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Christen in der AfD
"Links vom Rechtsextremismus"

In Nordrhein-Westfalen ist in einigen Monaten Landtagswahl. Ein evangelischer Pfarrer und ein Presbyter kandidieren für die AfD. Die Kirchenleitung steckt in einem Dilemma: Die Partei gilt vielen Bischöfen zwar als unchristlich, aber verboten ist sie nicht.

Von Moritz Küpper | 07.12.2016
    Ein Besucher einer Wahlveranstaltung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) trägt eine Kette mit einem Kreuz und ein blaues T-Shirt mit dem Logo der AfD.
    Mitglied in Kirche und AfD - wie passt das zusammen? (imago stock&people)
    Ein Café mitten in Wuppertal, unweit der berühmten Schwebebahn. Hartmut Beucker, ein 54-jähriger Fachanwalt für Steuer- und Gesellschaftsrecht, sitzt an einem Tisch direkt am Eingang, trinkt einen Cappuccino.
    "Politik hat mich immer schon interessiert", sagt er. "Ich habe aber, seitdem ich politisch denke, nicht so die richtige Partei gefunden, mit dem richtigen Parteiprogramm, wo ich dachte, dass mein Engagement nicht verpufft."
    Doch nun ist Beucker, der als evangelischer Presbyter engagiert ist, fündig geworden - seit Juni ist er Mitglied der AfD.
    "Das Parteiprogramm kann man rechts von der CDU, aber links vom Rechtsextremismus verorten - und das ist meine Position."
    Und dafür will Beucker als Direktkandidat bei der Landtagswahl im Mai nächsten Jahres werben. Wobei die Auswahl eher zufällig war: Man habe nach einem Kandidaten gesucht -
    "Und da hat sich keiner gemeldet. Und man hat mich dann gefragt, obwohl ich noch nicht so lange dabei bin, dann hab ich halt gesagt, nach einigem Überlegen: Ja, mach ich. Heutzutage, angesichts dessen, was ich in den letzten zwei Wochen erlebt habe, hätte ich da noch einmal eine Woche drüber nachgedacht."
    "Funktionsweise von Sippenhaft"
    Denn seine Kandidatur polarisierte. Medien berichteten. Sein Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde Elberfeld-Südstadt in Wuppertal gab - ohne Beuckers Wissen - eine Erklärung vor dem sonntäglichen Gottesdienst ab. Tenor: Wir distanzieren uns von der AfD, Herrn Beucker persönlich ließe sich aber nichts Konkretes vorwerfen. Und: In der vergangenen Woche gab es zudem ein Gespräch mit der Wuppertaler Superintendentin Ilka Federschmidt, bei dem man laut Beucker nur die jeweiligen Standpunkte ausgetauscht habe - mehr nicht. Für Beucker, gerade erst für weitere zwei Jahre als Presbyter gewählt, steht fest:
    "Ich persönliche würde es nochmal machen, aber wenn ich die Zeit zurückdrehen würde, würde ich eventuell nicht mehr als Presbyter antreten."
    Nun übt er beide Funktionen aus - und hört regelmäßig davon, dass er sich für die AfD-Äußerungen, die entgegen des christlichen Menschenbilds laufen, rechtfertigen solle:
    "Das ist die Funktionsweise von Sippenhaft."
    Manfred Rekowski bei einer Pressekonferenz zum Aufruf für ein tolerantes NRW im November
    Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, bei einer Pressekonferenz zum Aufruf für ein tolerantes NRW im November (picture-alliance / dpa / Federico Gambarini)
    Manfred Rekowski sagt: "Das ist schon für uns als Kirche auch ein gewisses Dilemma, dass wir zum einen unsere inhaltliche Position haben, zum anderen aber auch immer sehr differenziert hingucken müssen uns jeden einzelnen Fall angucken müssen."
    Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, kommt ebenfalls aus Wuppertal, kennt Beucker persönlich. Entgegen anderslautender Berichterstattung hat ihn eine AfD-Kandidatur eines Kirchenmannes per se nicht überrascht - sondern vielmehr die Tatsache, dass es Beucker war.
    Was sagt das Neue Testament dazu?
    Und Rekowski muss sich nicht nur mit der Personalie Beucker beschäftigen. Denn mit Axel Joachim Bähren findet sich auch ein Pfarrer im Ruhestand auf der AfD-Landesliste. Einst als Gefängnispfarrer in Kleve aktiv, steht er jetzt auf Platz 20 der Landesliste. Würde die AfD rund neun Prozent der Stimmen bekommen, säße er im Landtag. Einen grundsätzlichen Widerspruch des AfD-Parteiprogramms mit dem christlichen Menschenbild sieht der Pfarrer, einst SPD- und CDU-Wähler, nicht:
    "Weil ich ganz viele Stellen, auch aus dem Neuen Testament heraus, begründen könnte, wo das Parteiprogramm absolut identisch ist, mit den Grundzügen der christlichen Ethik und der christlichen Moral", sagt Axel Joachim Bähren.
    Mittlerweile gebe es auch in der Partei eine Gruppierung, die nenne sich "Christen in der AfD". Bei seiner Vorstellungsrede für die Liste, klang Bähren kontroverser: Der Rassismus sei im Islam zuhause, behauptete er dort. Und ging auch mit seinem ehemaligen Arbeitgeber ins Gericht. Die Großkirchen würden nur an der Asyl-Utopie verdienen,
    "indem sie nämlich in ihrer Art von Betreuung, in Anführungszeichen, eine Rundumversorgung anbieten. Die katholische Kirche bietet, im Gegensatz zu Privat-Vermietern von Flüchtlingsheimen und Privat-Unterkünften an, Rundumversorgung in Form von: Wir stellen, durch unsere Beratungsstellen, die Heilpädagogen, die Kinder- und Jugendpsychologen, die Ärzte, die Erzieher und die Betreuer, die dann auch noch zum Sozialamt gehen und dann die ersten Dienste, wenn sie die Flüchtlinge begleiten. Katastrophal."
    Bähren unterliegt, trotz des Ruhestands, weiterhin dem Dienstrecht. Auch er hatte mittlerweile ein Gespräch mit der Kirchenleitung, fand dieses aber sehr entspannt:
    "Man hat mich gebeten, ich solle, bei meinen Äußerungen, gerade auch zu unseren muslimischen Mitbürgern und über den Islam insgesamt, etwas differenzierter mich äußern, dem kann ich mich stellen. Ich habe aber auch gesagt, dass ich mich sehr freuen würde, wenn man mir die Freiheit gäbe, nicht zu einem Märtyrer zu werden."
    Große Worte - und ein konfliktreiches Terrain für Präses Rekowski. Denn anders als bei einem Fall im Jahr 2014, wo in Leverkusen eine Presbyterin ausgeschlossen wurde, weil sie in der vom Verfassungsschutz beobachteten rechten Gruppierung "ProNRW" aktiv war, wird die AfD nicht von der Behörde beobachtet. Rekowski äußert sich daher nur allgemeiner:
    "Jeder, der bei uns mitarbeitet, ist auf das Bekenntnis unserer Kirche verpflichtet. Und wenn es da zu eklatanten Abweichungen kommt, werden wir angemessen reagieren."
    Rechtsradikale Positionen weichgespült
    Sein Dilemma: "Die AfD, das Parteiprogramm, ist in Teilen durchaus auch weichgespült. Während man öffentlich und medial von Repräsentanten der AfD durchaus rechtsradikalere Positionen auch öffentlich hört. Aber wir müssen dann immer genau gucken: was sind Einzelpersonen, was ist das Parteiprogramm. Denn wir wollen, wenn wir agieren, wollen wir auch zu einem Ergebnis kommen und dann muss das belastbar sein."
    Siegfried Eckert geht das nicht weit genug. Der Gemeindepfarrer aus Bonn, auf verschiedenen Ebenen in der evangelischen Kirche aktiv, hat sich schon häufiger öffentlich gegen die AfD positioniert:
    "Wenn man sich mit dem Grundsatzprogramm der AfD auseinandersetzt, dann sieht man, wes Geistes Kind diese Partei ist und da kann die Kirche sich nicht raushalten."
    Das Programm der AfD solle daraufhin beleuchtet werden, ob es den Inhalten der Kirchenordnung entspreche: Die Frage der Religionsfreiheit, die Frage des Menschenbilds, vor allem aber die Flüchtlingspolitik. Eckert hat da auch eine klare Meinung:
    "Wenn Kirchen es beim Thema Religionsfreiheit mit einer Partei zu tun kriegen, wo dieses hohe Gut gefährdet ist, kann allein das schon Grund sein, zu sagen, das ist nicht nur nicht unsere Partei, sondern Kirchenmitgliedschaft müssen wir noch klären, aber Kirchenämter mit diesem Parteibuch - das ist nicht vorstellbar."
    Für ihn stehe die Frage des Umgangs mit der AfD nun einfach an:
    "Das wünschte ich mir schon von Kirchenleitungen, dass sie weniger, ich sag mal, taktisch agieren, sondern dass die auch riskieren, sich so zu positionieren, dass sie nicht jedem gefallen können."
    Und das würde dann auch Presbyter und AfD-Direktkandidaten Beucker betreffen. Wer ihm länger zuhört, merkt, wie auch ihn die Kritik aus seiner Kirche verletzt und er seine Rolle nun angenommen hat:
    "In ganz stillen Sekunden lehne ich mich zurück und genieße das Schauspiel. Selten, aber ich tue es, weil sich gewisse Mechanismen selbst entlarven, die da sind: Diejenigen, die das Ausgrenzen beklagen, grenzen selber aus."