Freitag, 29. März 2024

Archiv

Ciudadanos in Spanien
Liberaler Parteichef mit breiter Brust

Noch zeichnet sich für die Wahl am 26. Juni in Spanien keine klare Mehrheit ab. Neben der linken Protestpartei Podemos hat auch die neue liberale Kraft Ciudadanos die Parteienlandschaft durcheinander gebracht. Ihr Parteichef Albert Rivera will durch eine Steuerreform und eine engere Verzahnung von Wachstum und Forschung Spanien aus der Krise führen.

Hans-Günter Kellner | 10.06.2016
    Albert Rivera an einem Rednerpult, im Hintergrund auf einer Leinwand "Vota con ilusión".
    Ciudadanos-Chef Albert Rivera will Spaniens Steuersystem umfassend reformieren. (picture alliance / dpa / Ballesteros)
    "Er will sich ideologisch nicht festlegen. Damit hat er Erfolg." - "Am 20. Dezember habe ich noch die Volkspartei gewählt. Aber jetzt wähle ich Rivera. Bei der Volkspartei ändert sich an der Spitze doch nichts." - "Er zeigt sich wenigstens dialogbereit. Das hat die Volkspartei ja völlig vermissen lassen. Und die Dialogbereitschaft ist in unserem Land derzeit besonders wichtig."
    Keine Frage: Albert Rivera ist beliebt im feinen Madrider Serrano-Viertel. Repräsentativen Umfragen zufolge wählen die Unter-35-Jährigen entweder die linke Podemos oder die liberale Partei Ciudadanos, zu deutsch "die Bürger". Albert Rivera ist ihr Spitzenkandidat, er setzt die Themen:
    "Bei uns wächst immer nur die Immobilienbranche. Wir müssen ambitionierter sein. Unser Wachstum muss stärker mit Forschung und Entwicklung verzahnt werden. 93 Prozent der in diesem Monat unterschriebenen Arbeitsverträge sind zeitlich befristet. Das ist fürchterlich.
    Die Leute müssen alle drei Monate um ihre Zukunft bangen. Das macht es jungen Spaniern sehr schwer. Wir verstehen uns als Teil der spanischen Mittelschicht, die sich mit dem, was uns hier angeboten wird, nicht zufrieden gibt."
    Mit breiter Brust für hohe Ziele
    Das kommt gut an bei Spaniens gut ausgebildeten Hochschulabsolventen mit doppelten Masterstudiengängen, aber nur prekären Jobs. Rivera selbst hat Jura an der angesehenen ESADE-Privatuni in Barcelona studiert, einen Debattier-Wettbewerb spanischer Hochschulen gewonnen und für ein Jahr in Helsinki studiert. Er ist doppelter katalanischer Meister im Brustschwimmen, mit breiter Brust trägt er auch seine Forderungen vor:
    "Wir nehmen wenig Steuern ein, haben aber hohe Steuersätze. Denn durch Steuerflucht und viele legale Tricks entgehen uns viele Einnahmen. Und die, die ihre Steuern zahlen, zahlen viel. Wir schlagen darum eine umfangreiche Steuerreform vor: Wir wollen die Unternehmenssteuern senken, aber dafür die vielen Steuersubventionen streichen. Und bei der Einkommenssteuer müssen wir die Steuerflucht bekämpfen. Sogar das Finanzministerium spricht von einer Schattenwirtschaft in Höhe von 20 bis 30 Prozent des Bruttoinlandprodukts."
    Hunger nach Reformen
    Das klingt ein wenig wie die Diskussionen in Deutschland über Steuererklärungen auf dem Bierdeckel, es klingt auch ein wenig nach FDP. Die Spanier sind hungrig nach Reformen. So kam Riveras Partei Ciudadanos, die ursprünglich aus Katalonien stammt, im Dezember auf rund 14 Prozent der Stimmen, inszenierte sogar medienwirksam die Unterzeichnung eines gemeinsamen Regierungsprogramms mit den Sozialisten – obwohl die selbst nur auf 22 Prozent gekommen waren und es zu einem sozialliberalen Bündnis gar nicht reichte.
    "Mich erstaunt, dass heute versucht wird, uns zu diskreditieren, weil wir uns mit den Sozialisten verständigt haben. Aber auf der Straße sagt mir niemand: 'Hoffentlich einigt ihr euch nie!' Alle sagen: 'Wann einigt ihr euch endlich?'
    Für eine Verfassungsreform bräuchten wir auch die Stimmen der Volkspartei. Wir brauchen breite Mehrheiten für umfangreiche Reformen bei der Bildung, im Justizsystem. Ich will mehr als nur eine Regierungsmehrheit, ich will eine breite Mehrheit, die Spanien reformieren kann."
    Der 36-jährige Vorzeigeschwiegersohn pflegt zu allen spanischen Politikern ein ausgezeichnetes Verhältnis. Aber auch wenn man ihn gar nicht nach Podemos-Chef Pablo Iglesias fragt, greift er ihn immer wieder scharf an, wirft ihm vor, in Spanien griechische oder venezolanische Verhältnisse einführen zu wollen oder Geld aus Venezuela erhalten zu haben – obwohl die spanische Justiz schon fünf solcher Anzeigen abgewiesen hat. So wird Ciudadanos in Spanien den Vorwurf nicht los, eine Art Podemos-Verhinderungspartei zu sein. Dabei ähneln sie sich mehr, als Rivera es lieb sein kann - sogar in den Aussagen zur Haushaltsstabilität. Wie Podemos oder die spanischen Sozialisten will auch Rivera die Defizitvorgaben mit Brüssel neu verhandeln.
    "Die spanische Regierung hat in Brüssel immer zu allem Ja gesagt, aber hinterher gemacht, was sie will. Ich bin dafür, hart zu verhandeln, aber hinterher das Ausgehandelte auch einzuhalten."
    Kompromissbereitschaft gefragt
    Noch zeichnet sich für die Zeit nach der Wahl am 26. Juni keine klare Mehrheit ab. Die Parteien werden sich kompromissbereiter zeigen müssen, als bisher. Gut möglich, dass Albert Rivera dann ein wichtiges Wort bei der Regierungsbildung mitreden kann.