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Chris W. Wilpert über Szene-Phänomen
"Hipster sind mehr als eine Modeerscheinung"

Der Literaturwissenschaftler Chris Wilpert hat - gemeinsam mit Robert Zwarg - ein Buch über Hipster herausgegeben. Denn über das Großstadtphänomen sei zwar schon vieles geschrieben worden - oft allerdings nur Oberflächliches, sagte er im DLF. Er bezeichnet den Hipster als einen destruktiven Charakter nach Definition von Walter Benjamin.

Chris W. Wilpert im Gespräch mit Ulrich Biermann | 07.03.2017
    Ein junger Mann mit Vollbart geht mir einem Kaffee in der Hand über eine Straße und Blick auf sein Handy.
    Die Diskussion über Hipster sei bislang zu sehr auf das äußere Erscheinungsbild reduziert gewesen, so Chris Wilpert. (imago / Westend61)
    Ulrich Biermann: Hipster, gebraucht und neu ab 4,40 Euro. Er wird verramscht, der bärtige Ironiker aus den gentrifizierten Großstadtquartieren, zumindest auf dem Buchmarkt. Und im realen Leben? Droht die Enthaarung? Angeblich ist der Typus des trendigen, ironischen Mittelschichtkindes bis Mitte 40 schon längst Mainstream und damit auch belanglos. Der Amerikanist Mark Greif fragte schon vor sieben Jahren im "New York Magazine": Was war der Hipster? Aber ganz ausdiskutiert scheint er nicht. Gerade erschienen: "Destruktive Charaktere – Hipster und andere Krisenphänomene." Mit herausgegeben vom Literaturwissenschaftler Chris W. Wilpert. Willkommen zu Corsogespräch, Herr Wilpert.
    Chris W. Wilpert: Einen wunderschönen guten Tag.
    Biermann: Hat er es verdient, noch mal untersucht zu werden?
    Wilpert: Jein! Wir suchen ja nicht alleine den Hipster. Er ist in den Untertitel gewandert, es heißt eben bewusst: Hipster und andere Krisenphänomene. Man kann am Hipster sehr viel allerdings beobachten, was sich in ihm verdichtet, was man als gesamtgesellschaftliche Krisen betrachten kann. Insofern ist er eben zumindest bemerkenswert, dass so viel über ihn schon gesagt wurde. Zu oberflächlich blieb das häufig auch - zu sehr war das auf die Erscheinung reduziert, auf den Bart oder die Wollmütze. Die Ironie wurde eben auch nur gestreift, aber nicht in dem Maße in den Blick genommen, wie sie es verdient hat, als eben einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Verlust der Urteilskraft, die damit einhergeht.
    "Der destruktive Charakter ist jung und heiter"
    Biermann: Sie etikettieren ihn als "destruktiven Charakter" und nehmen dabei Bezug auf Walter Benjamin. Warum?
    Wilpert: Das hat verschiedene Gründe. Der destruktive Charakter, wie ihn Walter Benjamin beschreibt, hat verschiedene Stichworte geliefert, die uns auch übertragbar und aktualisierbar schienen für den Hipster. Und bei Walter Benjamin heißt es, der destruktive Charakter ist jung und heiter. Er ist immer frisch bei der Arbeit, vermeide aber Schöpferisches, erkenne nur eine Tätigkeit, und ihm schwebe kein Bild vor. Das, fanden wir, trifft bestimmte Punkte relativ gut, die wir eben auch an den gegenwärtigen destruktiven Charakteren beobachten.
    Das Jung und Heiter lässt sich eben übertragen auf das Bild der fortgesetzten Adoleszenz - die Kindheit, die eben so lange reicht, dass man Eltern und Kinder auf Konzerten nicht mehr voneinander unterscheiden kann in ihrem Äußeren. Das Heitere meint eben eine bestimmte, vielleicht verzweifelte Heiterkeit bei der Ironie. Und gleichzeitig muss man diese Zerstörungsmetapher auch in ihrer Gefährlichkeit in den Blick rücken. Es ist nicht nur zerstörerisch um des Zerstörens willen. Das kann man heute so unumwunden nicht mehr verteidigen. Das hat auch Walter Banjamins Text sehr schnell eingeholt, der ist von 1931, am Vorabend des Nationalsozialismus. Insofern ist das Zerstörerische als das nichts Neues im Sinn hat eben im schlimmsten Fall nur destruktiv. Und das ist eine Tendenz, die sich auch für die Gegenwart beobachten lässt, wenn man eben nur destruktiv ist, ohne was Konstruktives im Blick zu haben.
    Biermann: Aber ist der Hipster wirklich ein Krisenphänomen, oder ist er einfach nur ein Modephänomen? Und damit eben keine Epoche, sondern vergänglich.
    "Das ist mehr als eine Modeerscheinung"
    Wilpert: Er hält sich ja doch so konstant seit einigen Jahren, auch wenn es eine Hochzeit gab, wo das Ressentiment gegen ihn bestimmt stärker war und wo es in den bürgerlichen Feuilletons plötzlich auftauchte - als Mode. Aber diese Mode hat sich ja transformiert. Er ist zu einer Art Abziehbild – oder auch Sie, die Hipsterin – für verschiedene Moden immer wieder tauglich. Und darin zeigt sich zum Beispiel eines dieser Krisenphänomene im Umgang mit Geschichte. Das wurde für die Popmusik vor einigen Jahren mit der Retromanie beschrieben.
    Die Moden, die medial auf Hipster projiziert werden, irgendwie identifiziert, sind Wiedergänger von verschiedenen schon dagewesenen Moden. Irgendwelche Konglomerate aus Punk, Emo, Gothic, verschiedenen Jugendkulturen. Und darin zeigt sich eben schon äußerlich mehr als eine reine Mode, dass es irgendwie einen hilflosen Umgang mit Geschichte gibt. Das Gleiche gilt für diese allumfassende Ironie als Haltung, mit der Trash aufgewertet wird, den man ja irgendwie toll finden muss, obwohl man ihn in 90er-Partys schon blöd fand und jetzt bei retrospektiven 90er-Partys eigentlich auch nur mehr eben ironisch witzig finden kann. Das ist mehr als eine Modeerscheinung.
    Biermann: Also die Wiederholung der Wiederholung. Kommen wir noch mal zur Ironie. Die ist eigentlich ein klassisches rhetorisches Mittel, die erst mal sehr viel Distanz braucht, Reflexionsfähigkeit, Analyse voraussetzt. Aber dann auch einen Blick utopisch in eine Varianz werfen könnte. Warum hat der Hipster genau das verlassen?
    Wilpert: Das hat Christy Wampole eben schon mal beschrieben, wie Ironie zu einem allgegenwärtigen Modus geworden ist, der, wie Sie sagten, die Möglichkeiten der Kritik, die in der Ironie mal steckten, in der Romantik, als es als rhetorische Haltung dazu da war, über das Lächerlichmachen einer bestimmten Position, sich dazu negativ zu verhalten. Das hatte auch mit Strategien zu tun, die Zensur zu umgehen. Inzwischen ist dieser zweite Schritt einfach verpufft, dass man noch etwas kritisieren würde in der ironischen Haltung. Es ist nur noch eine Ironie um der Ironie willen. Und das ist irgendeine Form der Distanzierung, die bei vielen stattfindet, die irgendwie auch eine Distanz zu den Menschen um einen herum plötzlich erzeugt oder sich noch auf Erfahrungen einlassen zu können. Diese Art Ironie ist problematisch.
    "Ein Hipster muss nicht per se apolitisch sein"
    Biermann: Weil sie apolitisch ist!
    Wilpert: Genau. Das ist apolitisch. Das muss ein Hipster nicht per se sein und auch nicht alle, die man irgendwie für Hipster hält. Mark Greif hat auch schon gezeigt, dass diese Bewegung aus den Seattle-Protesten heraus entstand. Insofern ist das apolitische vielleicht auch was Zeitgeistiges, was wieder von einer neuen, sinnvollen Kritik abgelöst werden kann, die sehr wohl politisch ist.
    Biermann: Das macht Ihr Autor ja klar in seinem Essay "Hip Politics". Da wird deutlich: Da hat sich was gedreht. Da geht es dann als Hipster plötzlich auch darum, politically correct zu sein. Wie das?
    Wilpert: Sandro Holzheimer zeigt das an dem Blog "Your Fave is Problematic". Sehr einleuchtend lässt sich das auch an der Veränderung des "VICE-Magazins" nachvollziehen, die ja auch ab Mitte der 2000er das Sprachrohr für irgendwas, was man als Hipster identifizierte, war. Die sich in einem extrem regressiven, reaktionären Hass auf Differenzen ausgetrendet hat, die extrem homophob war. Und die sich, sowohl international als auch in ihrem deutschen Pendant, zu einem erstaunlich linken und in einem positiven Sinne politisch korrekten Medium transformiert hat. Das zeigt, es lässt sich auch eine politische Haltung vielleicht wieder verbinden mit Ironie. Wobei immer mit Vorsicht, weil vieles da so nebeneinandergestellt wird, was eben auch nie auf ernsthafte Kritik gehoben wird an jeder Stelle.
    Biermann: Also, der Hipster dann doch kein Krisenphänomen, sondern derjenige, der die Krise deutlich macht?
    "Der Hipster ist ein Mittelschichtsphänomen"
    Wilpert: Ja, aber das zeichnet ihn ja als Symptom eines Krisenphänomens aus, dass er und andere Sozialtypen genau diese Krise sichtbar machen. Ob er sie dabei selbst erkennt, oder auch, wenn es empirisch nicht durchgeführt ist, das was unser Band ja vorführen soll. Er ist ein Symptom für bestimmte Krisen, für Umbrüche im Bereich der Öffentlichkeit, der Kultur.
    Biermann: Die Sie wie beschreiben würden? Diese Krisen.
    Wilpert: Wir nennen das Entdifferenzierungen oder Auflösungen bestimmter Analyse- und Ordnungskategorien. Am Begriff der Klasse wird das sehr deutlich. Der Hipster ist ein Mittelschichtsphänomen. Diese Distinktionsgebaren, das Ausstellen eines bestimmten Geschmacks. Der Umgang mit Kunst oder als kreative Klasse ist ein Phänomen, das sich eben nur bestimmte Mittelschichtskinder leisten können. Gleichzeitig können sich genau diese Mittelschichtskinder aber den Lebensstandard ihrer Eltern, der Baby-Boomer, nicht mehr leisten. Das zeigt der Vincent Gengnagel sehr gut. Das zeigt an anderer Stelle ganz aktuell Christiane Rösinger in ihrem Song "Eigentumswohnung", wie jene bestimmte Klasse versucht, noch den Habitus aufrechtzuerhalten, der aber halt sehr brüchig geworden ist.
    Biermann: Chris W. Wilpert, Literaturwissenschaftler und Mitherausgeber von "Destruktive Charaktere - Hipster und andere Krisenphänomene", erschienen im Ventil-Verlag. Danke Ihnen für das Corsogespräch.
    Wilpert: Ja, vielen Dank auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.