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Christian Wulff
Ehrenbürgerwürde für den verlorenen Sohn?

Die Stadt Osnabrück diskutiert, ob sie Ex-Bundespräsident Christian Wulff nach seinem Freispruch zum Ehrenbürger machen soll. Sowohl im Stadtrat als auch in der Bevölkerung sind die Meinungen geteilt. Für Wulff selbst selbst wäre es ein weiterer Schritt aus der Isolation.

Von Alexander Budde | 19.06.2014
    Ex-Bundespräsident Christian Wulff bei der Buchpräsentation "Ganz oben Ganz unten"
    Ex-Bundespräsident Christian Wulff bei der Buchpräsentation "Ganz oben Ganz unten". (picture alliance / dpa / Foto: Wolfgang Kumm)
    Im Friedenssaal des Osnabrücker Rathauses erinnern Porträts an die 42 Gesandten und Könige, die hier 1648 ihren Frieden schlossen. Weitgereiste Besucher schleichen an diesem Morgen durch den Raum. Sie mustern die in Öl gebannten Gesichter der Friedensmacher: Da sind der französische Sonnenkönig Ludwig XIV., der deutsche Kaiser Ferdinand III., Königin Christina von Schweden, die mit einer Unterschrift den Dreißigjährigen Krieg beendeten.
    "Waren das alles die Herrschaften, die zusammen saßen, an einem Tisch, und sagten: Jetzt hören wir auf?" - "Die saßen hier auf der Bank wahrscheinlich - und haben sich alle gegenseitig übertönt."
    Ein paar Schritte weiter, in den Fraktionszimmern des Rathauses, ist die Politik auch heute bemüht, unter eine leidige Affäre einen Schlussstrich zu ziehen. Und wieder sind der Stimmen viele - leise und laut.
    "Ich kenne niemanden, der in den letzten Jahrzehnten so gejagt worden ist und so erniedrigt und gedemütigt worden ist wie Christian Wulff. Und der jetzt, mit einem glatten Freispruch auch Recht darauf hat, dass man jetzt mal im Rückblick überlegt: Was ist schiefgelaufen? Lässt sich die Justiz durch Medien instrumentalisieren? Das ist die eine Frage. Und die andere Frage ist: Wie kann man die verlorene Ehre des Christian W. wiederherstellen?"
    Fritz Brickwedde nennt Christian Wulff seinen Freund. Der Vorsitzende der CDU-Stadtratsfraktion erzählt, wie er diesen im steilen Aufstieg zum Staatsmann reifen und durch beispiellose Intrige in eine Unperson verwandelt sah. 1986 wird Wulff Ratsherr seiner Heimatstadt Osnabrück. Drei Anläufe braucht er aus den Niederungen der Provinz heraus, um Ministerpräsident von Niedersachsen zu werden, ähnlich wie es dreier Wahlgänge bedarf, um Bundespräsident zu werden. Es folgen: Korruptionsvorwürfe, Rücktritt, Prozess, schließlich der Freispruch. Brickwedde, der treue Weggefährte, hält die Zeit nun reif, ein neues Kapitel aufzuschlagen.
    "Für mich war klar, dass das Urteil so ausfallen wird, weil ich Christian Wulff seit 40 Jahren kenne. Aber jetzt, meine ich, muss es auch mal gut sein! Jetzt muss man mal würdigen, was seine Leistungen sind! Und auch darüber nachdenken, ob Christian Wulff - wie praktisch alle Bundespräsidenten - Ehrenbürger seiner Heimatstadt wird."
    Brickwedde erinnert an die Fördermittel für Zoo und Kinderhospital, für die sich Wulff erst als Landtagsabgeordneter, später als Ministerpräsident mit Inbrunst eingesetzt habe. Mit seinem Werben für die Einrichtung eines Islam-Lehrstuhls habe er viel für das Miteinander der Konfessionen getan. Vor allem aber sei es Wulff zu verdanken, dass sich Volkswagen in der Stadt angesiedelt habe, nachdem der Cabrio-Bauer Karmann zuvor pleite gegangen war. Tausende Arbeitsplätze seien so am Traditionsstandort gerettet worden.
    "Es war ja so, dass Porsche Volkswagen unfreundlich übernehmen wollte. Und das konnte verhindert werden, weil Herr Piech, Herr Winterkorn, Christian Wulff, der Betriebsrat dem massiv widerstanden haben. Ohne das Land Niedersachsen mit seinem 20-Prozent-Anteil an Volkswagen, ohne Christian Wulff an der Spitze des Aufsichtsrates wäre diese Abwehrschlacht nicht gelungen. Und im Gegenzug hat Christian Wulff natürlich sich für Osnabrück eingesetzt. Und ich weiß aus direkter Quelle in Wolfsburg, dass ohne das Engagement von Christian Wulff es VW in Osnabrück nicht geben würde."
    Verwerfliches Verhalten?
    Was immer wieder Gegenstand journalistischer Recherchen war und schließlich auch die Staatsanwälte auf den Plan rief, die Problemlösung auf dem kurzen Dienstweg nämlich, hält Thomas Thiele, FDP-Fraktionschef im Stadtrat, für keineswegs verwerflich:
    "Wir haben verlernt, zwischen den Zeilen zu lesen. Ich denke immer, wir müssen den Menschen auch noch ein bisschen Spielraum lassen zum Arbeiten. Hier wurde einfach der Stein zweimal zu viel gewendet!"
    Ist mit dem rechtskräftigen Freispruch tatsächlich auch nach politischen Maßstäben geheilt, was mit größtem Eifer recherchiert, aufgedeckt und ermittelt worden ist? Frank Henning, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Stadtrat, bezweifelt das.
    "Grundsätzlich bin ich schon der Meinung, dass Wirtschaft und Politik zusammenkommen muss, aber die Nähe, so wie er sie gepflegt hat, die war dem Amt schädlich. Und mein Hauptproblem mit der Ehrenbürgerschaft ist, dass er damals in seiner Funktion als Ministerpräsident den Landtag belogen hat. Und wer gelogen hat vor dem niedersächsischen Landtag, kann eigentlich nicht Ehrenbürger von Osnabrück werden!"
    Seit 1831 verleiht der Magistrat die besondere Auszeichnung. Dahinter steckt auch die Absicht, ein wenig von dem Glanz des Dekorierten, etwa des Reichskanzlers Otto von Bismarck, möge auf das Gemeinwesen übergehen. Weitere Würdenträger machten sich um Hygiene, Gesundheit und Armenpflege verdient. Der langjährige Oberbürgermeister, Hans-Jürgen Fip, Jahrgang 1940, ist der letzte noch lebende Ehrenbürger der Friedensstadt. Als Vorsitzender des Verkehrsvereins hatte der Sozialdemokrat Fip 2011 Wulff als Ehrenbürger vorgeschlagen. Kurz darauf wurden die Korruptionsvorwürfe laut. Wulff musste vor Gericht. Das Vorhaben wurde auf Eis gelegt.
    Ist Wulff nun aller Ehren wert? In den Gassen der Altstadt ist die Stimmung geteilt.
    "Ich halte das nicht für eine gute Idee! Der hat sich ja - selbst wenn er freigesprochen worden ist - in diese Situation hineinmanövriert. Hier ein bisschen was annehmen, dort ein bisschen was annehmen, selbst wenn es rechtlich in Ordnung ist. Sollte man nicht machen!"
    "Ich hätte mir gewünscht, man hätte ihm das schon etwas früher angetragen. Er kommt aus dieser Stadt, ist hier aufgewachsen, mit meinen Töchtern zur Schule gegangen. Er war für die Stadt immer ein Freund gewesen. Und in der Not hätte man ihm das besser antragen sollen. Es hätte ihm einen gewissen Trost gegeben."
    Eigentlich, so versichern sämtliche Beteiligten im Stadtrat, die sich so freimütig äußern, sei es ja gänzlich unangemessen, die Debatte um die Ehrenbürgerschaft auf dem Basar der Meinungen zu führen, bevor es nach guter Sitte eine Einigung der Fraktionen gegeben hat. Doch nun ist Eile geboten. Ein Beispiel für Diskretion war die Causa Wulff noch nie. Christian Wulff würde sich über die Geste freuen, so verlautet aus seinen Kreisen. Die Ehrenbürgerschaft wäre ein weiterer Schritt heraus aus der Isolation.