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Christian Wulffs "grobe Irreführung"

Bundespräsident Christian Wulff sei selbst Anhänger der These, dass Politiker Vorbilder sein müssten, sagt Julian Nida-Rümelin (SPD). Im vorliegenden Fall habe er etwas gesagt, was nicht falsch sei, die Leute aber trotzdem in die Irre geführt habe.

Julian Nida-Rümelin im Gespräch mit Jasper Barenberg | 15.12.2011
    Jasper Barenberg: Ein kostenloses Upgrade in die Business Class, ein Urlaub in der Ferienwohnung des umstrittenen Unternehmers Carsten Maschmeyer, schließlich der günstige Kredit über 500.000 Euro von der Ehefrau eines befreundeten Geschäftsmannes – die Integrität von Christian Wulff wird nicht zum ersten Mal in Frage gestellt. Der Vorwurf jetzt: noch in seiner Zeit als Ministerpräsident von Niedersachsen habe er den Landtag getäuscht, weil er in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage den Privatkredit verschwieg.
    Hat Christian Wulff das Private und das Berufliche finanziell nicht sorgfältig genug voneinander geschieden? Welche Maßstäbe kann man anwenden, muss man anwenden an einen Spitzenpolitiker wie ihn, und vielleicht ganz besonders, wenn er jetzt das Amt des Bundespräsidenten bekleidet? – Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen mit dem Philosophen Julian Nida-Rümelin, der auch Mitglied im Vorstand der SPD ist. Einen schönen guten Morgen.

    Julian Nida-Rümelin: Ja guten Morgen!

    Barenberg: Herr Nida-Rümelin, Christian Wulff hat geschäftliche Beziehungen zum Unternehmer Egon Geerkens bestritten, die finanziellen Beziehungen zu dessen Ehefrau jedoch nicht erwähnt. Danach war er aber ja auch gar nicht gefragt worden. Hat sich Christian Wulff insofern nicht vollkommen korrekt verhalten?

    Nida-Rümelin: Ja, die Auskunft war offenkundig korrekt, soweit man die Vorgänge da weiß. Christian Wulff ist selbst Anhänger der These, das hat er mehrfach betont, dass Politiker Vorbilder sein müssen, in welchem Amt auch immer, speziell auch im Amt des Bundespräsidenten. Ich bin nicht dieser Auffassung. Ich glaube, wir leben in einer Demokratie, die erwachsene Menschen voraussetzt, die selbst urteilsfähig sind, und das ist im Grunde eine vordemokratische Vorstellung. Aber ich bin sehr Anhänger der These, dass Politiker wahrhaftig agieren müssen. Die Öffentlichkeit, da ist die Situation sowieso generell sehr schwierig zu beurteilen. Die professionelle Politik hat gerade deswegen eine ganz besondere Verpflichtung, die Menschen nicht im Unklaren zu lassen. Und eine solche Auskunft – ich habe mal vor Jahren einen Artikel in der "Zeit" geschrieben und gesagt, man kann mit der Wahrheit lügen, man kann die Wahrheit sagen, etwas sagen, was nicht falsch ist, und trotzdem die Leute in die Irre führen, und das ist in diesem Fall ganz offenkundig geschehen.

    Barenberg: Christian Wulff hat die Öffentlichkeit, hat das Parlament in die Irre geführt, und damit ist er kein wahrhaftiger Politiker?

    Nida-Rümelin: Ja, das muss man so sagen. Das ist in dem Fall schon eine grobe Irreführung, weil die Debatte damals im niedersächsischen Landtag ging ja darum, ob es über die Freundschaft hinaus besondere Beziehungen gibt, die wirtschaftliche Dimension haben. Das ist rein juristisch so formuliert worden, dass in der Tat das jetzt offenbar kein Problem darstellt, aber das ist eine geschäftliche Beziehung zur Ehefrau, einen Kredit von 500.000 Euro aufzunehmen, und warum sagt man denn das nicht. Ich meine, wenn daran nichts Übles ist, kann man das doch auch sagen. Die Tatsache, dass kurz nach der Anfrage Christian Wulff dann doch diesen Kredit aufgelöst hat und zu einer baden-württembergischen Bank gegangen ist, die dem Staat Baden-Württemberg gehört, die eigentlich ganz andere Zuständigkeiten hat, das alles hat schon mindestens ein Geschmäckle.

    Barenberg: Der, jetzt muss man ja sagen, frühere Unternehmer Egon Geerkens hat jetzt gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" den Bundespräsidenten noch einmal in Schutz genommen. Er hat unter anderem ja auch darauf verwiesen, dass er Christian Wulff mindestens 34 Jahre lang kennt, dass er bereits mit dem Vater von Christian Wulff befreundet gewesen ist, und dass insofern der Kredit, den seine Frau Christian Wulff zur Verfügung gestellt hat, ein rein privates Darlehen gewesen ist, eine Privatangelegenheit insofern. Muss ein Politiker, ein Ministerpräsident über solche Privatangelegenheiten die Öffentlichkeit informieren?

    Nida-Rümelin: Nein. Ich bin zunächst einmal ganz strikter Anhänger der Trennung von Privat und Politisch und Öffentlich. Es sind insbesondere die Medien, die das gegenwärtig versuchen zu unterlaufen. Liebschaften haben nichts zu tun mit dem politischen Amt, Freundschaften haben nichts zu tun mit dem politischen Amt, und das ist eine Fehlentwicklung und ich rufe auch Politik und Medien auf, das zu ändern, dass das zunehmend vermengt wird. Ich kenne die Verhältnisse in den USA, ich kenne die Verhältnisse in Italien, ich weiß, wohin das führt, das ist eine Katastrophe für die Politik, weil auch dann seriöse Menschen nicht mehr bereit sind, in die Politik zu gehen, wenn sie sich sozusagen entblößen müssen bis in alle Details, wie das jetzt gerade im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf vorexerziert wird. Also strikte Trennung von Privat und Politisch. Aber alles was relevant ist für das politische Amt, was relevant sein könnte für das politische Amt, das muss die Öffentlichkeit auch wissen können. Und in dem Fall ging es um einen Flug nach Florida, wie Sie sich erinnern, einen Aufenthalt bei einem Unternehmer. Wenn das nicht relevant ist, wenn es dadurch keine Abhängigkeit gibt, eine wirtschaftliche, ökonomische Abhängigkeit, ja dann kann man das doch sagen. Dann kann man doch offenlegen, um was es sich handelt, und dann sind die Dinge ja auch geklärt. Jedenfalls anständige Politiker auch der Opposition hätten dann sagen müssen, gut, das überzeugt uns, hier besteht keinerlei Verquickung von Interessen.

    Barenberg: Was ich jetzt noch nicht ganz verstanden habe, Herr Nida-Rümelin: Sie haben von der strikten Trennung gesprochen von Privatem und Politischem und plädieren doch dafür, das private in diesem Fall eines Ministerpräsidenten, der sich einen günstigen Kredit besorgt von einem wohlhabenden Freund beziehungsweise von dessen wohlhabender Frau, dass er das öffentlich machen muss.

    Nida-Rümelin: Nein, das muss er nicht öffentlich machen. Aber wenn er befragt wird und wenn da ja ein Anlass dazu bestand, er hat nun offensichtlich Vergünstigungen angenommen, so wurde das jedenfalls interpretiert - da gab es ja auch noch diese Upgrading-Geschichte, die ich noch für viel harmloser halte als diese Kreditgeschichte; aber wie auch immer: dafür hatte sich ja Christian Wulff sogar entschuldigt gehabt -, in dem Moment ist ein Klärungsbedarf entstanden, und dann kann man dem nicht in einer Weise nachkommen, dass die Öffentlichkeit irregeführt wird. Das ist damals geschehen.

    Barenberg: Wenn wir noch mal kurz auf diesen Privatkredit schauen. Es heißt ja, dass er vier Prozent Zinsen statt der marktüblichen fünf Prozent damals bekommen hat. Insofern ist ja da auch ein Vorteil, steckt da ein geldwerter Vorteil drin. Aber das würden Sie strikt trennen, weil das ist seine Privatangelegenheit?

    Nida-Rümelin: Ja, unbedingt. Ich meine, das ist ja offenbar eine lange Freundschaft. Die Eltern oder der Vater von Christian Wulff war ja schon befreundet mit dem Unternehmer. Selbst wenn es zinslos gewährt worden wäre, sehe ich da zunächst kein Problem. Allerdings in dem Moment – er war damals niedersächsischer Ministerpräsident -, wo der Unternehmer Geerkens dann wiederum Vorteile bekommt vom Ministerpräsidenten, dann wird es wieder natürlich öffentlich relevant. Das ist nicht nur, wenn Kredite gegeben werden, auch Freundschaften werden öffentlich relevant. Wenn Herr Geerkens mehrfach auf Auslandsflüge mitgenommen wird und es dafür keinen nachvollziehbaren Grund gibt, außer dem, dass es eine solche Freundschaftsbande gibt, oder dass es einen solchen Kredit mit der Familie Geerkens gibt, dann ist das wieder politisch öffentlich relevant. Liebschaften sind das nicht, Freundschaften sind das zunächst nicht.

    Barenberg: Der Philosoph Julian Nida-Rümelin, Mitglied im SPD-Vorstand. Herr Nida-Rümelin, danke für das Gespräch heute Morgen.

    Nida-Rümelin: Ja, vielen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.