Freitag, 29. März 2024

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"Chodorkowski ist ein politischer Häftling"

Der russische Umweltjournalist Grigorij Pasko hält den gerade verurteilten Yukos-Gründer Chodorkowski für einen politischen Häftling. Was ihm passiert sei, könne heute in Russland jedem passieren. Der ehemalige Marinekapitän Pasko war selbst inhaftiert, weil er die Verklappung von Atommüll angeprangert hatte.

Moderation: Friedbert Meurer | 19.05.2005
    Friedbert Meurer: In Moskau verliest die Richterin im Prozess gegen Yukos-Gründer Chodorkowski jetzt schon seit drei Tagen das Urteil. Zum Strafmaß ist sie noch nicht gekommen, aber es sieht schlecht aus für den Mann, der dem Kreml in die Quere kam.

    Im Westen wird der Prozess als ein Gradmesser angesehen für den Zustand der Demokratie in Russland. Dabei ist das nicht der erste politische Prozess. Vor etwa fünf Jahren wurde der Marinekapitän Grigorij Pasko verurteilt zu fünf Jahren Haft, weil er angeprangert hatte, wie Russland rücksichtslos Atommüll ins Meer verklappte. Grigorij Pasko ist inzwischen Umweltjournalist. Gestern habe ich mit ihm gesprochen und ihn gefragt, ob er sich beim Chodorkowski-Prozess an seine eigene Zeit erinnert fühlt im Gefängnis und im Lager?

    Grigorij Pasko: Als ich aus dem Gefängnis kam, habe ich ein Buch geschrieben, ein kleines Buch geschrieben. Übersetzt heißt es "Der Lebkuchen". Darin wird beschrieben, wie sich einer verhalten muss, der ins Gefängnis gekommen ist. Und als der Präsident unseres Pen-Clubs, Andrej Bitow, der bekannte Schriftsteller, dieses Buch in die Hände bekam sagte er, dieses Buch muss weiter verbreitet werden und vielen Leuten in die Hände gelegt werden. Wir nähern uns oder haben uns wieder Zeiten angenähert in Russland, wo ein altes russisches Dichterwort wieder an Aktualität gewinnt, das da sagt: "Wir leben in einem Land, wo es wahrscheinlich für jeden zum Schicksal gehört, einmal im Gefängnis gesessen zu haben".

    Man kann sich zu dem Oligarchen Chodorkowski unterschiedlich verhalten. Man kann ihn mögen oder nicht, aber man muss sich darüber im Klaren sein, das was ihm passiert ist, das kann heute in Russland jedem passieren.

    Meurer: Da stellt sich ja die Frage, ist für Sie Chodorkowski einer der Oligarchen, die zu reichen Männern geworden sind in Russland, oder ist er jemand, der für die Demokratie in Russland kämpft?

    Pasko: Für mich ist Chodorkowski ganz eindeutig ein politischer Häftling, wenn man davon ausgeht, wie der Staat, wie die Justiz in unserem Land mit ihm umgegangen ist.

    Meurer: Wieso dauert es so lange, bis das Strafmaß verkündet wird und das Urteil verlesen?

    Pasko: Wenn ein Gerichtsurteil, die Begründung dieses Urteils so lange und im Sitzen verlesen wird, das heißt, dass der Richter sitzt dabei, das ist eine seltene Sache. Dieses ganze verzögerte Verfahren soll eigentlich nur davon ablenken, auf welch tönernen Füßen dieses ganze Verfahren steht. Hier geht es also ganz eindeutig um die Quantität der Zeit, um die Menge der Zeit, die den dürftigen Inhalt des ganzen Verfahrens zudecken soll.

    Meurer: Glauben Sie vielleicht, dass der internationale Protest Wirkung zeigt und das Gericht sich überlegt, ein etwas milderes Strafmaß zu verhängen?

    Pasko: Ich glaube nicht, dass die internationalen Proteste es verhindern werden, dass das Strafmaß hart ausfallen wird, und das wird auch keineswegs das letzte Mal sein.

    Meurer: Nun sind Sie ja selbst Journalist. Was sagen Sie zu der Art und Weise, wie die russischen Medien über den Prozess berichten?

    Pasko: Es gibt Gott sei Dank noch einige von der heutigen Macht, von den heutigen Kräften unabhängige Presseerzeugnisse, die ganz normal nach journalistischen Kriterien darüber berichten. Also die unabhängigen Presseorgane arbeiten normal nach journalistischen Kriterien und berichten wahrheitsgetreu über den Prozess, aber leider gibt es nur sehr, sehr wenige solche unabhängige Presseerzeugnisse und das noch verteilt über das ganze große Territorium Russlands.

    Meurer: Ist das dennoch ein Zeichen, dass wir vielleicht wenigstens noch Reste von Demokratie in Russland haben?

    Pasko: Ich verstehe Demokratie als einen ganzheitlichen Begriff und vielleicht kann man es so sehen, wie Sie das sehen, dass hier das eine oder andere kleine demokratische Element noch überlebt hat, aber die institution der Demokratie an sich ist doch heftig ins Wanken geraten.

    Meurer: Seit einiger Zeit Revolution in Georgien, in Kirgisien, in der Ukraine, jetzt der Versuch in Usbekistan. Sehen Sie eine Chance, dass das von der Peripherie her ausstrahlen könnte nach Moskau und Russland?

    Pasko: Sie können nicht nur auf die innere Entwicklung Russlands Einfluss nehmen; sie haben bereits auf die innere Situation in Russland Einfluss genommen. Und das muss ich leider sagen: Der Ablauf der Ereignisse, wie er in Usbekistan stattgefunden hat, also das gewaltsame Vorgehen der Macht, das scheint mir für einen möglichen ähnlichen Fall in Russland die wahrscheinlichste Variante zu sein, wenn es denn dazu kommt.

    Meurer: Also Sie glauben, falls es eine Bewegung gäbe, die zu Tausenden auf die Straße gehen würden in Russland oder in Moskau, das würde ein blutiges Ende nehmen?

    Pasko: Ich glaube ja.

    Meurer: Sie selbst sind vor allen Dingen als Umweltjournalist bekannt geworden, haben durch Ihre Berichte dafür gesorgt, dass Sie ins Gefängnis gekommen sind, mussten diese Zeit erleiden. Warum halten Sie die Berichterstattung über das Thema Umwelt in Russland für so wichtig?

    Pasko: Dieses Thema halte ich nicht nur unter russischen Gesichtspunkten für wichtig. Das ist ein Thema, das die ganze Welt angeht, denn Politiker kommen und gehen, aber ökologische Probleme bleiben, müssen in den Griff bekommen werden und dort muss man sozusagen den Politikern auch auf die Finger schauen.

    Meurer: Wie frei können Sie heute über Umweltgefahren, Umweltsünden berichten?

    Pasko: Das ist eine ganz eigenartige Form der Recherche, denn der Zugang zu Informationen, die die Ökologie, die Umwelt betreffen, ist sehr begrenzt. Dann besteht auch eine gewisse finanzielle Abhängigkeit von Stipendien, von Zuschussgebern, von Leuten, die also Geld dafür bereit sind auszugeben. Und dann muss man auch wissen, dass diese kleinen, wirklich winzigen Zeitschriften, die von Umweltorganisationen herausgegeben sind, so gut wie kein Verbreitungsgebiet haben, eben weil die Auflage so winzig ist.

    Meurer: Wie verheerend ist das Ausmaß der Umweltzerstörung in Ihrem Heimatland?

    Pasko: Darüber, wo ich angefangen habe zu schreiben, womit ich mich besonders beschäftigt habe, das sind vor allem die Probleme, die den nuklearen Abfall, den Atomabfall betreffen. Aber mittlerweile sind Umweltexperten schon zu den Ergebnissen gekommen, dass die Strahlungsbelastung noch nicht mal das Hauptproblem Nr. 1 ist in Russland, sondern die Bewohner der großen Städte wie Moskau, Petersburg und so weiter, wo pro Jahr in Russland mehrere Hunderttausend Menschen an der Luftverschmutzung und an der Wasserverschmutzung sterben. Haushaltsabfall, schlechtes Wasser, genau das, was jeden Tag 24 Stunden lang auf das Leben, auf die Gesundheit der Menschen einwirkt.

    Meurer: Grigorij Pasko, ich bedanke mich herzlich für das Gespräch!

    Pasko: Und den Hörern und Ihnen auch sehr vielen Dank.