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Christen in der Türkei
Hoffnung im Istanbuler Kloster

Das Kloster Halki liegt auf einer Insel vor Istanbul. Jahrhunderte lang wurden hier Geistliche der griechisch-orthodoxen Kirche ausgebildet. Doch vor fast 50 Jahren hat der türkische Staat das verboten. Im Kloster aber geben sie die Hoffnung nicht auf, dass sich das bald wieder ändern könnte.

Von Susanne Güsten | 05.01.2018
    Das Seminar von Halki auf der Insel Heybeliada bei Istanbul.
    Das Seminar von Halki auf der Insel Heybeliada bei Istanbul. (imago / CHROMORANGE)
    Nur über das Meer ist die Insel Heybeli zu erreichen, eine der Prinzeninseln im Marmara-Meer vor Istanbul. Möwen begleiten die Fähre auf der einstündigen Überfahrt und betteln die Passagiere um Krumen von ihren Sesamkringeln an.
    Märchenhafte Ruhe herrscht auf der Insel nach dem Lärm der Millionenmetropole. Von der Anlegestelle aus ist das Kloster Halki schon zu sehen, ganz oben auf der Anhöhe ragt es aus dem Wald auf wie ein verwunschenes Schloss.
    Mit dem Pferdewagen geht es weiter, denn auf der Insel fahren keine Autos. Die Pferde sind mit Gummieisen beschlagen, damit das Gespann nicht ins Rutschen kommt; der Kutscher klingelt Passanten mit einer Glocke aus dem Weg. Steil geht es bergan auf einem gewundenen Pfad durch den Wald bis zu dem Kloster. Seit 45 Jahren liegt das Kloster Halki im Dornröschenschlaf – doch neuerdings regt sich hier wieder Leben und Hoffnung.
    Bis 1971 als Ausbildungsstätte genutzt
    Sie werden von unseren Pfauen begrüßt, sagt Bruder Johannes, ein griechisch-orthodoxer Mönch, der sich im Kloster auf die Priesterweihe vorbereitet. Bereitwillig führt er durch das 1200 Jahre alte Kloster.
    In diesem Trakt befindet sich das Priesterseminar des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, in dem seit 1844 der theologische Nachwuchs für das Patriarchat ausgebildet wurde. Patriarchen, Metropoliten und Priester aus aller Welt studierten hier bis zum Jahr 1971, als das Seminar vom türkischen Staat geschlossen wurde. Auch der gegenwärtige Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus I., hat noch hier studiert, ebenso Augustinus, der orthodoxe Metropolit von Deutschland.
    Die Klassenzimmer sind noch immer, wie die letzten Priesterschüler sie verlassen haben, als das Seminar geschlossen wurde. Altmodische Holzpulte stehen in Reih und Glied vor einer schwarzen Tafel, auf der noch schwache Kreidestriche erkennbar sind. Ein wenig wie im Museum – und Besucher gibt es neuerdings auch, erzählt Bruder Johannes.
    "Früher brauchte man eine Genehmigung vom Ökumenischen Patriarchat, um hier hereinzukommen, aber das ist jetzt nicht mehr so. Die Tore stehen jetzt allen offen, von acht bis vier Uhr kann jeder kommen, auch die Türken."
    "Wir hoffen auf jede neue Regierung"
    Das Patriarchat will damit den Vorurteilen in der türkischen Gesellschaft begegnen, die das Priesterseminar argwöhnisch als Hort finsterer Umtriebe betrachtet, sagt Bischof Elpidophoros, der Abt von Kloster Halki – eine Art PR-Aktion in eigener Sache.
    "Wir warten und hoffen seit über 45 Jahren auf jede neue Regierung, auf jeden neuen Ministerpräsidenten, jeden Staatspräsidenten, dass unser Priesterseminar wieder öffnen kann. Aber weil das nicht geschehen ist, können wir nicht mehr nur herumsitzen und warten, wir müssen aktiv werden. Und deswegen haben wir das Kloster für die türkische Gesellschaft geöffnet und laden alle ein, hier Konferenzen und Konzerte zu veranstalten und unsere Gäste zu sein."
    Der Bischof sitzt mit einem Tässchen Kaffee in seinem Empfangsraum im oberen Stockwerk des Klosters mit Blick über das Meer auf Istanbul und unter den Portraits von Patriarchen aus vielen Jahrhunderten. Mit seinen 50 Jahren ist er zu jung, um selbst noch im Priesterseminar Halki studiert zu haben wie sie – und darüber ist er verbittert.
    "Als das Seminar 1971 geschlossen wurde, war ich vier Jahre alt. Als türkischer Staatsbürger konnte ich deshalb nicht in meinem eigenen Land studieren. Ich musste in ein anderes Land reisen, um zu studieren, nach Griechenland und dann nach Deutschland. Und als ich mit einem Doktortitel zurück kam in mein Land, da konnte ich nicht Professor werden an meinem eigenen theologischen Seminar, sondern musste in Griechenland habilitieren. Und jetzt bin ich Professor und Abt dieses Klosters und darf an meiner eigenen Klosterschule nicht unterrichten."
    "Ausbilden und Brücken bauen"
    Nicht nur um seiner selbst Willen ist der Bischof verbittert darüber, dass die lange Tradition der Ausbildung am Seminar Halki bei ihm abgerissen ist. Die ganze christliche Welt gehe das an, sagt er, und erinnert daran, dass das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel als erstes Patriarchat unter den orthodoxen Kirchen, als primus inter pares, für die Koordination der gesamten orthodoxen Welt und ihre verschiedenen nationalen Kirchen zuständig ist, wo es um ihre globale Dimension und ihre Beziehungen zu den anderen christlichen Kirchen geht.
    "In den 170 Jahren, die dieses Seminar funktioniert hat, haben hier nicht nur Patriarchen, Metropoliten und Priester des Patriarchats von Konstantinopel studiert, sondern auch Bischöfe anderer orthodoxer Kirchen und vieler anderer christlichen Kirchen. Wir hatten hier anglikanische, römisch-katholische, äthiopische Studenten und noch viel mehr. Denn der Zweck dieses Seminars ist es nicht nur, Priester auszubilden, sondern auch Brücken zwischen den orthodoxen und allen christlichen Kirchen zu bauen."
    Der ökumenische Geist der Ausbildung von Halki war die Grundlage dafür, dass der Patriarch Athenagoras I. sich 1964 in Jerusalem mit Papst Paul VI. treffen konnte, sagt der Bischof – die erste Begegnung zwischen Ost- und Westkirche seit fast eintausend Jahren. Und auch der gegenwärtige Patriarch Bartholomäus, der die Annäherung der orthodoxen und katholischen Kirchen mit dem Ziel der Wiedervereinigung der Christenheit vorantreibt, ist ein Produkt der Ausbildung von Halki."
    "Alle diese Geistlichen, die hier studiert haben, bilden noch immer die Speerspitze der Ökumenischen Bewegung, des Strebens nach einer Wiedervereinigung der Christenheit in aller Welt. Deshalb ist dieses Seminar nicht nur für uns wichtig, es ist wichtig für die ganze christliche Welt. Denn wir senden von hier Geistliche in die Welt hinaus, die offen sind für die Ökumene und die frei sind von Nationalismus und konservativem Denken. Geistliche, die erfahren sind im Dialog mit Katholiken, mit Hindus, mit Moslems. Das ist es, was die Welt braucht. Deshalb ist für die ganze christliche Welt wichtig, dass dieses Seminar wieder eröffnen kann."
    Pläne für die Zukunft
    Bischof Elpidophoros gibt den Glauben nicht auf, dass der türkische Staat irgendwann erleuchtet wird und das Priesterseminar Halki wieder eröffnen lässt. Für diesen Tag liegen die Pläne schon fertig auf seinem Schreibtisch, von der Digitalisierung der jahrhundertealten Biblitothek bis zur Modernisierung der Mönchszellen. Bruder Johannes führt stolz durch die Bauzeichnungen und Modelle, die in einem alten Klassenzimmer mit 120-jährigen Holzdielen ausgestellt sind.
    "Hier unter dem Dach werden wir neue Räume für die Seminaristen einrichten, denn man kann junge Leute heutzutage ja nicht mehr unterbringen wie in der Kaserne, acht Mann in einem Zimmer. Sie werden hier Einzelzimmer haben, mit Internet natürlich. Wenn das Seminar wieder eröffnet wird, dann wird es kein copy-paste der Vergangenheit sein. Der Geist von Halki wird weiter leben, aber modernisiert für das 21. Jahrhundert."