der Volksrepublik eine Geburtenkontrolle. Zunächst galt seit 1980 landesweit die Ein-Kind-Politik. Um Hungersnöte zu verhindern und einen wirtschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen, so die Begründung. Sie wurde in den Provinzen unterschiedlich streng umgesetzt, aber auch mit brutalen Zwangsabtreibungen. Dann hat China 2016 die Zwei-Kind-Politik eingeführt. Weil die chinesische Gesellschaft altert und das Land dringend mehr Nachwuchs braucht. Der erwartete Baby-Boom aber blieb aus, die Geburtenrate ist 2017 sogar gesunken.
    Das Problem: viele Paare in China wollen gar kein zweites Kind, sagt der Demograph und Soziologe Lu Jiehua von der Peking Universität.
    "Viele Leute stammen aus Familien der Ein-Kind-Politik. Die denken: Ein Kind ist doch genug! Der zweite Grund sind die hohen Lebenshaltungskosten, besonders in Städten. Viele sagen sich: Wir können gar kein zweites Kind bekommen, das ist schlicht zu teuer. Der dritte Grund ist, dass viele junge Eltern extrem abhängig von ihren eigenen Eltern sind, weil sie deren Unterstützung bei der Kindererziehung brauchen. Und die Großeltern sagen auch: Ein Kind reicht uns. Auch das beeinflusst die Entscheidung."
    Wer keine Großeltern zum Helfen hat oder genügend Geld für Unterstützung im Haushalt, bekommt Probleme. Untersuchungen zeigen, dass drei von vier Ein-Kind-Familien in China kein zweites Kind wollen. Deshalb sei die Politik dringend gefordert, sagt Demograph Lu Jiehua.
    Politikwechsel gefordert
    "Man kann nicht nur darauf vertrauen, die Geburtenkontrolle zu lockern. Es müssen im Land Voraussetzungen geschaffen werden, dass Familien auch ein zweites Kind bekommen wollen. Mittlerweile steht es ja sogar schon in den Dokumenten der Zentralregierung, dass es künftig eine familienfreundlichere Politik braucht, um Paare bei einem zweiten Kind zu unterstützen."
    Weil China der Nachwuchs fehlt, steht das Land vor riesigen Problemen. Die sozialen Systeme sind nicht auf die Alterung der Gesellschaft vorbereitet. Demographen gehen davon aus, dass die Bevölkerungszahl in China ab 2028 nicht mehr wächst, sondern zurückgeht. Vielleicht schon früher. Deshalb werde es auch die Geburtenkontrolle in China schon bald nicht mehr geben, so die Annahme der Experten.
    "Ich kann die Regierung nur zu einer neuen Politik ermutigen. Und die Paare schon 2019 selbst entscheiden zu lassen, wie viele Kinder sie haben wollen. Je schneller, desto besser."
    Die Familie von Hetao hat sich für ein zweites Kind entschieden, mit allen Problemen, die das in China mit sich bringt. Die Eltern stammen beide aus Ein-Kind-Familien. Das mache es nicht einfacher, sagt Mutter Wu Dan.
    "Wir haben das Problem, dass unsere Gesellschaft altert. Viele aus unserer Generation stehen unter großem Druck, weil die Familienstruktur oft lautet: Vier Großeltern, zwei Eltern, ein Kind. Junge Paare wie wir leben oft mit der Herausforderung, die Kleinen und die Großen betreuen zu müssen. Das belastet uns, wirtschaftlich und auch mental."
    Wirtschaftswachstum ist das beste Verhütungsmittel
    Die Sicht auf Kinder hat sich in China mit der rasanten Entwicklung des Landes verändert. Oder, wie Soziologen sagen: wirtschaftliche Entwicklung ist das beste Verhütungsmittel. Die Zwei-Kind-Politik hat diesen Trend nicht umgekehrt, sie hat die Spätfolgen der Ein-Kind-Politik nicht behoben und die demographischen Probleme nicht gelöst. China steuert klar auf ein Ende der Geburtenkontrolle zu.