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Chronist des untergegangenen deutschen Bürgertums

Mit Walter Kempowski ist heute einer der erfolgreichsten Autoren der Nachkriegsgeschichte verstorben. Mit seinem berühmten Roman "Tadellöser & Wolff" sei er zum Chronisten des untergegangenen deutschen Bürgertums geworden, so der Literaturkritiker Denis Scheck. Dennoch habe Kempowski darunter gelitten, nicht von Beginn an so anerkannt worden zu sein, wie er sich das erträumte.

Moderation: Gerd Breker | 05.10.2007
    Gerd Breker: Der Schriftsteller Walter Kempowski ist tot. Er erlag am Freitagmorgen in einem Krankenhaus im niedersächsischen Rothenburg einer schweren Krankheit. Dies erklärte eine Sprecherin seines Verlages Albrecht Knaus. Deswegen ist nun mein Kollege Denis Scheck aus unserer Literaturredaktion im Studio. Herr Scheck, der Mensch Walter Kempowski, was kann man, was muss man dazu sagen?

    Denis Scheck: Ja, zum Menschen. Er war ein wirklich bemerkenswerter Mensch. Jemand, der ganz stark die Blessuren, auch Narben trug, die ein Schriftsteller sich wohl einhandelt, wenn er nicht von Beginn an so anerkannt wird, wie er sich das erträumt. Obwohl Walter Kempowski ja zu den erfolgreichsten Autoren der Nachkriegsgeschichte in Deutschland zählt, trug er sehr starke Narben. Weil ihn, ja, der Zeitgeist auf das tonangebende linke Milieu in einer bestimmten Phase der Bundesrepublik eben als Schriftsteller nicht ernst nehmen wollte. Er war der Chronist des untergegangenen deutschen Bürgertums mit diesem berühmten Roman "Tadellöser & Wolff". Wir, seine Leser, können alle wiederholen einige Formulierungen. "Ja, wie ist es denn nur möglich? "Uns geht's ja noch gold", "Gutmannsdörfer" "Klare Sache, und damit hopp!". Auch durch die Verfilmungen durch Eberhard Fechtner sind diese Wortkreationen von ihm, in dem er seine Familiengeschichte aus Rostock aufbewahrte, ja ins Allgemeingut übergegangen. Aber weil er eben diesen Stoff bearbeitete und mit radikalen neuen Mitteln, mit einer ganz eigentümlichen Collagetechnik, die auch heute noch sehr innovativ und richtungsweisend ist, deshalb geriet er sozusagen in den Verdacht, ein Konservativer, ein Rechter zu sein. Und das war natürlich in der Nachfolge von '68 tödlich für einen Schriftsteller. Nach '89 hat sich das gelegt. Er hatte ja auch eine große Portion Humor. Aber er trug immer noch so ein bisschen diesen, ja, Groll gegen dieses lange nicht wirklich am Tisch der ganz Großen Platz nehmen dürfen, also neben Walser, Grass, Handke, Botho Strauß oder so jemand

    Breker: Sie haben sein Werk schon erwähnt, Herr Scheck. Der Schriftsteller Kempowski, was waren seine Sujets, seine eigentlichen Themen?

    Scheck: Also das ist die eigene Familiengeschichte. Er war ja der Sohn einer Reedersfamilie in Rostock, die er in diesen neun Bänden der so genannten "Deutschen Chronik" da niederlegte. Neben Tadellöser & Wolff sind das so Bücher wie "Aus großer Zeit", "Uns geht's ja noch gold". Dann natürlich das große Collagewerk "Echolot", das er in den 90er Jahren veröffentlichte. Das sind über zehn Bände, die aus Tagebüchern, aus anderen dokumentarischen Materialien die wichtigen Momente des Zweiten Weltkrieges rekonstruieren und wirklich atemberaubend einen Leser die Zeit miterleben [lassen]. Jeder Leser von Walter Kempowski wird heute, glaube ich, sehr traurig sein. Das ist ja auch immer ein Prüfstein für die Qualität eines Schriftstellers. Wissen Sie, ich bin Jahrgang 64. Ich fühle mich tatsächlich ein bisschen in Rostock zu Hause, weil ich es durch die Bücher von Walter Kempowski kennen gelernt habe. Ich weiß, was deutsches Bürgertum der 20er Jahre, der 30er Jahre bedeutet hat, wie die Nazizeit in dieses Bürgertum hineingetragen wurde, weil ich es durch Kempowskis Augen in seinen Büchern erlebt habe. Und dieser Erfahrungstransfer, wie ihn eben nur Literatur leisten kann, das ist bei Kempowski - der ja daneben auch noch Tagebücher veröffentlicht hat, andere große Romane, er war ein Mensch mit sehr viel Humor -, das ist so mustergültig da geleistet, dass ich glaube, der Walter Kempowski, der wird auch noch in 100 Jahren gelesen. Ich glaube, er wird über unsere Zeit, nicht nur über seine Kindheit Auskunft geben können.

    Breker: Herr Scheck, vielleicht noch ganz kurz. Sie haben gesagt, 1989 erhielt er die ihm gebührende Anerkennung. Wie kam das? Hat er dazugelernt? Oder haben die anderen dazugelernt?

    Scheck: Na, ja. Das Denken hat die Richtung gewechselt, darf man mal eine Werbespruch zitieren. Das linke tonangebende Juste Milieu hat sich durch ein anderes Juste Milieu ersetzt gesehen. Und ich glaube nicht, dass wir weiter sind. Es ist eben anders, und die Wahrnehmung von Autoren heute ist dadurch auch anders.