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Christian Schwarz-Schilling
"Das war wirklich Rotfunk, wie er im Buche steht"

Als Postminister war Christian Schwarz-Schilling mitverantwortlich für die Einführung des Privatrundfunks in den 80ern. Die Öffentlich-Rechtlichen seien damals zu linksorientiert gewesen, sagte der CDU-Politiker im Dlf. Heute habe er nicht mehr das Gefühl, dass dort eine "ideologische Mafia" herrsche.

Christian Schwarz-Schilling im Gespräch mit Stephan Detjen | 22.02.2018
    Der CDU-Politiker Christian Schwarz-Schilling auf einer Pressekonferenz in Berlin
    Christian Schwarz-Schilling, Jahrgang 1930, war Bundespostminister und später unter anderem Hoher Repräsentant der Vereinten Nationen für Bosnien und Herzegowina (picture alliance/ dpa/ Jens Kalaene)
    Moderator: Geboren 1930 in Innsbruck in einen Musikerhaushalt, wurde Christian Schwarz-Schilling zunächst Experte für chinesische Diplomatie und ostasiatische Sprachen. Den Weg in den Mittelstand fand er über die Ehe mit einer Firmenerbin, es folgte der Aufstieg in der hessischen CDU. Schwarz-Schilling wurde der Mann für Kommunikation und Medien in der Helmut-Kohl-Republik: Als Postminister ließ er Westdeutschland verkabeln, um das Privatfernsehen in die Haushalte zu bringen. Er zerschlug seinen eigenen Zuständigkeitsbereich und privatisierte Post und Telekommunikation, bis er Ende 1992 dann plötzlich sein Amt niederlegte. "Ich schäme mich, dieser Regierung anzugehören", soll er im Kabinett ausgerufen haben – im Zorn darüber, dass die schwarz-gelbe Regierung seiner Ansicht nach zu wenig gegen das Töten im zerfallenden Jugoslawien unternahm. Er fand, Deutschland sei verpflichtet, im Rahmen der NATO die serbische Expansion auf dem Balkan zu stoppen. So wurde aus Helmut Kohls Minister für Kabelfernsehen und Telefonie eine andere Art Kommunikator: Als internationaler Streitschlichter, später dann als Hoher Repräsentant versuchte er, aus Bosnien-Herzegowina einen handlungsfähigen, regierbaren Staat zu machen. Bis heute steht er dem internationalen Wirken auf dem Balkan sehr skeptisch gegenüber.
    Stephan Detjen: Herr Schwarz-Schilling, Ihr Vater, Reinhard Schwarz-Schilling, war Komponist, Ihre Mutter, Dusza von Hakrid, Pianistin mit jüdisch-polnischen Wurzeln – erzählen Sie von Ihrem Elternhaus.
    Schwarz-Schilling: Wir haben zunächst in Innsbruck, wo ich geboren bin, gelebt, dann 1935 etwa sind wir nach Feldafing in Bayern am Starnberger See, dort bin ich eingeschult worden. Ich soll damals absolut bayrischen Dialekt gesprochen haben – kann ich mir jetzt heute gar nicht mehr so gut vorstellen. Und dann ist mein Vater nach Berlin an die Hochschule für Musik berufen worden. Und meine Mutter war Konzertpianistin. Sie war vor meiner Geburt schon sehr, sehr berühmt in Wien, sie hat dort mit Bruno Walter gespielt, mit Donáhnyi in Ungarn und so weiter. Wir haben noch die Rezensionen zu Hause liegen. Also sie war eine aufsteigende Art Wunderkind und war außerordentlich stark dort.
    Detjen: Man muss sagen, natürlich haben Sie auch ein Instrument gelernt: Sie spielen Klavier.
    Schwarz-Schilling: Und Orgel.
    Detjen: Und Orgel.
    Schwarz-Schilling: Habe ich gelernt, ja, damals.
    Detjen: War das für Sie auch eine Option, die Musik zum Beruf zu machen?
    Schwarz-Schilling: Ja. Das war sozusagen erst mal die Entscheidung meiner Mutter, die zunächst mal dachte, ja, also der Junge wird die Laufbahn eintreten. Aber ich habe dann schon doch recht bald gemerkt, dass ich in der Klasse meiner Eltern sehr schwer bestehen würde und habe mich dann davon abgewandt. Ich habe dann gesagt, mit 15 etwa war das: Also nun ist es gut, ich werde kein Musiker, und dachte, dass damit auch das Klavier spielen…
    Detjen: War das schwer, diese Erwartungen der Eltern zu enttäuschen?
    Schwarz-Schilling: Ja, für meine Mutter, ja. Aber da hatten wir ja schon meinen Bruder, und mein Bruder galt eigentlich als der noch viel Begabtere, und insofern konnte man das Ausbleiben von mir verschmerzen. Aber mein Wille dann also auch das Üben, jetzt jeden Tag eine Dreiviertelstunde oder Stunde, loszuwerden, das hat sich nicht erfüllt. Da wurde weiter gesagt, kommt gar nicht in Frage, und später war ich natürlich darüber sehr glücklich, weil man dadurch besser vom Blatt spielen konnte und eine bessere Möglichkeit hatte, das noch weiter auszuüben.
    China statt Musik
    Christian Schwarz-Schilling (rechts) kam für das Interview in Begleitung seiner Frau Marie-Luise zu Hauptstadt-Korrespondent Stephan Detjen ins Studio
    Christian Schwarz-Schilling (rechts) kam für das Interview in Begleitung seiner Frau Marie-Luise zu Hauptstadt-Korrespondent Stephan Detjen ins Studio (Deutschlandradio/ Tanja Bogdan)
    Detjen: Und wo immer Sie waren, habe ich gelesen, in Ihren Wohnungen steht und stand ein Flügel bis heute.
    Schwarz-Schilling: Ja, richtig.
    Detjen: Statt Musik dann China. Sie haben in den 50er-Jahren angefangen, Chinesisch zu lernen, Sinologie – damals sagte man, glaube ich, noch ostasiatische Kultur, studiert in Berlin, haben über chinesische Diplomatie im 11. Jahrhundert promoviert. Wie kam es dazu?
    Schwarz-Schilling: Also erstens habe ich in dem einen Jahr, wo ich überhaupt nicht in die Schule gegangen bin, das war in Potsdam-Geltow, wo wir lebten - nach dem Krieg von '45 bis '46 war praktisch keine Verkehrsverbindung, und mit dem Fahrrad konnte ich auch nur teilweise im Sommer, aber dann auch wegen der Gefahr, dass man es mir wegnimmt oder so. Also ich war ein Jahr lang ohne Schule, hatte aber dann die Schularbeiten alle gemacht und hatte auch so ein bisschen Unterricht dort, aber das war die Zeit, wo ich die Bibliothek meines Vaters wirklich viel gelesen habe. Und da waren sehr viele Bücher über Asien, insbesondere auch Religionsbücher, also über Religionswissenschaften und über die Leute in Indien, die Gurus und was es da alles gibt. Das hat mir, sagen wir mal, doch sehr viele Möglichkeiten gegeben, mich sozusagen etwas weltweit zu orientieren, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg 1945. Da waren wir ja dort noch unter den Russen. Die Russen waren also eine sehr nahe Bekanntschaft von mir im Sinne von wie man das überlebt, weil meine Eltern waren getrennt zunächst. Mein Vater war in der Kriegsgefangenschaft, und meine Mutter und ich und mein Bruder und meine Schwester waren alleine dort in dem Haus. Da möchte ich sagen, dass meine Ausrichtung schon immer sehr stark dann in die Religionswissenschaften gegangen ist, auch als ich dann weggezogen bin nach Berlin.
    Detjen: Und war diese Beschäftigung mit den asiatischen Religionen, mit der asiatischen Spiritualität, war das eine Sache der, wie Sie gerade sagten, Religionswissenschaft, oder hatte das auch was mit der eigenen Spiritualität, mit dem eigenen Glauben auch zu tun?
    Schwarz-Schilling: Das hatte etwas damit zu tun, wie die Geschichte war, dass wir gerade in der Zeit des Endes des Zweiten Weltkrieges waren und man sich fragte, wie wird die Welt überhaupt aussehen. Da gab es nun plötzlich dann die Vereinten Nationen, da gab es China als kommunistisches Land, die ja sehr bald, im Jahr '49 beginnend …und insofern waren das natürlich hochinteressante Entwicklungen, die für einen ja auch völlig neu waren. Sie müssen sich mal vorstellen, wir waren erst in der Nazizeit, und dann waren wir in der russischen Zeit, und erst, als ich in dem amerikanischen Sektor war, in Berlin, da lebte ich auf: Da konnte man plötzlich alle Sachen sagen, da hatte man die schöne Tanzmusik der Amerikaner, Boogie-Woogie und was da alles war. Man fühlte sich plötzlich wirklich frei, und die Amerikaner sind für mich ja insofern ein Befreier auch persönlich gewesen. Die chinesische Sache ist dann ganz anders gekommen. Da war ich mit einem Freund in dem Haus am Waldsee.
    Detjen: In Berlin-Dahlem, kleines Museum.
    Schwarz-Schilling: In Berlin-Nikolassee. Und da bin ich in eine chinesische Ausstellung über die Qing- und Ming-Malerei mit einem Freund gegangen, und wir sind die ganze Nacht dann um die Krumme Lanke gelaufen und waren ganz begeistert. Er war zum ersten Mal konfrontiert mit diesen Bildern. Und da habe ich mir schon so in meinem Kopf überlegt, als ich diese schönen Zeichen dort sah, die da so schweben: Mensch, die müsste man eigentlich lesen können, damit man das Bild überhaupt richtig versteht, was steht da jetzt dazu. Und am nächsten Tag war im "Tagesspiegel" eine Annonce: "Chinesisch für Anfänger, Volkshochschule Zehlendorf". Und so habe ich also erst mal meine Volkshochschulkurse da weitergemacht, bin dann aber nach München, wo der Professor Haenisch, also ein Nestor der Sinologie, gerade der chinesischen Schriftsprache, auch entsprechende Bänder herausgegeben für das Studium der Sprache. Der war dann, als ich kam, leider schon emeritiert, aber es gab dann natürlich andere weitere Leute. Und von daher gesehen wurde dann mein Hauptfach eben Sinologie, und wie Sie sagen, ein Thema für einen Friedensvertrag von Shan-Yuan aus der Song-Dynastie, Nordsong-Dynastie.
    Detjen: 11. Jahrhundert etwa.
    Schwarz-Schilling: 11., ja. Der Friedensvertrag ist 1005 nach Christus geschlossen worden. Ich habe, sagen wir mal, mich darin so betätigt, dass ich festgestellt habe, dass ich diese Friedensverhandlungen außerordentlich gut von den Chinesen fand, währenddessen sie bei dem großen Werk von Otto Franke, das war der große Historiker, als ziemlich schlecht, und man merkt also, dass sie gar keine richtige Standfestigkeit gehabt haben. Und überhaupt diesen Frieden da mit den Barbaren, das war also eigentlich nicht im chinesischen … und von daher gesehen, das habe ich nun also völlig anders interpretiert und habe gesagt: Wo gibt es einen Friedensvertrag, der 125 Jahre lang standgehalten hat, der echt für die Farmer und Bauern der Chinesen Frieden dort gebracht hat, der die ständigen Einfälle der Kitan – das waren dort die Barbaren, das Barbarenvolk, um das es hier ging – beendet hat, ein großes Stück des Lands, was bereits bis runter nach Kaifeng, also am Huang Ho erobert haben, weit über die Mauer hinaus bereits nach Süden, wieder zurückgegeben haben – jedenfalls einen großen Teil davon. Und dieser Friedensvertrag war also eine geniale Geschichte, und ich habe mich also dann damit, wer das gemacht hat, wie sie es gemacht haben, wieso die Kitan sich darauf eingelassen haben … das war ein unglaublich interessantes Thema für mich, und das hat mir großen Spaß gemacht.
    Vom Unternehmer zum Politiker
    Detjen: Der Versuch, guten Frieden zu schließen, zu bewahren, spielt dann später in Ihrem Leben als Politiker noch mal eine große Rolle, aber zunächst kommen da noch mal ganz andere Stationen. Jetzt könnte man denken, da ist die Musik im Leben, da ist Asien im Leben, da deutet sich schon mal was von Politik und Freiheit an, aber dann kommt noch mal was ganz anderes: Sie heiraten die Tochter eines Unternehmers, Marie-Luise Jonen, Volkswirtin, Tochter eines Unternehmers. Der Schwiegervater stirbt, als Sie gerade 27 sind, und Sie rücken mit Ihrer Frau in die Rolle des Erben und Unternehmers ein, führen ein großes mittelständisches Unternehmen mit dem schönen Namen Accumulatorenfabrik Sonnenschein.
    Schwarz-Schilling: Richtig, ja.
    Detjen: Was war das für ein Unternehmen, und was hat das Unternehmertum für Sie bedeutet?
    Schwarz-Schilling: Nun, ich war eigentlich jetzt gar nicht bereit gewesen, sofort in diese Firma zu gehen. Er wollte das auch, obwohl er nicht so ganz zufrieden war, dass meine Frau nicht einen ausgemachten Unternehmer geheiratet hat. Denn sie war die einzige Erbin des Unternehmens, und er hätte das also sehr viel lieber gesehen und war nicht ganz so begeistert, einen Sinologen nun also als Schwiegersohn dorthin zu bekommen, wusste erst mal gar nicht, was er damit überhaupt anfangen soll. Ich habe dann mal ein Praktikum dort gemacht, da sind wir uns menschlich sehr viel näher gekommen, aber ich habe ihm gesagt, nein, ich bin jetzt im Moment in Hamburg, ich mache dort eine Bankausbildung, war so eine verkürzte Lehrgeschichte dort, und ich hatte also einen Vertrag mit der deutsch-asiatischen Bank, nach zwei Jahren nach Hong Kong zu gehen. Und dann, als er gestorben war, bin ich sofort zurückgegangen nach Büdingen, wo die Familie ja lebte, Familie Jonen, und meine Frau war noch nicht fertig mit dem Studium, und wir haben uns dann so vereinbart, dass sie ihr Studium zu Ende führt, und ich gehe sofort zurück zu meiner Schwiegermutter - wir hatten aber noch nicht geheiratet - also in spe. Da habe ich dann angefangen, und da habe ich mich dann, als ich gemerkt habe, wie interessant diese Firma ist, wie es vernünftig ist, so mit Leuten zu arbeiten, mit den Prokuristen und so weiter. Da habe ich natürlich auch gemerkt, dass sehr viel Neues gemacht werden muss und dass das eine große Aufgabe ist. Das war eigentlich dann doch ein sehr entscheidender Punkt, ob man denn selbst im Grunde genommen so sehr nur auf seine Sachen bezogen sein soll, wenn hier eine solche Aufgabe ansteht. Mir hat das mehr und mehr Spaß gemacht, ich hatte mich schon immer sehr stark für Technik und entsprechende Dinge interessiert und habe dann auch gleich in dem Unternehmen, als wir dann beide kamen – das war dann so etwa im September, Oktober 1957 –, und haben dann das Ding ab '57 im September übernommen.
    Detjen: Und dann kommt die Politik. Lassen Sie uns über die Politik reden: Sie treten oder werden in der hessischen CDU aktiv, in der Kommunalpolitik, werden Landtagsabgeordneter, werden erfolgreicher Generalsekretär der hessischen CDU. Was war das für eine Partei damals? Das ist eine Partei …, der Vorsitzende war dann Alfred Dregger, bis heute der Prototyp des schneidend konservativen Christdemokraten. Wie haben Sie ihn, wie haben Sie die CDU in Hessen damals erlebt?
    Schwarz-Schilling: Na ja, also ich bin ja sozusagen erst mal die Pudel-Dackel-Tour nach oben gegangen, als Vorsitzender des Ortsverbandes, als Vorsitzender des Kreisverbandes, in den Kreistag, in den Landtag, dann stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Zuständig – das habe ich dann selber so gemacht – für Kultur und Universitäts- und Schulpolitik. Das hat mir natürlich großen Spaß gemacht, denn wir hatten in Hessen eine steinzeit-marxistische Bewegung von Herrn Professor Friedeburg, der dort das Sagen hatte als Kultusminister sehr bald. Und wir beide hatten also die großen Kontroversen im Landtag.
    Detjen: Und Sie waren Kulturpolitiker im Landtag, ja.
    Schwarz-Schilling: Ja. Das war also eine ganz, ganz große Zeit. Und von daher gesehen, würde ich mal sagen, war natürlich dann die Politik von Alfred Dregger sehr, sehr passend, weil natürlich diese scharfe Klinge, die er also auch mit der Sozialdemokratie dort führte, für die CDU ein Glücksfall war.
    Detjen: Also eine Polarisierung wie wir sie heute, seit Langem jedenfalls, zwischen CDU und SPD nicht mehr haben, sehen wir gerade dieser Tage.
    Schwarz-Schilling: Und ich meine, ich war natürlich auch derjenige, der versucht hat, vielleicht selber in den Vorsitz zu kommen, habe aber dann festgestellt, dass Alfred Dregger nun also mit seinem Charisma das sicherlich noch besser machen kann als ich.
    Die schwarzen Kassen der Hessen-CDU
    Detjen: Im Rückblick ist das ein Landesverband, auch in der Zeit, als Sie stellvertretender Vorsitzender waren, der dann viel später im Mittelpunkt des großen CDU-Parteispendenskandals steht. Sie sind da auch immer wieder gefragt worden: Was haben Sie gewusst? Sie haben immer gesagt, das haben Sie nicht mitbekommen, was dort passiert ist. Welche Erklärung haben Sie heute dafür, dass in dieser Partei, in der Sie an so zentraler verantwortlicher Stelle sitzen, sich solche Dinge entwickeln können, wie man sie dann nach 1999 gelernt hat?
    Schwarz-Schilling: Also zunächst einmal, muss ich sagen, habe ich dabei auch sehr viel Glück gehabt, denn gerade in der Zeit, bevor diese ganzen Dinge kamen, bin ich von der Frage der Finanzen der CDU entbunden worden, weil wir ja einen Generalsekretär bekamen – das war der Manfred Kanther – der das alles machen wollte als Geschäftsführer.
    Detjen: Der spätere Bundesinnenminister.
    Schwarz-Schilling: Und den Dregger auch gerne für dieses Amt behalten, also haben wollte. Und daraufhin habe ich dem Alfred Dregger gesagt, also, Dregger, wenn die Frage, dass er jetzt nur noch die Konten macht und ähnliches, dann habe ich keine Verantwortung mehr und übernehme keine Verantwortung mehr über den weiteren Fortgang hier der Finanzen, ich habe das bisher alles gemacht. Dann sagte er, ja, und dann hat er mir gesagt, Sie sind der Kulturpolitik so viel wichtiger und, und, und. Na ja, also wie das so in der Politik dann geht. Und dann habe ich das aufgegeben, und von daher gesehen war ich natürlich gerade sehr gut heraus, weil ich mit diesen Dingen überhaupt nichts zu tun hatte. Ich bin ja in den Untersuchungsausschuss geladen worden und habe dann das Schreiben von Dregger vorgeführt, wo er mir sagte, jawohl, die Verantwortung übernimmt der andere.
    Detjen: Aber gerade noch mal auch in dieser inzwischen noch weiter gewachsenen Distanz, im Rückblick, welche Erklärungen haben Sie dafür, was ist da in den Menschen vorgegangen, was ist da in der Partei auch schiefgelaufen, dass sowas möglich wurde?
    Schwarz-Schilling: Also das ist natürlich eine Situation, wo man sich in die damalige Zeit hineindenken muss. Erstens, keiner von den Leuten hat auch nur einen Pfennig für sich privat benutzt. Es ist alles Geld in die Partei geflossen.
    Detjen: Das hat Kohl auch immer für sich in Anspruch genommen.
    Schwarz-Schilling: Ja, ich sage ja: alle. Das war mit allen so, Dregger oder wie auch immer.
    Das Kabinett Kohl 1983 - Gruppenbild 
    Das Kabinett Kohl 1983 mit Postminister Christian Schwarz-Schilling (CDU, Zweiter von rechts) (picture alliance/ UPI)
    Unrechtsbewusstsein? "Nein, da war kein solches Gefühl"
    Detjen: Aber trotzdem haben alle gewusst, dass sie widerrechtlich handeln. Unrechtsbewusstsein war doch mit Sicherheit da?
    Schwarz-Schilling: Nein, das war kein solches Gefühl. Sondern das Gefühl war gewesen, wir tun unsere Pflicht. Die Parteien sind die entscheidenden Leute, die in der Demokratie die wichtigste Rolle spielen, weil sie auch die Vielfalt und, und, und …
    Detjen: Das ist doch eine Hybris, ist doch eine Überheblichkeit, zu sagen: Die Partei ist mir wichtiger als die rechtlichen Regelungen.
    Schwarz-Schilling: Ja, welche rechtlichen Regelungen?
    Detjen: Das Parteiengesetz.
    Schwarz-Schilling: Ja, nun, also so genau war das ja nun auch nicht in dem Parteiengesetz damals. Das ist ja erst alles nach und nach gekommen. Vor allem, wenn man entsprechende Dinge gemerkt hat.
    Detjen: Aber schwarze Konten, Scheinkonten anzulegen und die als jüdische Vermächtnisse zu deklarieren, das war doch auch damals klar, dass das auch nicht rechtskonform ist.
    Schwarz-Schilling: Natürlich.
    Detjen: Ganz abgesehen davon, dass es unmoralisch war.
    Schwarz-Schilling: Da haben Sie vollkommen recht, nur: Das Unrechtsbewusstsein war in keiner Weise so ausgebildet, wie Sie sich das von heute aus vorstellen. Das war eine Sache, wo man sagt, im Grunde genommen muss die Demokratie mehrere Parteien haben. Es gab ja auch so, dass die Firmen zu einem ganz großen Teil allen Parteien etwas gegeben hat. Das war ja nicht so, dass man jetzt, wie das heute immer verbunden wird, mit einer ganz scharfen Lobbyarbeit verbunden war. Sondern das war das Gefühl, in weiten Kreisen, gerade bürgerlicher Kreise, zu sagen, wir müssen diesen Staat aufbauen und dazu gehört die Partei, und wem können wir da was geben – dem Staat, nein, das kann man so nicht machen, also geben wir es den Parteien.
    Detjen: Aber man muss ja sagen, auch im Rückblick, dieses Ausmaß, Missbrauch von Spendenregelungen, an Umgehung von rechtlichen Regeln, an dem, wie es eigentlich sein sollte, das hat es so in der CDU gegeben und in den anderen Parteien nicht.
    Schwarz-Schilling: Na ja, also bei der FDP ist es genauso gewesen. Der Lambsdorff hat ja damals genauso große Schwierigkeiten bekommen. Er ist ja sogar dann zurückgetreten. Also das kann man nicht sagen, das waren die beiden bürgerlichen Parteien.
    Detjen: Das war die Flick-Affäre dann bei der FDP.
    Schwarz-Schilling: Und die SPD hatte natürlich eine ganz andere Situation, weil sie das Altvermögen hatte und die Gewerkschaften im Hintergrund hatte. Sie müssen sich ja mal vorstellen, dass das aktive politische Leben dann von solchen Institutionen wie der Gewerkschaft ganz anders geprägt wurde. Da war ja Geld in großer Zahl vorhanden. Bei der SPD auch das Vermögen von vor dem Krieg noch, was sie ja behalten hat. Also ich meine, da muss man schon die damalige Zeit sehen, um zu sehen, wie gerecht ist denn das alles gelaufen. Und von daher gesehen war es ja auch so, dass im Grunde genommen auch die SPD nicht das Gefühl hatte, jetzt decke ich aber auf, was in der CDU für große Spenden kommen, weil sie ja selber auch weiter natürlich Spenden in entsprechender Weise entgegennahm.
    Unterwegs mit Helmut Kohl
    Detjen: 1976, das ist das Jahr, da wechseln Sie in den Bundestag. Eine Bundestagswahl, eine denkwürdige Bundestagswahl: Die CDU – man muss sich das heute noch mal vor Augen führen – gewinnt 48,6 Prozent. Stärkste Fraktion natürlich, fünf Mandate fehlen zur absoluten Mehrheit. Es ist auch der fulminante Eintritt von Helmut Kohl auf die bundespolitische Bühne, der erste Anlauf auf die Kanzlerschaft. Er war für viele, gerade in der Union damals, ein Hoffnungsträger. Wie haben Sie ihn damals wahrgenommen?
    Schwarz-Schilling: Ich war mit ihm, ich kann schon sagen: befreundet. Wir haben uns kennengelernt bei dem Ausschuss für Wahlrechtsreform während der Großen Koalition. Kohl hatte damals, als ich mich ein bisschen aufregte … ich war also der Vertreter von Hessen, er war von Rheinland-Pfalz, bei den wichtigen Entscheidungen gar nicht dabeisaß und draußen telefonierte und so weiter. Und da sagte ich ihm, Kohl, ich kann gar nicht verstehen, da war jetzt gerade so eine wichtige Diskussion über diesen Punkt, wir haben gerade abgestimmt, und Sie sind jetzt dann da gar nicht dabei. Und da guckte er mich an und sagte: Sie glauben wirklich, dass es zu dieser Wahlrechtsreform kommt? Nein, Herr Schwarz-Schilling, das ist alles, alles nur ein Spiel, was sich hier abspielt, das wird gar nicht kommen, und deswegen habe ich meine Zeit für was Besseres benutzt. Und mit dieser Begrüßung sozusagen haben wir uns dann kennengelernt. Wir sind dann sehr oft in seinen Wagen gestiegen, auf dem Weg dann von Bonn, dann Limburg, dann nach Wetzlar rüber, nach Büdingen und er nach Mainz, und so haben wir also dann uns eigentlich immer weiter näher kennengelernt und auch befreundet.
    Detjen: War das eine Freundschaft auch, wenn Sie sagen, das war ein freundschaftliches Verhältnis?
    Schwarz-Schilling: Ja, ja, sehr. Ja, ich meine, er war natürlich ein Mann, der einen unglaublichen Erfolg hatte, der dann Fraktionsvorsitzender war. Das war ja in der Zeit, als wir uns kennengelernt haben. Dann war er dort Landesvater, also Ministerpräsident, und ich meine, er war ja jemand für mich, wo man sagen muss: Also wir in Hessen, wir versuchen das ja alle, bis heute haben wir es noch nicht erreicht. Wir waren ja nun die große Oppositionspartei, und das war also in Hessen natürlich die Situation, dass dadurch Dregger nicht zum Zuge gekommen ist, genauso wie Kohl im Jahre '76 nicht zum Zuge gekommen ist, weil die FDP sich mit der SPD absolut verbandelt hatte und von daher keine Chance war. Der Kohl war ja noch sehr unschlüssig, ob er überhaupt nach Bonn geht, nachdem diese Situation sich abgespielt hat, ob er nicht Ministerpräsident bleiben will. Was meinen Sie, wie viele Telefongespräche ich mit Kohl geführt habe, denn ich bin ja zum gleichen Jahrgang in den Bundestag gegangen.
    Einführung des Privatfernsehens, um "Rotfunk" entgegenzuwirken
    Detjen: In den späten 70er-, frühen 80er-Jahren wird Christan Schwarz-Schilling zum Medienpolitiker. Es ist der Beginn einer Kommunikationsrevolution. Erklären Sie uns zunächst mal, was war Medienpolitik damals in den 70er-, frühen 80er-Jahren?
    Schwarz-Schilling: Nun, der Öffentlich-Rechtliche hatte sich mehr und mehr zu einem dogmatischen, ideologisch bestimmten Medium entwickelt. Also im Grunde genommen diese ganzen Sendungen, also Talkshows und entsprechende Dinge wie "Monitor", wie sie alle hießen, waren linksgewirkt. Und ich bin ja im ZDF in den Fernsehrat gegangen – es war übrigens auch durch Helmut Kohl, der mich darum gebeten hat –, und wir haben festgestellt, dass wir große Schwierigkeiten hatten, die Ausgewogenheit in unserem eigenen Sender hinzubekommen. Denn da gab es im Grunde genommen auf der einen Seite den Löwenstein – das war also der sehr scharf Konservative –, und dann gab es den Herrn Schwarze, Kennzeichen D, aber noch eine große Anzahl von anderen, sodass wir also auch dort noch sozusagen sehr hart arbeiten mussten, Ausgewogenheit zu haben.
    Detjen: Ja, das war ja die Balance, die damals…
    Schwarz-Schilling: Aber ich konnte sie ja nicht zwischen …
    Detjen: … überall von allen Seiten hergestellt wurde. Und auch in der ARD im Bereich der Landesrundfunkanstalten …
    Schwarz-Schilling: Ja, nee, bei der ARD eben nicht.
    Detjen: … da gab es den WDR, da gab es aber auch einen Bayrischen Rundfunk.
    Schwarz-Schilling: Ja, das war der eine Rundfunk. Die anderen waren sehr, sehr genau mit sich verbandelt. Das war also vom Hessischen Rundfunk, vom WDR, das waren ja ganz gewichtige Sender. Da hatten Sie manchmal wirklich den Eindruck, wenn Sie da das Ding angestellt haben, Sie hören gerade DDR. Also es war ja katastrophal. Das war wirklich Rotfunk, wie er im Buche steht. Und von daher gesehen haben wir gesagt, ich habe das ja dann auch im Inneren sehr genau studiert, bei dem ZDF…
    Detjen: Also Medienpolitik …
    Schwarz-Schilling: … da kann man nichts mehr machen, weil ja das öffentlich-rechtlich die Personalien-Entscheidungen, wie angestellte Beamte waren, sodass wenn Sie nicht den silbernen Löffel gestohlen haben, konnten Sie einen aus einer Redaktion ja noch nicht einmal versetzen. Der blieb dort. Und durch die Ideologie haben Sie immer mehr die gleichen Leute dann in die gleiche Redaktion, sodass Sie dann eine Redaktion hatten, wo von einer Ausgewogenheit keine Rede war. Die CDU war ja auf diesem Feld überhaupt nicht tätig. Wir haben ja gemerkt, wir müssen was tun. Da gab es ja noch die Frage, ob die CDU überhaupt Medienpolitik machen soll oder ob man sich da ganz vornehm zurückhalten soll.
    Detjen: Also Medienpolitik aber war dann im Kern Teil eines politischen, eines parteipolitisch-ideologischen Kulturkampfes –
    Schwarz-Schilling: Ja.
    Detjen: – in einer polarisierten Republik.
    Schwarz-Schilling: Richtig. Und als wir gemerkt haben, dass wir kein Bein mehr auf die Erde bekamen und dass die ganze personelle Situation in den Rundfunkanstalten so war, dass wir nur durch Wettbewerb überhaupt eine Ausgewogenheit herstellen können, da hat sich dann etwas geändert. Und deswegen habe ich, als eines der entscheidenden Punkte, gesagt, wir müssen Wettbewerb einführen auch bei öffentlich-rechtlichen Anstalten, und dadurch kam dann das Private. Da habe ich gemerkt, wir müssen also erst die Technik haben, dass wir mehrere Sender überhaupt bekommen können durch entsprechende Vervielfältigung der Frequenzen. Und deswegen gab es dann die Frage der Verkabelung, deswegen gab es die Frage der Satelliten. Und das hat uns dann langsam dazu geführt, dass wir wieder zu einer Ausgewogenheit kamen. Das war ja dann eines der wesentlichen Punkte auch meiner Postreform, das heißt also damals der Telekommunikationsreform, dass das damit entstehen konnte.
    Die beiden deutschen Postminister Christian Schwarz-Schilling (links) und Emil Schnell (DDR) geben am 17.05.1990 bei der Eröffnung der ersten Postbank-Filiale am Alexanderplatz in Berlin die ersten Postsparbücher persönlich aus
    Die beiden deutschen Postminister Christian Schwarz-Schilling (links) und Emil Schnell (DDR) geben am 17.05.1990 bei der Eröffnung der ersten Postbank-Filiale am Alexanderplatz in Berlin die ersten Postsparbücher persönlich aus (picture alliance/ dpa)
    "Ich habe nie zugesagt, dass wir damit CDU-Sender bekommen"
    Detjen: Das war die Erzählung damals. Es ging bei der Medienpolitik, bei der Öffnung des Fernsehmarktes für private Anbieter, bei der Brechung des, wie es hieß, öffentlich-rechtlichen Monopols damals, um die Herstellung von Vielfalt, von Freiheit, von politischer Ausgewogenheit.
    Schwarz-Schilling: Richtig.
    Detjen: Wenn Sie dann später den Fernseher eingeschaltet haben, Privatfernsehen geschaut haben, wenn Sie sich die Medienentwicklung seitdem angeschaut haben, hatten Sie da manchmal das Gefühl, dass Sie damals einen Geist aus der Flasche gelassen haben, der nicht mit Vielfalt zu tun hat, sondern mit Verflachung, mit Beschleunigung, mit mehr vom immer Gleichen? Ein Geist, den man vielleicht gerne wieder ein Stück zurück hätte in die Flasche?
    Schwarz-Schilling: Nö. Also da muss ich Ihnen, dazu war der Kampf viel zu hart gewesen, um das zu erreichen, als dass man diese Frage sich stellen würde. Ich bin auch gar nicht dieser Meinung. Ich bin der Meinung, dass diese Öffnung eine große Vielfalt tatsächlich in Gang gesetzt hat. Dass aber diejenigen, die jetzt bei der CDU meinten, jetzt kriegen wir CDU-Sender bei den Privaten, und diese Meinung hatte ja auch fast Helmut Kohl, der also dann Leute anschrie und sagt, was ist denn da, was haben wir denn hier eigentlich gemacht. Da hat also auch Helmut Kohl mich manchmal dann zur Brust genommen und gesagt, was haben wir denn da angerichtet? Das ist ja ein ganz, ganz schlimmer Kommentar gegen uns gewesen, der ist jetzt hier von RTL gekommen oder von sonst woher. Und da habe ich gesagt: Ich habe niemals zugesagt, dass wir damit jetzt CDU-Sender bekommen. Ich habe nur gesagt, dass wir damit Ausgewogenheit bekommen, dass es so etwas von anderer Meinung als der linken marxistischen, fast kommunistischen, die wir in Hessen hatten, dass wir das ablösen können durch Ausgewogenheit.
    Detjen: Heute, fast 40 Jahre später, wird wieder über öffentlich-rechtlichen Rundfunk diskutiert, über Medienpolitik, auch in Ihrer Partei. Da ist vom Staatsrundfunk, von Zwangsgebühren die Rede. Wie erleben Sie die heutige Diskussion über dieses duale Mediensystem und über die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darin. Dieses System, das Sie mitbegründet haben?
    Schwarz-Schilling: Ja. Und ich bin stolz darauf, dass ich das mitbegründet habe. Und wenn Sie heute ins Ausland fahren und sich die Fernsehsender anschauen, dann kann ich nur sagen, mein Gott, wie gut, wenn ich wieder nach Deutschland komme, dann kann ich mich wieder richtig informieren, dann kann ich den Sender ansehen und denjenigen, und dann kann ich also auch vernünftige Kommentare hören. Ich finde diese Überkritik, die wir heute haben, absolut unangebracht. Ich finde, wir sollten an den konstruktiven Dingen weiterarbeiten, das ist klar. Man kann es immer noch besser machen, aber dass wir die Grundlagen infrage stellen und dann sagen, ach, warum wollen wir denn überhaupt noch die Gebühren haben oder sowas - da ahnen wir gar nicht, was wir für einen Schatz wegtun würden. Und ich glaube auch nicht, dass das gelingen wird. Und ich habe nicht mehr das Gefühl, dass jetzt in irgendeinem Sender eine bestimmte ideologische Mafia alles bestimmt. Das gibt es nicht mehr.
    Rücktritt wegen der Balkan-Frage
    Detjen: Herr Schwarz-Schilling, Ihre Amtszeit als Bundespostminister endet im Jahr 1992, und das ist erstaunlich: Sie sind zurückgetreten, und der Grund dieses Rücktritts hat eigentlich nichts mit Ihrem Amt zu tun, sondern mit einem ganz anderen Thema, das sich auf die politische Agenda geschoben hat und dann den nächsten Abschnitt Ihres Lebens prägen sollte, über den wir jetzt noch sprechen werden. Da geht es um den Zerfall Jugoslawiens und die Kriege auf dem Balkan. Im Dezember 1992 führt die Politik von Helmut Kohl dazu, dass Sie sagen, diesem Kabinett wollen Sie nicht mehr angehören. Warum?
    Schwarz-Schilling: Es gab im August 1992 die ersten Artikel von Roy Gutman, das war ein amerikanischer Journalist, der ganz offen seine Erfahrungen und seine Berichte in der "Washington Post" und andere hineinbegab und die zum ersten Mal dann in der Welt abgedruckt worden sind, und das habe ich noch während meines Urlaubs in Südfrankreich gelesen. Ich sagte, das kann doch wohl nicht wahr sein: Es gibt wieder KZs, es gibt KZs, die gegenüber Frauen gewesen sind, das waren systematische Vergewaltigungseinrichtungen. Es gab Ermordungen im größten Stil, es gab Vertreibungen, und dann fragte ich mich: Ja, sag mal, in welchem Kontinent lebst du eigentlich? Das kann doch woanders noch passieren, und da ist es schlimm genug, aber hier, 200 Kilometer von München nach Süden, das kann doch wohl nicht wahr sein.
    Detjen: Hatten Sie damals schon eine persönliche Beziehung zu der Region, waren Sie dort gewesen?
    Schwarz-Schilling: Nein, überhaupt nicht, überhaupt nicht. Aber ich hatte natürlich eine persönliche Beziehung zu meinen Weltanschauungen und der Geschichte.
    Detjen: Und Erinnerungen.
    Schwarz-Schilling: Meine Erinnerungen. Und wir hatten auch Schwierigkeiten gehabt mit der Gestapo, und meine Mutter – das hatte sich erst später dann herausgestellt – war Jüdin. Mein Vater hat sehr viele Dinge unternehmen müssen, damit wir das überhaupt überleben und nicht unter die Rassengesetze in entsprechender Weise dem Untergang entgegengehen. Das war schon sozusagen bei mir immer so etwas im Hinterkopf, aber es war nicht zu einer konkreten Entscheidung gekommen.
    Detjen: Auf dem Balkan '92. Wir müssen jetzt noch mal erklären, wie es zu diesem Konflikt, zu diesem Dissens, zu diesem gravierenden Dissens mit Helmut Kohl kommt, der Sie dann zum Rücktritt bewegt.
    Schwarz-Schilling: Ich meine, ich kann Ihnen das sehr genau sagen: Die Auflösung Jugoslawiens hatte ja nun mit uns zunächst mal gar nichts zu tun. Das war eine innerpolitische Sache im Balkan. Dass diese Situation nun dazu führte, dass der Milosevic sich überlegen musste, woran halte ich mich denn jetzt – mit der kommunistischen Ideologie komme ich hier nicht mehr durch. Und was hat er gemacht: Er hat die kommunistische Ideologie durch seine ethnische Ideologie abgelöst und hat gesagt: Alles soll serbisch werden, wo Serben leben. Und wir glaubten das alle gar nicht, dass er das ernst meint, aber er hat es verdammt ernstgenommen. Aber wir haben alle nichts gemacht, obwohl wir das kräftigste und stärkste Bündnis der Welt auf unserer Seite hatten – die NATO.
    "Die FDP hat Kohl im Stich gelassen"
    Detjen: Kohl hatte natürlich Gründe: Für ihn ging es primär um die Einigung Europas in der Zeit damals, er hat gesehen, Frankreich steht –
    Schwarz-Schilling: Nein, nein. Wir hatten … Nein, nein.
    Detjen: – eher an der Seite Serbiens, und er hat eine deutsche Außenpolitik vertreten …
    Schwarz-Schilling: Entschuldigung, das ist jetzt sehr vorgeschützt. Das teile ich überhaupt nicht. Er hatte Gründe, weil er mit seiner eigenen Regierung einen Partner hatte, der ihm absolut in dieser Frage im Stich gelassen hat, und das war die FDP. Die FDP hat sich anschließend noch an die Klage der SPD angeschlossen.
    Detjen: Gegen den Bundeswehreinsatz -
    Schwarz-Schilling: Ja, gegen den Bundeswehreinsatz.
    Detjen: – den das Bundesverfassungsgericht dann legitimiert hat.
    Schwarz-Schilling: Und der deutsche Außenminister war Herr Kinkel. Entschuldigung! Und dieser Außenminister schließt sich in einem Prozess gegen die Bundesregierung an und geht auch noch nach Karlsruhe, um das zu vertreten. Und deswegen kam ich in eine entsprechende Situation mit Helmut Kohl. Ich sagte, das können wir uns doch nicht gefallen lassen!
    Detjen: Sie sind nach Oggersheim gefahren, um mit Kohl drüber zu diskutieren und ihn zu bewegen, die Klärung auch herbeizuführen vor dem Bundesverfassungsgericht.
    Schwarz-Schilling: Ja, genau, ja.
    Detjen: Aber da hat er Sie dann enttäuscht. Da sind Sie ja nicht wegen der FDP … oder sind Sie wegen der FDP zurückgetreten und nicht…?
    Schwarz-Schilling: Nein.
    Detjen: Ich meine, Kohl hatte die Richtlinienkompetenz.
    Schwarz-Schilling: Ich meine, letztlich hat man ja dann auch die Möglichkeit als Kanzler, die Direktiven zu geben, und diese Direktiven hat er nicht gegeben.
    Detjen: Warum?
    Schwarz-Schilling: Weil er Angst hatte vor der … Herr Lambsdorff hatte ja damals sogar schon angedroht, dass das eine Koalitionsfrage wird.
    "Eine Situation, wo Europa absolut versagt hat"
    Detjen: Mit dieser Entscheidung, aus dem Kabinett Kohl auszuscheiden 1992, öffnet sich dann ein neues Kapitel im Leben von Christian Schwarz-Schilling: Sie sind dann selber auf den Balkan gegangen, zunächst als internationaler Streitschlichter, dann werden Sie später Hoher Beauftragter, Hoher Repräsentant in Bosnien und Herzegowina 2006. Im Rückblick – sind Sie zu spät gekommen?
    Schwarz-Schilling: Ich bin schon im Jahr 1993 laufend in Bosnien gewesen. Ich habe mit Bihac einen ganz engen Kontakt gehabt über Satellitentelefon. Weil Bihac ist länger belagert worden als Petersburg bis 95.
    Detjen: 95 kommt dann …
    Schwarz-Schilling: Dayton-Vertrag. Ich war auch in Dayton gewesen, habe auch gesehen, was da alles schiefläuft, hatte auch mit Holbrooke entsprechende Gespräche gehabt damals.
    Detjen: Die Frage, ob Sie zu spät gekommen sind, ist ja auch jetzt nicht nur auf Sie als Person bezogen, sondern Sie bezieht sich auf das Agieren der internationalen Gemeinschaft und die Frage, kam das zu spät.
    Schwarz-Schilling: Nein … Die erste Sache, wo wir durch Roy Gutman die Wirklichkeit kennengelernt haben, da hätte das erste Eingreifen passieren müssen. Das war '92. Als das nicht passierte, war '93 die Situation, dass da der berühmte Elie Wiesel, der Auschwitz-Überlende und Nobelpreisträger, seine Ansprache bei der Eröffnung des Holocaust-Museums in Washington gehalten hat: "Herr Präsident" - das war Clinton, der da vor ihm saß - "wenn Sie nicht bald etwas tun, können wir noch mehrere Holocaustmuseen eröffnen." Und das hat in Amerika dann doch einen sehr starken Eindruck gemacht, und dann hatte er den Warren Christopher, den Außenminister, nach Europa geschickt mit der Sache, wir müssen bombardieren, die Belagerungsringe, damit die Serben merken, es geht so nicht mehr weiter. Und auf der anderen Seite müssen wir das Waffenembargo aufgeben, damit die, die angegriffen werden, wenigstens die Waffen haben, sich selber zu verteidigen. Und alle Länder Europas, inklusive Deutschland, lehnen ab. Die haben ja immer weiterverhandelt, obwohl mit jedem Tag Quadratkilometer und Quadratkilometer erobert worden ist, haben noch nicht einmal gesagt: Schluss mit dem Schießen jetzt. Ich kann Ihnen nur sagen, das war eine Situation, wo Europa absolut versagt hat, und wir als Deutsche. Denn Kohl war für die Aufhebung des Waffenembargos, er war dafür. Er hat es nicht gewagt wegen der FDP.
    Christian Schwarz-Schilling in seiner Funktion als Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina bei einer Pressekonferenz im Jahr 2007 mit dem damaligen bosnischen Premierminister Nikola Spiric
    Christian Schwarz-Schilling in seiner Funktion als Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina bei einer Pressekonferenz im Jahr 2007 mit dem damaligen bosnischen Premierminister Nikola Spiric (AFP/ John Thys)
    "Wir haben die Bosnier im Regen stehen gelassen"
    Detjen: Zum Abschluss: Wie sehen Sie die Situation dort heute? Sie sind dem Land Bosnien-Herzegowina, besonders der Stadt Sarajevo ja heute noch sehr verbunden, Sie haben da eine Wohnung, sind regelmäßig dort, unterrichten an der Universität, aber das Land ist ja nach wie vor ausgesprochen fragil, immer noch einer der potenziellen Konfliktherde mitten in Europa.
    Schwarz-Schilling: Ja wieso soll es das nicht mehr sein, wenn man immerzu die falschen Entscheidungen trifft? Die internationale Gemeinschaft hat ja nichts getan, um die wirklichen Voraussetzungen zu treffen. Wir haben Kolonialpolitik von England und Frankreich geführt, wir haben eine amerikanische Politik geführt. Die Amerikaner, die einmal wollen, und dann, wenn sie irgendwo auf Widerstand stoßen, sagen, ja, dann wieder besser nicht. Man kann es verstehen, weil sie natürlich gegen ihre Bündnispartner, die ja alle in Europa sitzen, nicht wirklich handeln können, denn das wäre die Spaltung der NATO geworden.
    Detjen: Die Westbalkanpolitik sowohl der EU-Kommission als auch der neuen Großen Koalition guckt auf die Länder, denen sie Beitrittsperspektiven für die Europäische Union anbietet. Serbien gehört dazu, Montenegro, dann in Zukunft wahrscheinlich auch Mazedonien und Albanien. Wie sehen Sie das? Überhebt sich die Europäische Union da mit Ländern, die noch weit davon entfernt sind, weit, weit davon entfernt sind?
    Schwarz-Schilling: Sie sind weit davon entfernt. Von Rechtsstaat kann man hier gar nicht reden. Das ist eine rein politische Sache, und diese rein politische Sache wird, weil sie auf falschen Voraussetzungen ruhen, nicht gelingen. Sie müssen sich vorstellen, was das jetzt psychologisch für diese ganzen Menschen bedeutet. Wir haben die Bosnier im Regen stehen lassen, wir haben sie nicht beschützt, und wir haben ihnen nicht einmal die Waffen erlaubt, sich selber zu schützen. Und da haben sie dann das Dayton bekommen, und dann haben sie jetzt, als diejenigen, die die Angegriffenen waren, diejenigen, die erobert worden sind damals, das sind jetzt diejenigen, die am letzten nach Europa kommen. Und die Serben sind die Klügsten heute. Sie machen die beste Politik, sie sind überlegene Politik, und sie werden dadurch auch die Sieger werden, so wie sie es vorher bei Milosevic beabsichtigt haben, allerdings mit katastrophalen Mitteln. Heute mit guter Diplomatie, mit Klugheit und Ausdauer. Und diese Ausdauer in einem Schachspiel, wo man weiß, es gibt nicht nur den nächsten Zug, sondern es gibt noch zwei, drei, vier weitere Züge, die ich rechtzeitig mir überlegen muss, dieses entbehrt jeglicher Spielfreude auf der europäischen Seite. Und die Amerikaner sind es auch leid und haben gesagt, das ist ja schließlich der europäische Hinterhof hier und nicht unserer. Insofern kann man alle verstehen, nur die Europäer werden es selber unglaublich stark spüren, denn wir haben eben heute eine Situation, dass wir nicht sagen können, dass eine Europäisierung Bosniens oder des Westbalkans entsteht, sondern es entsteht eine Balkanisierung Europas. Das wird das Ende der Sache sein, wenn wir nicht irgendwann einmal uns dazu aufraffen, diese Fragen wirklich richtig im Sinne unserer eigenen Werte in Bosnien-Herzegowina und in dem Westbalkan zu lösen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.