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Christliches Abendland
"Orbán vergiftet die Seele der Ungarn"

Die Philosophin Agnes Heller zählt zu den schärfsten Kritikern des ungarischen Regierungschefs. Von Orbán lernten die Menschen hassen, sagte sie im Deutschlandfunk. Wer nach dem Aufstand vor 60 Jahren aus Ungarn floh, sei im Ausland mit Respekt behandelt worden. Davon könne man lernen.

Von Klaus Prömpers | 24.10.2016
    Die ungarische Philosophin Ágnes Heller; Aufnahme vom Dezember 2011
    Die ungarische Philosophin Ágnes Heller; Aufnahme vom Dezember 2011 (picture alliance / dpa)
    Die ungarische Philosophin Agnes Heller, 87 Jahre alt, spricht nahezu perfekt deutsch: Ihre Großmutter war Österreicherin, ihr Vater wurde in Wien geboren. Die aktuelle Entwicklung um Ministerpräsident Viktor Orbán sieht sie mit großer Sorge. Wie Fremdenfeindlichkeit in Ungarn geradezu kultiviert und politisch verwendet wird, das erbost sie zutiefst. Eine natürliche Scheu vor Fremden werde von Orban missbraucht: "Das ist eine natürliche Einstellung, dass verschiedene Menschen den anderen immer verdächtig sind. Weil sie anders sind, weil sie ihre eigene Lebensweise infrage stellen", sagt Heller. "Aber Regierungen können das vermindern. Und wenn man es vermindert, dann werden die Menschen Gastfreundschaft lernen. Aber wenn man sie nicht vermindert, sondern im Gegenteil, sie in Aggressivität verwandelt, dann werden die Menschen lernen zu hassen und Orbán vergiftet die Seele der Ungarn, weil sie von ihm hassen lernen."
    Viktor Orbán argumentiert bei seiner Flüchtlingspolitik, das christliche Abendland zu verteidigen gegen die Muslime. Wächst da ein Antiislamismus in Ungarn? Agnes Heller bezweifelt das : "Es ist kein Antiislamismus. Die Menschen haben überhaupt keine Ahnung, außer den Intellektuellen, was Islamismus ist. Die Menschen sind gegen Fremde, Fremde sollen nicht nach Ungarn kommen."
    So zumindest redet es die Regierung ihnen ein. Und sie stützt sich dabei auf die tausendjährige Tradition des Christentums in Ungarn. Diese Tradition gelte es zu verteidigen, in Ungarn und für Europa. So wird Viktor Orbán, der Ministerpräsident, nicht müde zu argumentieren.
    "Religion bedeutet für sehr wenige Menschen etwas"
    Heller sagt: "Das ist sehr schön, wenn er argumentiert. In Ungarn sind überhaupt keine religiösen Menschen. Ungarn ist, ich möchte nicht sagen "atheistisch", aber doch ein nicht glaubendes Land. Das heißt, Religion bedeutet für sehr wenige Menschen etwas in Ungarn."
    Orban, der angeblich bekennende Calvinist, nutzt immer wieder die Religion, das Christentum, als Argument in seiner Ablehnung der Fremden. Ist all das also Meinungsmache, Propaganda?
    "Natürlich Propaganda. Orbán weiß, welche Losungen für Propaganda richtig sind. Er verteidigt Europa. Nicht Europa verteidigt Europa. Er verteidigt Europa gegen Terror, gegen Islam, gegen die Menschen, die alle Frauen vergewaltigen. Das ist auch eine Art der Propaganda. Er ist so ein Macho."
    In wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeiten ziehen solche Slogans, so beschreibt Agnes Heller die Situation. Und das gelte ja nicht nur für Ungarn. In Deutschland, in Österreich, in Frankreich muß man ähnliche Entwicklungen beobachten. Ihr Idee, wie dem steigenden Rechtspopulismus begegnet werden kann: Es gilt, Frustrationstoleranz zu lernen. Und da fiele den Kirchen eine besondere Verantwortung zu.
    "Die ungarische Kirche liebt Papst Franziskus überhaupt nicht, die Führer haben keine positive Meinung von ihm"
    Das Beispiel Italiens zeigt Agnes Heller: Die klare Botschaft von Papst Franziskus hilft beim Umgang mit den Flüchtlingen.
    Sie sagt: "Franziskus tut alles, was er tun kann. Ich glaube, in Italien hat er doch einen Einfluss gehabt. In Italien ist man viel freundschaftlicher gegenüber den Flüchtlingen, als in anderen Ländern von Europa. Aber, was die Ungarn betrifft: Die ungarische Kirche liebt Franziskus überhaupt nicht. Die Führer der katholischen Kirche haben keine sehr positive Meinung vom Papst. Und der Papst kennt doch Europa nicht, er ist kein Europäer."
    Agnes Heller schwankt zwischen Pessimismus und Realismus, wenn es um die Lage in ihrer Heimat geht. Sie hofft auf eine Zeit nach Orbán, wenn Flüchtlingen mit Respekt begegnet wird, wie einst den ungarischen Flüchtlingen nach dem Aufstand von 1956.