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Christiane Grefe, Matthias Greffrath, Harald Schumann: Attac. Was wollen die Globalisierungskritiker?

"Attac. Was wollen die Globalisierungskritiker?" - So lautet kurz und knapp der in eine Frage gekleidete Titel eines Rowohlt-Bandes, der sich mit dieser neuen, international vernetzten Protest-Bewegung beschäftigt.

Christina Janssen | 30.09.2002
    "Entwaffnet die Märkte!" - Unter diesem Titel veröffentlichte der Chefredakteur von Le Monde Diplomatique, Ignacio Ramonet, im Dezember 1997 ein flammendes Manifest:

    Der Wirbelsturm, der die asiatischen Geldmärkte verwüstet, bedroht die ganze Welt. Die Globalisierung des Anlagekapitals schafft universelle Unsicherheit. Sie verhöhnt nationale Grenzen und schwächt die Macht der Staaten, die Demokratie, den Wohlstand und das Glück ihrer Völker zu sichern.

    Leidenschaftlich prangerte Ramonet im Leitorgan der gauche rouge, der undogmatischen französischen Linken, die Schattenseiten der Globalisierung an. Sein Artikel gipfelte in jener zentralen Forderung, die die globalisierungskritische Bewegung bis heute eint: in der Forderung nach einer...

    ... Association pour la Tax Tobin pour l’aide aux citoyens; abgekürzt: attac.

    Eine Vereinigung also, die sich für die sogenannte Tobin-Tax einsetzen sollte. Mit dieser weltweit zu erhebenden Spekulationssteuer könnten die Finanzmärkte gezügelt, mit den Einnahmen die Entwicklungshilfe gefördert werden, so die Idee. Ramonets Aufruf fand Gehör. Mehr als 5000 Leserbriefe gingen in der Redaktion ein; am 3. Juni 1998 wurde in Paris Attac gegründet. In ihrem Buch verfolgen die drei ausgewiesenen Fach-Journalisten Christiane Grefe, Mathias Greffrath und Harald Schumann die Entwicklung dieser globalen Bewegung von den Anfängen bis heute. Harald Schumann, Redakteur bei Spiegel online, legt im ersten Teil des Buches dar, warum die Globalisierung - auch aus seiner Sicht - der falschen Strategie folgt. Der Publizist Mathias Greffrath schildert die Genese der völlig neuartigen internationalen Protestbewegung; und schließlich beschreibt Zeit-Redakteurin Christiane Grefe, wie Attac sich in Deutschland organisiert. Hierzulande zählt die Bewegung inzwischen knapp 9000 Mitglieder. Weltweit ist Attac in rund 30 Ländern vertreten. Auch Prominente, Politiker und Intellektuelle unterstützen das Netzwerk: darunter Popstar Manu Chao, US-Wissenschaftler Noam Chomsky, Oskar Lafontaine, Konstantin Wecker, der Schweizer Soziologe Jean Ziegler oder - bis zu seinem Tod vor einigen Monaten - der französische Philosoph Pierre Bourdieux. Jean Ziegler bezieht immer wieder polemisch Stellung - für Attac und gegen den neoliberalen "Raubtierkapitalismus", wie er ihn nennt:

    Heute ist das Wort Globalisierung ein totales Negativwort für alle, die sich den Werten der Solidarität, der Demokratie verantwortlich fühlen. Weil die Söldnerorganisationen des internationalen Finanzkapitals, der Weltwährungsfonds, die Weltbank und die WTO, die reden vom Horizont des stateless global government, das heißt, ihr Traum ist es, eine Welt zu schaffen, wo sich die Märkte selbst regulieren, also staatliche Normativität, Gewerkschaften, soziale Bewegungen, werden als störend gesehen.

    Die mitunter diffuse Argumentation der Globalisierungskritiker, ihre teils radikal-ideologischen Verbalattacken gegen Weltbank, Internationalen Währungsfonds und Welthandelsorganisation versuchen Grefe, Greffrath und Schumann mit Fakten zu untermauern. Und da liest sich manches, das zunächst trocken klingt, plötzlich wie ein Krimi. Etwa wenn Harald Schumann schildert, wie die Internationalen Finanzinstitutionen während der Asienkrise Ende der 90er-Jahre die so genannten "Tigerstaaten" Indonesien, Malaysia, Thailand und Südkorea zur Kooperation nötigten – die Konsequenzen waren für diese Länder bekanntlich fatal. Der Fall Indonesien also: Harald Schumann beschreibt das Hilfsprogramm des IWF:

    Nicht nur sollte das Land den Aufbau eigener Flugzeug- und Automobilindustrien aufgeben, auch der Export von Holz, der wichtigsten Ressource des Landes aus den Regenwäldern, sollte für Auslandsunternehmen geöffnet werden.

    Der indonesische Staatschef Suharto und seine Unterhändler gingen zunächst nur zum Schein auf die Forderungen ein und verweigerten anschließend nach Kräften die Umsetzung, schreibt Schumann weiter. Schließlich aber musste Indonesien sich fügen:

    Auf Geheiß des IWF schlossen 16 der schwächeren Banken über Nacht ihre Schalter. Die Folge war ein Ausbruch von Panik in der Stadtbevölkerung von Jakarta. (...) Sofort bildeten sich Schlangen vor allen noch geöffneten Schaltern der übrigen über 100 Kreditinstitute, mehrere Millionen Menschen forderten gleichzeitig ihre Spareinlagen zurück. (...)

    Das Chaos, das der IWF in Indonesien mit weiteren Auflagen anzettelte, endete so:

    Die darauf folgenden, willkürlichen Preissprünge provozierten landesweite Unruhen und schließlich die Revolution in Jakarta. Am Ende, sieben Monate nach Beginn ihrer Rettungsaktion, konnten die IWF-Experten ihr Heil nur noch in der Flucht suchen. Vorbei an brennenden Barrikaden und umgestürzten Militärlastern erreichten sie im Morgengrauen des 14. Mai 1998 mit Mühe einen Militärflugplatz, von wo eine eigens georderte Chartermaschine sie außer Landes schaffte.

    Attac will die hier zutage tretenden Wechselwirkungen und Zusammenhänge einer möglichst breiten Öffentlichkeit nahe bringen, erklärt die in Frankreich lebende US-Autorin Susan George, eine profilierte Kritikerin der neoliberalen Globalisierung:

    Ein großer Teil unserer Arbeit, zumindest in Frankreich, besteht darin, zu erklären, wie die mächtigen, internationalen Institutionen funktionieren, wie die Finanzmärkte und transnationale Konzerne funktionieren. Denn heutzutage ist man überhaupt nicht in der Lage zu handeln, wenn man diese komplizierten Sachverhalte nicht versteht. Früher, da hat es gereicht zu sagen: Stoppt Apartheid, Oder: Amerikaner raus aus Vietnam! Und jeder wusste, worum es geht. Aber heute ist alles komplizierter, die Welt ist tatsächlich globaler geworden - und so braucht unser Projekt eben ein bisschen Zeit.

    Zu diesem Projekt trägt das vorliegende Buch natürlich auch bei, als eine Art Mini-Nachschlagewerk. Wer wissen möchte, wie die Politik von Weltbank, IWF und Co. in der Praxis aussehen, findet hier eine plastische, teils erschreckende, teils natürlich auch zugespitzte Schilderung. So dient der schmale Band nicht zuletzt all jenen als Argumentationshilfe, die mit Attac sympathisieren. Von der ursprünglichen Konzentration auf die transnationalen Finanzmärkte ist Attac inzwischen abgerückt. Gerade in Deutschland hat sich das Programm stetig erweitert. Bildungs- und Gesundheitspolitik stehen plötzlich ebenso auf der Agenda wie Ökologie und Irakfrage. Grefe, Greffrath und Schumann möchten Attac in eben dieser Vielschichtigkeit, Widersprüchlichkeit und überbordenden Lebendigkeit darstellen. Und das gelingt ihnen auch. Gewiss: Das Buch ist mit unverhohlener Sympathie für die Attac-Akteure und ihre Anliegen geschrieben. Und da schleicht sich hier und da ein apellativer Duktus ein. Insgesamt aber ist die Lektüre für jeden ein Gewinn, der sich dem Phänomen Attac annähern und es ergründen möchte. Es ist schnell gelesen, unterhaltsam, informativ - und irgendwie stimmt das Buch sogar optimistisch: Denn wer über eine vermeintliche Politikverdrossenheit in Deutschland klagt, dem beweisen Attac und seine Aktivisten das Gegenteil.

    Christina Janssen besprach: Christiane Grefe und andere: "Attac. Was wollen die Globalisierungsgegner?" 12,90 Euro kostet das bei Rowohlt in Berlin erschienene Buch. Es hat 222 Seiten.