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Chopins Kammermusik
Kampf gegen die Flut der musikalischen Einfälle

Mit jugendlicher Unbekümmertheit komponiert Frédéric Chopin Ende der 1820er ein Klaviertrio. Zufrieden sei er damit, schreibt er in einem Brief an einen Freund. Ganz anders dagegen klingt, was Chopin knapp zwanzig Jahre später über seine einzige Cello-Sonate in einem Brief berichtet.

Von Maja Ellmenreich | 05.10.2014
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    Büste Frédéric Chopins in dessen Geburtsort Zelazowa Wola, 40 km von Warschau entfernt (Janek Skarzynski_AFP)
    "Ich bin einmal zufrieden, ein andermal nicht. Ich werfe sie in die Ecke, dann sammle ich sie auf." Eine schwere Geburt also, das letzte Werk, das noch zu Chopins Lebzeiten erschien.
    Beide Kompositionen – das lässig niedergeschriebene Klaviertrio und die mühsam errungene Cellosonate – sie sind vor Kurzem auf einer CD erschienen bei dem Label hänssler CLASSIC: mit dem Cellisten Johannes Moser, dem Geiger Kolja Blacher und – von Chopin natürlich mit opulenten Klavierparts bedacht – der Pianistin Ewa Kupiec.
    Musik:Frédéric Chopin: Allegro moderato, aus: Sonate für Violoncello und Klavier g-Moll, op. 65 (Moser - Kupiec)
    Mit dem ersten Sonatensatz muss sich Frédéric Chopin ganz besonders gequält haben. Was auf dem Papier stand, wurde verworfen, immer wieder ein neuer Versuch aus einer anderen Perspektive. Chopin war hin- und hergerissen. Eigentlich wollte er die beiden Instrumente in einen gleichberechtigten Dialog treten lassen; doch seine Klavier-Leidenschaft stand ihm dabei wohl im Weg. Sich immer wieder zur Räson zu rufen und an das selbst gesteckte Ziel zu erinnern: Das hemmt den musikalischen Fluss.
    Eine Viertelstunde dauert das Allegro moderato und damit länger als die drei noch folgenden Sätze der Sonate zusammen. Bei der Uraufführung, am 16. Februar 1848 in Paris, ließen Frédéric Chopin am Klavier und der Cellist Auguste Franchomme, dem die Sonate gewidmet war, diesen ersten monumentalen Sonatensatz sogar weg. Sollte Chopin tatsächlich eine Überarbeitung im Sinn gehabt haben – um zu kürzen, zu glätten und auszubalancieren? Er ist nicht mehr dazu gekommen, denn anderthalb Jahre nach besagtem Konzert starb Chopin, Sohn einer polnischen Mutter und eines französischen Vaters, in Paris.
    Die kompositorischen Unzulänglichkeiten sind zugleich ein musikhistorisches Dokument. Oder anders gesagt: Dass Frédéric Chopin sich im ersten Satz seiner einzigen Cellosonate derart verzettelt hat, das ist eine Geschichte an sich. Er, der in zahlreichen Préludes bewiesen hat, dass er die kleine Form, die knappe musikalische Aussage meisterlich beherrscht, verrennt sich und findet kaum ein Ende. Sein Ringen mit den Einfällen, mit der Form, mit dem klanglichen Gleichgewicht besitzt einen Wert an sich.
    Den konnten Chopins Zeitgenossen noch nicht erkennen: Sie fanden die Cellosonate einfach nur schwer verständlich. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich Chopins Opus 65 jedoch zum Repertoirestück entwickelt. Die Cellisten freuen sich natürlich, dass Chopin auch für ihr Instrument geschrieben hat.
    So auch Johannes Moser, Sohn einer berühmten Musikerfamilie, mit Mitte 30 bereits ein 'global player' unter den Cellisten: In Europa und den USA spielt er mit den führenden Orchestern und großen Dirigenten. Zwei Mal durfte er sich bereits über einen ECHO Klassik freuen, macht sich für das E-Cello stark und die Neue Musik. Johannes Moser lacht uns vom Cover der neuen CD entgegen. Bei beiden Werken spielt er die Cellostimme – und macht das mit dem schlanken, beweglichen und niemals näselnden Ton seines Guarneri-Cellos hervorragend.
    Doch der heimliche Star der Aufnahme ist die Pianistin Ewa Kupiec, seit einigen Jahren Professorin an der Musikhochschule in Hannover, auch eine Anwältin der Neuen Musik und insbesondere der Komponisten ihrer polnischen Heimat. In den Händen von Ewa Kupiec liegt es, die Chopin'sche Notenflut zu meistern. Außerdem hat sie die Aufgabe, das klangliche Gleichgewicht zu wahren bzw. erst einmal herzustellen. Schließlich bringt sie das Klavier als Melodieinstrument zum Singen, wie etwa im Largo der Cellosonate.
    Musik: Frédéric Chopin: Largo, aus: Sonate für Violoncello und Klavier g-Moll, op. 65 (Moser - Kupiec)
    Der Knoten ist offensichtlich geplatzt: In den Sätzen zwei, drei und vier der Cellosonate findet Frédéric Chopin zu weitaus organischeren Proportionen zurück. Der Kampf ist beendet.
    Von einem solchen kann beim g-Moll-Trio, op. 8 gar keine Rede sein. Chopin studierte noch am Warschauer Konservatorium, als er 1828/29 ein viersätziges Werk für Klavier, Violine und Violoncello komponierte, 18 Jahre alt war er da. "Premier Trio" steht über den Noten; doch die entsprechende Erwartung, dass ein zweites, womöglich noch ein drittes Trio folgen könnten, sie wurde enttäuscht. Chopins Opus 8 ist sein einziger Beitrag zur Gattung Klaviertrio, einer zutiefst romantischen Kammermusikgattung. Chopin erntete Lob dafür, gar von einer Autorität wie Robert Schumann. Aber ein bisschen Kritik fuhr er auch ein: Als "Klavierkonzertchen" wurde das Trio bespöttelt. Und ohne Zweifel: Das Klavier führt das musikalische Geschehen an. Aber es erschlägt nicht die beiden Streicher, die Geige und das Cello.
    Für Letzteres hegte Chopin übrigens eine ausgesprochene Vorliebe; an der Geige hing sein Herz dagegen nicht. So überlegte er ein Jahr, nachdem er das Klaviertrio abgeschlossen hatte, doch tatsächlich, ob er die Geige gegen eine Bratsche austauschen sollte. Zum Glück hat er das nicht getan: Zu dunkel, zu matt wäre der Ausdruck dann geworden.
    Musik:Frédéric Chopin: Allegro von fuoco, aus: Trio für Klavier, Violine und Violoncello g-Moll, op. 8 (Kupiec – Moser - Blacher)
    Der Dritte im Kammermusikbunde ist Kolja Blacher. Wie seine Triopartner Ewa Kupiec und Johannes Moser ist auch er ein passionierter Pädagoge, lehrt an der Hochschule "Hanns Eisler" in Berlin, wo er in den 90er Jahren 1. Konzertmeister der Philharmoniker war. Mit hauchzartem Vibrato und außerordentlicher Lebendigkeit ergänzt er das Duo zum Trio. Und das Zusammenspiel nimmt im Finale von Opus 8 geradezu musikantische Züge an: Wenn Frédéric Chopin zum Tanz bittet und seiner polnischen Heimat die Reverenz erweist.
    Musik: Frédéric Chopin: Finale. Allegretto, aus: Trio für Klavier, Violine und Violoncello g-Moll, op. 8 (Kupiec – Moser - Blacher)
    Die Neue Platte:

    Frédéric Chopin - Cellosonate g-Moll op. 65/ Klaviertrio g-Moll op. 8
    Interpreten: Ewa Kupiec, Johannes Moser und Kolja Blacher
    Label: hänssler CLASSIC, LC 10622, Bestellnummer: 93.321, EAN 4010276026921