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Christopher Ecker: Käpt’n Eichhörnchen
Auch stilistisch die Grenzen ausloten

Für Kinder und Jugendliche sei es viel einfacher, später anspruchsvolle Literatur zu lesen, wenn sie schon früh mit den Erzählweisen der Erwachsenenprosa konfrontiert würden, sagte der Schriftsteller Christopher Ecker im Deutschlandfunk. Er selbst schätze Kinderbücher, die stilistisch Grenzen ausloten.

Christopher Ecker im Gespräch mit Tanya Lieske | 17.01.2015
    Bücher stehen in einer Kiste vor einem Antiquariat in Berlin
    Kinder sollten früh alle Facetten der Literatur kennenlernen, meint der Schriftsteller Christopher Ecker.. (picture alliance / dpa / Foto: Wolfram Steinber)
    Tanya Lieske: Käpt’n Eichhörnchen ist ein Pirat, seine Beute sind Nüsse, aber er ist unsichtbar, vor allem in Vollmondnächten kann man durch ihn hindurchschauen: Käpt‘n Eichhörnchen ist ein Gespenst. Er segelt auf einem Schiff, dessen Steuermann, ein Wombat, ziemlich genial ist, er kann die Himmelsrichtungen riechen, aber er hat ständig kalte Ohren, lässt sich nicht gerne mit Pudelmütze erwischen. Ein Steuermann mit einem handfesten Matrosenkomplex also. Das dazu gehörige Bilderbuch heißt: "Käpt'n Eichhörnchen und die Zaubertür". Es ist ein Buch, das mit den Tropen und den Topoi der Piratengeschichte spielt. Geschrieben hat es Christopher Ecker, und weil es in Ihrem Werk, Herr Ecker, jede Menge Zaubertüren, Falltüren, Takelagen und schwankende Erzähler gibt, habe ich Sie heute ins Studio gebeten und werde versuchen, etwas Licht in ihr Erzähldickicht zu bringen, herzlich willkommen!
    Herr Ecker, Sie sind selbst ein Mann mit mehreren Leben. Sie waren Journalist, sind Kritiker, sind Lehrer, haben als Autor erst leiser, dann mit großem Karacho 2012 mit ihrem Roman "Fahlmann" die Bühne als Schriftsteller betreten. Welche Berufsbezeichnung liegt ihnen selbst am nächsten?
    Christopher Ecker: Schwer zu sagen. Letztendlich mache ich die Sachen, die ich mache alle gerne und will mich da auch gar nicht festlegen. Ich bin sehr gerne Schriftsteller, schreibe sehr gerne Bücher für Erwachsene, schreibe sehr gerne Bücher für Kinder, rezensiere auch sehr gerne, ich bin sehr gerne Lehrer, die Sachen passen auch ganz gut zusammen.
    Lieske: Wie kombinieren Sie das mit dem anstrengenden und auch langwierigen Lehrerberuf?
    Ecker: Das ist eine Frage des Zeitmanagements. Das bedeutet, dass ich, wenn ich mit der Arbeit fertig bin, mit der Arbeit beginne. Das bedeutet, dass für das Schreiben dann Raum geschaffen werden muss, und der ist meistens abends.
    Lieske: Geboren sind sie 1967 in Saarbrücken, sie haben Germanistik und Philosophie studiert. Eigentlich eine Kombination, vor der uns unsere Eltern und die Studienberatung immer gewarnt haben. Was war damals ihr Ziel, was hatten sie vor Augen?
    Ecker: Ich hatte gar nichts vor Augen. Ich wollte irgendetwas Studieren und wollte etwas studieren, was mich interessiert und was mir Spaß macht. Ich habe auch nicht auf Lehramt studiert. Ich habe auf ein Magisterexamen Germanistik und Philosophie studiert und habe erst nach dem Studium festgestellt, dass man damit ja gar nichts anfangen kann. Dann war ich mehrere Jahre freiberuflich und habe dann ein Staatsexamen nachgemacht und bin dann erst später Lehrer geworden. Der Wunsch Lehrer zu werden ist also erst sehr spät gekommen.
    Ein Kinderbuch ohne Berechnung
    Lieske: Dieser Schritt hat sie von Saarbrücken nach Kiel geführt. Von der westlichsten Provinz in die nördlichste. Wie lebt es sich so am Rande von Deutschland?
    Ecker: Das ist hervorragend. Ich wollte, schon als ich im Saarland lebte, am Meer leben. Und allein das Gefühl an der Ostsee zu leben. Man öffnet das Fenster und riecht die Seeluft, man hört die Möwen in den Straßen und wenn man im Wohnzimmer auf der Couch sitzt hört man das Tuten der Dampfer, die die Förde verlassen.
    Lieske: Sie schreiben also vom Rande Deutschlands her. Vier Romane haben sie geschrieben. 2012 hat der Roman "Fahlmann" für großes Aufsehen gesorgt. Und nun ist ein weiterer, sehr kurzer Roman erschienen, ich würde sagen fast schon eine Erzählung. "Die letzte Kränkung" heißt dieser Roman. Es gibt außerdem mehrere Gedichtbände und das genannte Bilderbuch "Käpt'n Eichhörnchen". Das sind richtig viele Genres. Kommt es ihnen als Schriftsteller auch darauf an, sich auszuprobieren?
    Ecker: Das ist schwer zu beantworten. Ich habe nie mit irgendeiner Absicht ein Genre bedient. Ich hatte eine Geschichte und habe sie aufgeschrieben. Das Kinderbuch war ganz verblüffend. Ich habe abends angefangen was zu schreiben und merkte auf einmal, das ist ja nichts für Erwachsene, das ist ein Kinderbuch, das hier gerade entsteht und so habe ich ein Kinderbuch geschrieben. Das ist ohne Berechnung entstanden. Genauso wie der Fahlmann-Roman mit seinen tausend Seiten. Das habe ich auch vorher nicht vorgehabt, so ein dickes Buch zu schreiben. Man wäre ja auch wahnsinnig, wenn man so etwas freiwillig machen würde. Das hat sich dann so ergeben. Ich lasse mich also in die Geschichten reintreiben und die Geschichten fordern dann Umfang und Genre eigentlich meistens selbst.
    Lieske: Um noch mal bei Käpt'n Eichhörnchen zu bleiben. Das ist ein ziemlich taffer Pirat. Er geht gerne auf Kaperfahrt, und dann eines Tages kommt sein Schiffszimmermann Walter Bieber zu ihm und sagt ihm, dass er auf dem Piratenschiff eine unsichtbare Tür entdeckt hat. Was hat es mit dieser Zaubertür auf sich?
    Ecker: Es ist eine Tür, die sich ganz unten in der Schiffswand befindet. Eigentlich eine Tür, die es in einem Schiff eigentlich gar nicht geben dürfte. Wenn man eine Tür, die sich so tief unten befindet, öffnen würde, würde ja Wasser reinströmen. Das Schiff würde untergehen. Und das ist natürlich etwas, was die Kinder, die das Buch lesen und auch die Besatzung des Schiffes und vor allem den Kapitän sehr beunruhigen. Was ist das für eine Tür? Birgt diese Tür nicht ungeheure Gefahren?
    Ein Bilderbuch mit einer starken Erzählstimme
    Lieske: Wenn sie vor Kindern lesen, bitten Sie diese sich vorzustellen, selber durch die besagte Tür zu gehen. Wie reagieren die Kinder, was machen sie mit dieser Aufforderung?
    Ecker: In dem Buch gibt es dann ein großes Bild, das ist die geöffnete Tür und da steht die Frage: "Wenn du durch die Tür gegangen wärst, wo wärst du da gewesen?" Bei Lesungen ist das immer schön, wenn Papier und Bleistift vorhanden sind, worauf ich dann auch bestehe. Dann können die Kinder zu diesem Zeitpunkt malen, wo sie hinkämen, wenn sie durch die Tür gehen. Das ist ganz erstaunlich, weil viele Kinder das aufgreifen, was sie gehört haben, und viele malen Gebäude aus Käse oder große Käsestücke. Das Käseland, wo Pitt Haselmaus hingeht, ist in einer gewissen Art und Weise attraktiv, aber dann kommen eigene Ideen. Den Unkenhimmel mag keiner, da gab es bisher noch keine Bilder, wo jemand sich vorstellt, dass er in den Unkenhimmel kommt. Aber es kommen dann eigene Ideen. Mädchen malen dann sehr häufig das Feenland, ein Junge hat eine Fußballwelt gemalt, Jungs tendieren dann eher zu technischen Sachen, Raketen, Autos und so weiter, während Mädchen sich dann eher in Naturträumereien ergehen, da gibt es Blumenwiesen oder idyllische Landschaften. Das macht großen Spaß, weil man dann plötzlich merkt, dass die Kinder das reflektiert haben und den Unkenhimmel wirklich nicht so gut finden. Da hat der Erzähler dann offenbar doch recht.
    Lieske: Ein Bilderbuch mit so einer starken Erzählstimme. In gewisser Weise ist das doch auch ein Stilbruch, und das hat man nicht so oft in diesem Genre. War Ihnen das bewusst, haben Sie bewusst gesagt: Ich mache jetzt etwas das ein wenig anders ist, das vielleicht auch ein bisschen verquer ist?
    Ecker: Ich fand es einfach komisch, dass hier so ein Erzähler in das Geschehen eingreift, teilweise auf eine sehr altkluge Manier, teilweise wertend und kommentierend, teilweise auch verblüfft über das Geschehen. Es ist im Prinzip so, dass dieser Erzähler eine eigene Figur in diesem Buch ist. Das fand ich komisch. Die Kinderbücher, die ich selbst schätze, sind immer Bücher, die auch stilistisch Grenzen ausloten. Wahrscheinlich hat sich das dann so ergeben.
    Lieske: Das sind im Prinzip Verfahrensweisen der Erwachsenenprosa, angewendet auf das Bilderbuch. Warum ist ihnen das wichtig, den ganzen Werkzeugkasten für Kinder zu benutzen?
    Ecker: Der Regisseur Peter Greenaway hat mal gesagt: "Fang sie, wenn sie jung sind". Und ich glaube, das ist für Kinder unglaublich wichtig, wenn sie mit dem Narrationsbaukasten der Post-Moderne oder Post-Post-Moderne oder wie auch immer schon sehr früh konfrontiert werden, weil es dann für sie wesentlich einfacher ist, anspruchsvolle Literatur später zu lesen, weil einfach so ein paar Zaubertüren intellektueller Art aufgestoßen werden. Das hat eigentlich fast schon so einen pädagogischen Anspruch. Das darf man gar nicht laut sagen, aber irgendwie will ich die Kinder ja dazu bringen, später mal anspruchsvolle Bücher zu lesen, es müssen ja nicht meine sein, aber irgendwelche guten Bücher, dass ein Verständnis dafür da ist.
    Lieske: Da kommt der Lehrer in ihnen durch.
    "Das existenzielle Gefühl des Verlorenseins"
    Ecker: Ich hoffe nicht!
    Lieske: Ich habe noch eine Zaubertür entdeckt, nämlich zu ihrem Prosawerk. Es gibt in ihrem jüngsten Roman "Die letzte Kränkung" auch eine Tür, einen unbekannten Gang, den ihr Erzähler nimmt. Das ist ein Erzähler, der namenlos bleibt, und sie legen nahe, dass er ein Trauma erlitten hat, dass er einen Gedächtnis- oder vielleicht Identitätsverlust erlitten hat. Bleiben wir aber zunächst bei dieser Tür. Metapher, Symbol, was ist diese Tür für Sie?
    Ecker: Es ist schwer zu sagen. Es ist in dem Hotelzimmer eines kleinen bretonischen Hotels, das der Ich-Erzähler in den 40er-Jahren, also während des Zweiten Weltkriegs, bewohnt. Dort befindet sich im Boden ein Etwas, das der Erzähler als Schlitz bezeichnet. Das wird nicht weiter ausgeführt. Es ist eine merkwürdige, organisch wirkende Struktur, die sich aber jeglichen Verständnisses entzieht. Der Ich-Erzähler des Buches versteht nicht, was es ist, und die anderen Figuren verstehen das auch nicht. Das ist eine Form des Übergangs. Ich würde es weniger als Metapher bezeichnen, als etwas Konkretes, was man benutzen kann, um von einem Ort zum Anderen zu kommen.
    Lieske: Der Erzähler berichtet uns auch, dass er zu einer früheren Zeit sich bereits einmal in einem unterirdischen Gang verloren hat. Er war zu Gast bei einem Schulfreund, ist nachts aufgewacht, hat die Toilette gesucht, hat sie nicht gefunden, hat die Orientierung in dem dunklen Zimmer verloren und hat sich dann in einem dunklen Gewölbe wiedergefunden. Kann ich mir darunter das Unbewusste dieses Erzählers vorstellen?
    Ecker: Ich weiß es nicht. Das kann man natürlich da Interpretieren, aber mir ging es tatsächlich um dieses existenzielle Gefühl des Verlorenseins. Ein Mensch, der nachts erwacht, versucht zum Lichtschalter zu gehen und diesen Lichtschalter erreicht er nicht, weil es Treppen hinab geht, Treppen hinauf, Rampen hinab, und dass letztlich so eine einfache Sache wie der Gang zum Lichtschalter zu einer Odyssee wird. Für den Helden ist dieses nächtliche Erlebnis der Einbruch des Unverständlichen in sein Leben. Das könnte natürlich auch etwas sein, was aus seinem Unbewussten kommt, dass das irgendwelche verdrängten Sachen sind, die ihn daran hindern, die Realität so wahrzunehmen wie sie ist. Aber letztendlich wird hier nicht geklärt, was ihm hier passiert. Klar ist nur, dass er sich in dem Geschehen des Romans, also wenn er sich im Dorf bewegt, in dem Hotelzimmer, mit diesem Objekt im Boden, dass er sich genau so verloren fühlt, wie damals als er sich in diesem Haus verlief, im Dunkeln.
    "Das Nautische als Ort der Unsicherheit"
    Lieske: Aufgeklärt wird das Mysterium nicht. Ich als Leserin finde das sehr reizvoll. Wie ist das für Sie, so etwas zu schreiben, so ein Erzähllabyrinth, ein inneres Labyrinth zu konstruieren?
    Ecker: Ich glaube, die Auflösung in der fantastischen Literatur führt zu einer Trivialisierung dieser Literatur. In dem Moment, wo das Unheimliche in irgendeiner Art und Weise rational erklärt, wird ist es ja nicht mehr unheimlich, dann verpufft das. Kant hat mal gesagt, dass Komik die Auflösung einer gespannten Erwartungshaltung in Nichts ist, und genau so funktioniert das, wenn irgendein Autor, der fantastische Literatur schreibt, die Rätsel löst. Das fällt in sich zusammen. Da sind die Leser dann auch nicht sehr glücklich mit, glaube ich. Da bleibt dann etwas sehr Schales zurück. Ich kenne das aus schlechten Horrorromanen, oder schlechten Horrorfilmen. Bei den letzten fünf Minuten oder bei den Letzten zehn Seiten denke ich mir immer: Wäre das doch weggeblieben. Dann wäre es sehr viel offener und vielschichtiger und würde vielleicht sogar etwas über das Leben verraten. Dann wird es aber aufgelöst und in dem Augenblick sehr plump.
    Lieske: Das Nautische verbindet auch die beiden Bücher. Hat das etwas mit ihrem Leben an der Waterkant zu tun, sind sie selbst gern auf Schiffen unterwegs?
    Ecker: Ja, aber das war ich schon immer, und das hat mich dann ja auch nach Kiel gezogen, aber das Nautische ist natürlich sehr geeignet als ein Ort großer Unsicherheit. Es gibt den Begriff von Blumenberg der nautischen Daseinsmetapher. Er hat ein sehr langweiliges Buch darüber geschrieben, dass der Lebensweg immer mit nautischen Begriffen umschrieben wird. Man kehrt in den Hafen der Ehe ein. Das Leben mündet in ruhige Gewässer. Die bewegte See. Das alles spiegelt sich. Es gibt also eine Entsprechung zwischen nautischer Beobachtung und der Beobachtung des Lebens. Und da bot sich das irgendwie an in zwei Texten, wo die Gewissheiten so ein bisschen flöten gehen, dass man dann wirklich aufs Meer hinausgeht, auf ungewissen Grund, wo mehrere Sachen möglich sind oder sein können, die auf festem Grund nicht so möglich sind.
    "Literatur sollte an der Grenze stattfinden"
    Lieske: Deswegen, vermute ich, spielt der Roman auch in der Bretagne. Jetzt haben Sie als Setting für die Zeit eine sehr aufgeladene Zeit verwendet. Die frühen 40er-Jahre, die Zeit der deutschen Besatzung in Frankreich. Das ist natürlich eine Zeit, von der die Leser sehr viele eigene Bilder haben, durch Filme, Bücher ... Warum ausgerechnet diese Zeit, warum haben Sie sich dem noch einmal mit einem eigenen Text gestellt?
    Ecker: Mein Held hat ein Identitätsproblem, er weiß nicht, wer er ist. Die Bretonen damals hatten dasselbe Problem, sie konnten sich nicht entscheiden. Wir hatten eine nationale Front, die nicht wusste, wo sie hinwollte, die wollte weg von Frankreich, und wir hatten plötzlich das Paradoxon, dass die hin zu Hitler und der Wehrmacht tendierten. Das bedeutet, die Bretonen waren zu der Zeit ähnlich zerrissen in ihrer Identität, wie es der Held auch war. Und das schien mir eine schöne Spiegelung zu sein, um zu zeigen, dass diese Identitätskrise nicht nur ein Individuum befallen kann, sondern auch eine große Gruppe von Menschen.
    Lieske: Dieses Spiel mit den Identitäten ist literarisch wirklich sehr reizvoll, Sie arbeiten da mit den Mitteln der Post-Moderne. Ich finde es kann aber auch beklemmend sein für Ihre Leser. Natürlich haben wir auch alle eine Furcht vor Kontrollverlust, vor Abspaltung von Persönlichkeitselementen. Ist Ihnen das bewusst? Mögen Sie auch dieses Unbehagen wecken im Leser?
    Ecker: Ja, natürlich. Ich glaube, dass die Sachen, die sich intensiv mit dem Thema Identität beschäftigen, den Leser und den Autor immer an die eigene Grenze führen, und ich glaube, dass Literatur, wie ich sie gerne lese, und wie ich sie dann gerne schreiben möchte, die sollte an der Grenze stattfinden. Denn nur Sachen, die an der Grenze stattfinden, führen möglicherweise zu irgendwelchen Erkenntnissen oder Auseinandersetzungen und da passiert etwas für mich.
    "Man braucht einen mutigen Verleger"
    Lieske: Wenn wir noch einmal den Rückgriff nehmen auf den Roman, der Sie bekannt gemacht hat, "Fahlmann", dieser 1000-Seiten-Roman. Fahlmann ist ein Mann, der aus einem kleinbürgerlichen Haushalt kommt. Seine Familie hat ein Bestattungsunternehmen. Und der schreibt wiederum einen Roman, in dem es um einen Entomologen, einen Käferforscher geht, der in Ostafrika unterwegs ist. Irgendwann in diesem Roman wird Fahlmann selbst zu einer Romanfigur. Wie sind Sie auf diesen Stoff gekommen und braucht man vielleicht auch ein bisschen Größenwahn, um einem solchen Buch dann tausend Seiten zu geben?
    Ecker: Das hat sich so ergeben. Der Vorteil war aber, dass ich den Roman als sehr junger Mann geschrieben habe. Das würde ich heute wahrscheinlich gar nicht mehr machen, der Roman ist ja schon Jahrzehnte alt. Ich hatte den schon im Jahr 2000 abgeschlossen und das war eine Lebensphase, in der man literarisch wohl noch mutiger ist. Damals hatte ich wirklich alle freie Zeit in dieses Buch verlegt. Das wäre heute in diesem Umfang gar nicht möglich. Wichtig ist mir aber, dass die Werke des Schriftstellers, über den ich schreibe, im Buch mit drin sind. Dann wollte ich, dass sich diese beiden Ebenen verwischen, dass die Realitätsebene und die fiktionale Ebene langsam ineinander übergehen. Da war es natürlich logisch, dass noch eine weitere Ebene hinzukommen musste.
    Lieske: Wenn der Roman 2000 fertig war, 2012 veröffentlicht wurde, was ist in der Dekade dazwischen passiert, was hat der Roman da gemacht?
    Ecker: Da wurde er nicht veröffentlicht. Da hat er gelegen, und durch einen Glücksfall ist er dann doch veröffentlicht worden. Es ist bei einem solchen Buch schon sehr schwierig, es zu veröffentlichen, weil es vielen Verlegern zu riskant erscheint. Man braucht einen sehr mutigen Verleger, der sich eines solchen Romans annimmt, und ich hatte das Glück, einen solchen Verleger zu finden, beim Mitteldeutschen Verlag.
    Lieske: Die beiden Romane, über die wir heute sprechen, die "Letzte Kränkung“, und "Fahlmann“ sind im Mitteldeutschen Verlag erschienen. Wenn ich mir das Erscheinungsbild so angucke, da ist eine Menge Understatement, fast schon Bescheidenheit dabei. Die "Letzte Kränkung“ erscheint ja in Weltkriegspappe, schön grau, ein bisschen ausgefranst an den Ecken. Fahlmann ist ein weißes Buch, mit einem Käfer vorne drauf. Ein Foto von Ihnen oder eine biografische Notiz sucht man vergebens. Geht es wirklich darum zu sagen: "Hier geht es um Literatur. Leute, lest, wir machen kein Buhei um die Optik?“
    Ecker: Ja, es geht wirklich um das Buch. Ich finde es ganz schrecklich, wenn Autorenfotos in Büchern drin sind. Das lenkt ja nur ab, denn wenn ein Ich-Erzähler da ist, dann guckt der Leser automatisch, wie der Autor aussieht. Dann passieren ganz komische Wechselprozesse. Ich fand es am besten, dass eigentlich keine Autorenfotos drin sind, und dass das Buch so schmucklos wie möglich rüberkommt, dass kein Titelbild irgendwie verfälschend ist. Einen Käfer finde ich gut, es geht ja um einen Käferkundler, und die "Letzte Kränkung" passt von der Optik her wirklich zu den Büchern, die im Zweiten Weltkrieg erschienen sind, zu Zeiten der Papierknappheit. Das, finde ich, passt sehr gut zum Test.
    "Wichtig ist, das meine Bücher erscheinen"
    Lieske: Wie wichtig sind Ihnen Verkaufszahlen?
    Ecker: Da müsste ich ganz andere Bücher schreiben. Mir ist wichtig, dass meine Bücher erscheinen, und dass ich weiterarbeiten kann. Das ist für mich das, was zählt. Natürlich hätte ich gerne ganz tolle Verkaufszahlen, alles andere wäre ja gelogen. Aber das Allerwichtigste ist mir, dass die Bücher so kommen, wie ich sie haben will.
    Lieske: Ihr Erzähler Fahlmann sagt einmal: "Mein Vater war 56 als er starb, da blieben mir noch 25 Jahre. Nicht dran denken. Muss schreiben, muss jetzt endlich mit dem Schreiben beginnen, nur noch 25 Jahre, muss endlich schreiben." Kennen Sie dieses Gefühl, die Zeit wird knapp, ich muss und will all das noch sagen, was ich zu sagen habe?
    Ecker: Nein, also ich glaube da setze ich mich nicht so unter Druck wie der arme Fahlmann. Fahlmann ist ja auch keine positive Gestalt. Das ist ja ein fanatischer Autor, der auch gar nicht zurechtkommt mit den Welten, die er sich ausdenkt. Er setzt sich wirklich sehr unter Druck. Ich glaube ich habe noch ein bisschen Zeit.
    Lieske: Sie, Christopher Ecker schreiben mit größerer Leichtigkeit, was ist ihr nächstes Projekt?
    Ecker: Das ist ein Roman, der wahrscheinlich 2016 erscheinen wird, auch im Mitteldeutschen Verlag. Es ist auch ein leicht fantastisch angehauchtes Buch, das in New-York, in Paris und in Kiel spielt, und mehr möchte ich noch nicht verraten.
    Lieske: Herr Ecker, danke für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    "Käpt'n Eichhörnchen und die Zaubertür" (Verlag Gerstenberg)
    "Fahlmann" (Mitteldeutscher Verlag)
    "Die letzte Kränkung" (Mitteldeutscher Verlag)