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Chinesischer Börsen-Crash
Zweifel an Wirkung von Staatseingriffen

Die Staatsführung in Peking handelte in den vergangenen Wochen hektisch, um das heftige Auf- und Ab an den chinesischen Börsen in den Griff zu bekommen - und setzte dabei auf massive Staatseingriffe. Aber immer mehr Kleinanleger zweifeln daran, dass dies noch lange gut geht.

Von Steffen Wurzel | 01.08.2015
    Eine Frau reagiert bestürzt auf Börsenkurse auf einer Anzeigetafel in der Stadt Hangzhou.
    Börsenkurse in China: Viele Anleger verlieren viel Geld. (AFP / Str)
    Wenn in China die Staatsführung wichtige politische Entscheidungen fällt, oder diese Entscheidungen in der Öffentlichkeit verteidigen muss, dann tut sie das immer noch genau so, wie vor 30, 40 Jahren: Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlicht eine Mitteilung und diese wird über alle anderen Staatsmedien verbreitet.
    "Die jüngsten Eingriffe der Regierung auf das Börsengeschehen gründen auf tiefem Verständnis für ökonomische Gesetze", zitiert der Moderator des Fernsehsenders CBN eine staatliche Xinhua-Meldung. Und weiter: Die Behörden in Peking hätten durch ihr Handeln große Fachkenntnis bewiesen.
    Der wichtigste Business-Fernsehsender des Landes muss die Vorzüge staatlichen Eingreifens an den Börsen anpreisen. Dieses bizarre Beispiel belegt ganz gut, dass China in einigen Bereichen strukturell immer noch sehr kommunistisch tickt.
    Die jüngsten Turbulenzen an den chinesischen Börsen und das staatliche Eingreifen haben die Chinesen so sehr bewegt wie kaum ein anderes wirtschaftliches Thema der vergangenen Jahre.
    Aktien-Indizes fielen um 30 Prozent
    Um mehr als 30 Prozent sind die wichtigen Aktien-Indizes des Landes gefallen seit dem Höchststand Mitte Juni. Zuvor waren die Kurse rund ein Jahr lang nach oben gegangen, um mehr als 150 Prozent. Wer also vor einem Jahr angelegt hat, ist noch im Plus. Anleger, die weit davor oder erst im März, April oder Mai dieses Jahres begonnen haben, Aktien zu kaufen, sitzen jetzt auf Verlusten. Einer von ihnen ist der 54-jährige Tai Pei:
    "Ich habe vor einigen Jahren knapp 90.000 Euro angelegt. Danach ging es mit den Kursen dramatisch bergab, meine Aktien waren nur noch rund 30.000 Euro wert. Dieses Frühjahr gingen die Kurse wieder hoch, das machte mir wieder Mut. Auf 60.000, 70.000 Euro ging es hoch. Jetzt bin ich wieder bei 45.000 Euro."
    175 Millionen Depots in China
    Der Geschäftsmann Tai spricht offen und abgeklärt über das Auf und Ab seines Wertpapierdepots. Was daran liegen dürfte, dass er schon seit einigen Jahren an der Börse aktiv ist. Das trifft längst nicht auf alle chinesischen Anleger zu: Die Europäischen Handelskammer in Peking schätzt, dass es Stand Mitte Juni in China insgesamt 175 Millionen Depots gab. Und viele davon wurden eingerichtet, als die Blase schon kurz vor dem Platzen war.
    "Chinesen lieben das Zocken. Sie glauben, der Aktienmarkt ist ein staatlich gesponsertes Casino", sagt der Shanghaier Geschäftsmann Tai. "Manche zocken nur mit ein bisschen Spielgeld. Das ist hier kein etablierter Aktienmarkt mit Regeln wie in anderen Staaten. In China gibt es keine Regeln."
    Dass chinesische Anleger anders ticken als die in westlichen Staaten, sagen auch Experten. Steve Yang zum Beispiel, er ist Wertpapier-Analyst bei UBS-Securities in Shanghai.
    "Die Anleger schauen nicht so sehr darauf, was eine Firma verdient oder auf andere Kennzahlen. Vielmehr geht es um Trends. Der angesagteste Trend zurzeit ist das "Internet Plus". Es gibt eine ganze Reihe von börsennotierten Firmen, die damit zu tun haben. Und diese Aktien sind ganz offensichtlich gefragter als andere."
    "Internet Plus" - unter diesem Schlagwort promotet die chinesische Regierung seit Monaten eine Art neue industrielle Revolution. Dahinter verbergen sich Smartphone-basierte Geschäftsideen, neue Konzepte im Bereich Online-Handel und die Vernetzung von Alltagsgegenständen. Und viele chinesische Kleinanleger haben zuletzt fast schon blind in Firmen investiert, die damit zu tun haben. Nach dem Motto: Wenn die Regierung diese Branche fördert, kann es ja nicht falsch sein, Geld reinzustecken.
    "Die Leute interessieren sich für die Geschäftsidee. Die Firma hat vielleicht eine rosige Zukunft vor sich, aber wie sie tatsächlich wirtschaftet? Keine Ahnung. Nur wegen der Zukunftsaussichten steigt der Aktienkurs."
    Kein Interesse an aufgeklärtem Konsumenten
    Das unkritische Zocker-Verhalten vieler Kleinanleger ist in China durch die Regierung in Peking mindestens geduldet worden, dieser Meinung sind viele Analysten. An kritischen Verbrauchern oder einer Zivilgesellschaft aus aufgeklärten Konsumenten hat Chinas Führung kein Interesse. Deswegen versucht sie seit Wochen den Eindruck zu vermitteln, sie habe alles im Griff. So wurden mehrmals die Leitzinsen gesenkt, staatlich kontrollierte Fonds mussten für Milliarden Aktien kaufen um den Markt zu stabilisieren und geplante Börsengänge wurden abgesagt. Noch mal der 54-jährige Anleger Tai Pei.
    "Das staatliche Eingreifen ist doch Betrug der Öffentlichkeit. Sie wollen uns mit dieser Propaganda besänftigen und unsere Sorgen wegwischen. Echte Folgen wird das nicht haben."
    Tatsächlich glaubt kaum ein Analyst, dass staatliches Eingreifen Aktienmärkte nachhaltig verändern kann. Selbst dann nicht, wenn es sich um einen so finanziell starken Player wie der chinesische Staat handelt. Mehr und mehr Kleinanleger in China scheinen inzwischen zu begreifen, dass Aktienkurse nicht gelenkt werden können. Gut möglich also, dass das heftige Auf und Ab an den Börsen in Shanghai und Shenzhen dazu beiträgt, eine umsichtigere Generation von Anlegern heranzuziehen.
    "Ich werde nicht mehr in Aktien investieren. Eigentlich hat mich das sowieso noch nie interessiert. Nach mehreren Rückschlägen der vergangenen Jahre hat sich ein gehöriges Maß an Enttäuschung bei mir angesammelt."