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Chorprobe in der Mittagspause

Wo man singt, da stimmt das Betriebsklima - getreu diesem Motto bietet ein französisches Straßenbauunternehmen seinen Mitarbeitern einen wöchentlichen Betriebschor an. Seit zweieinhalb Jahren stimmen die Angestellten des Pariser Firmensitzes in der Mittagspause ihre Lieder an - professionell dirigiert von der Chorleiterin des französischen Fernsehens France TV.

Von Suzanne Krause | 04.01.2013
    Zwölf Uhr mittags, im Saal für Videoschaltkonferenzen. Der lichte Raum wird beherrscht von einem fünf Meter langen ovalen und hochglanzpolierten Tisch. Die dazugehörigen Ledersessel jedoch stehen nun an der Wand, um dem Betriebschor Platz zu machen. Linkerhand haben sich die Sopranistinnen aufgereiht, in der Mitte stehen die Tenöre, in Anzug und einer gar mit Krawatte, rechter Hand Altstimmen. Alles in allem 17 Frauen und 4 Männer, zwischen Anfang 30 und Ende 50. Eine Pianistin bearbeitet die Tasten ihres Digitalpianos, während die Chorleiterin zackig die Probe dirigiert. Emanuel Dubois, 43 Jahre alt und Marketingchef im Unternehmen, gehört seit Anfang an zum Chor:

    "Ich singe gerne, sonst aber nur im Auto und zuhause. Der Chor am Arbeitsplatz ist sehr praktisch, denn abends würde es mir schwerfallen, die Zeit für die Proben raus zu schinden. Und die Proben mittags helfen wunderbar, Stress abzubauen, sich zu entspannen, gemeinsam mit Kollegen eine kurze Auszeit von der Arbeit zu nehmen. Zudem geben wir jedes Jahr vor den Sommerferien ein Konzert im Unternehmen für unsere Kollegen. Es baut ziemlich auf, zu sehen, dass wir als Hobbysänger dazu fähig sind."

    Chorleiterin Amélie Denaes stimmt mit ihren Schülern zu Jahresbeginn das Repertoire ab: querbeet, von klassischem Gesang über Gospel bis zu einem Film-Hit. Viele Unternehmen setzen bei der Chorgründung auf talentierte Mitarbeiter, doch denen mangelt es oft an Professionalität und das Ganze wird zum Flop. Bei Colas holte man eine Musiklehrerin von außen: Amélie Denaes. Sie kümmert sich seit sechs Jahren schon um den Chor beim öffentlichen Fernsehsender France Télévision:

    "Die Arbeit mit einem Betriebschor hat eine Besonderheit: Ich muss sehr flott vorangehen. Die Mittagspause der Angestellten ist nicht sehr lang und mancher kommt oder geht früher, weil eine Sitzung ansteht oder ein Kundengespräch. Die richtige Pädagogik ist wichtig. Zudem liegt mir eines am Herzen: dass jeder bei der Probe das Gefühl hat, Fortschritte zu machen, voranzukommen. Dass er an Selbstvertrauen gewinnt. Das wirkt sich auch auf seine Beziehungen zu den Kollegen aus."

    Beim Start des Chorjahres, nach den Sommerferien, hat die Gruppe ihre Mitgliederzahl verdoppelt. 250 Angestellte sind am Firmensitz tätig - 30 gehören nun zum Chor. Neu dabei ist beispielsweise Christelle Lemonier aus der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. Die 42-Jährige hatte zuvor noch nie gesungen:

    "Bei der Chorprobe vergesse ich Sorgen und Ärger, sei er beruflich oder privat. Eine befreundete Kollegin hat mich in den Chor gelockt, wir amüsieren uns hier prächtig, die Stimmung ist super. Und im Anschluss, hopp, geht's dann mit neuem Schwung an den Schreibtisch zurück."

    Die eineinhalb Stunden Chorprobe sind vorbei. Véronique Leroux stimmt noch einmal leise "New York, New York" an. Die Betriebsrätin, seit Kindertagen Chorsängerin, hat den Betriebschor initiiert. Und stieß damit bei der Firmenleitung auf offene Ohren: Das Unternehmen fördert Künstlertalente in der Belegschaft, berichtet Véronique Leroux.

    "Eigentlich kann man die Chorproben als eine Art Weiterbildungsmaßnahme betrachten. Denn in gewissem Sinne sorgt der Chor für mehr Zusammenhalt im Unternehmen. Die Stimmung im Chor ist konstruktiv und positiv. Und das ermöglicht auch, seine Kollegen und die Arbeit an sich mal anders zu sehen. Die Proben geben viel Energie, die Arbeit geht dann leichter von der Hand. Der Betriebschor ist also rundum ein Gewinn."